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"Der Koalitionsbruch ist fast eine logische Konsequenz"

Der Politikwissenschaftler Everhard Holtmann hält den Bruch der schwarz-grünen Koalition für eine Folge des Rücktritts von Oberbürgermeister von Beust. Mit von Beust gab es eine Führungspersönlichkeit, meint Holtmann, die integrieren könne.

Everhard Holtmann im Gespräch mit Dirk Müller |
    Dirk Müller:
    Das Aus für Schwarz-Grün in Hamburg, darüber wollen wir nun sprechen mit Professor Everhard Holtmann, Politikwissenschaftler von der Universität Halle-Wittenberg. Guten Morgen.

    Everhard Holtmann: Guten Morgen, Herr Müller.

    Müller: Ist es gut, dass Schwarz-Grün zu Ende ist?

    Holtmann: Das ist eine Frage der politischen Bewertungen, ob gut oder schlecht. Dass es überraschend kommt, das, denke ich, kann man sowohl aus der Hamburger Perspektive und vielleicht auch aus der Perspektive einer bundesweiten Einschätzung von schwarz-grünen Koalitionsoptionen generell nicht unbedingt sagen. Die Ereignisse, die in Hamburg fast schon im Rückblick so eine Art Siechtum der schwarz-grünen Rathauskoalition nach dem Rücktritt von Ole von Beust dargestellt haben, die sind ja weitgehend bekannt, und so gesehen ist der Koalitionsbruch einerseits so etwas wie eine fast logische Konsequenz. Auf der anderen Seite: Es ist auch nicht so ganz falsch, was jetzt als Vorwurf gegenüber den Bündnis-Grünen geäußert wird, dass sie sich in schwierigen Situationen aus einer Koalition gewissermaßen durch die Hintertür verabschieden.

    Müller: Dann sind sie doch Opportunisten?

    Holtmann: Na ja, ob man mit Opportunismus, gleich mit dieser schweren Keule dann daherkommt, das lasse ich dahingestellt. Aber wenn wir es mal auf die Strukturen und auf die Konfliktlagen der Bundespolitik, deren Teil ja immer auch die Landespolitik ist, projizieren, dann wird man Folgendes feststellen dürfen: Die Linie der Bündnis-Grünen bundesweit wie auch im Konzert gewissermaßen mit dem baden-württembergischen Ableger in den letzten Monaten war es ja, über bestimmte inhaltliche Punkte, inhaltliche Präferenzen, Atompolitik, aber auch Fragen der Bürgerbeteiligung, den Protestgestus früherer Jahre wieder zu schärfen. Der war ja weitgehend nur spannungsfrei durchzuhalten und auch halbwegs glaubwürdig nach außen hin zu präsentieren, wenn man sich und solange man sich in einer Oppositionsrolle befindet. Wenn, wie es in Hamburg ja eben der Fall war, in der Koalition dann auch pragmatische Sachentscheidungen und zum Teil ja hoch konfliktäre Sachentscheidungen gefällt werden müssen, dann bauen sich Spannungsbögen auf, und so gesehen ist das Aus der Rathauskoalition, der schwarz-grünen Allianz in Hamburg aus der bündnis-grünen Sicht so eine Art wie Begradigung der politischen Fronten, kurzfristig jedenfalls.

    Müller: Herr Holtmann, aber die Grünen sind ja jetzt nicht neu in einer Regierung, weder im Land, noch im Bund, beziehungsweise wieder zurück im Land. Sie haben viel Erfahrung, gerade auch in Hamburg. Jetzt sagen ja viele, ob jetzt die CDU da vorne sitzt, oder die Sozialdemokraten, die hätten das als führende Regierungspartei ja auch nicht anders gemacht. Haben die Grünen sich von der Verantwortung einfach so davongestohlen?

    Holtmann: Ich denke, dass man die vorangegangenen Regierungserfahrungen der Grünen, die ja ganz ausnahmslos mit den Sozialdemokraten als führendem Partner gemacht worden sind, nicht so unbedingt parallel setzen kann mit der jetzigen Situation, wenn wir einen Augenblick mal Jamaika im Saarland außer Acht lassen.

    Nein, die jetzige Konstellation auch in Hamburg war ja im Grunde genommen einesteils nur möglich geworden durch den sogenannten personellen Faktor, dass nämlich bis zu seinem Rücktritt in Ole von Beust eine Führungspersönlichkeit zur Verfügung stand, die auf der einen Seite die Fliegkräfte innerhalb der eigenen Partei, der CDU, zusammenhalten konnte und auf der anderen Seite aber auch die Grünen in dieses schwierige Rathausbündnis integrieren konnte. Bundesweit und eben teilweise reflektierend auf der Landesebene sind aber die Konfliktlagen zwischen den Unions-Parteien und den Bündnis-Grünen in den vergangenen Monaten erheblich stärker geworden. Stichworte sind ja neben der Atompolitik aber beispielsweise auch die Gesundheitspolitik und auch die Steuerpolitik.

    Müller: Hat aber alles mit Hamburg in der Form direkt nichts zu tun?

    Holtmann: Hat nichts mit Hamburg in der Richtung direkt zu tun und ich denke auch nicht, dass die jetzt auftauchenden Spannungen, Konfliktlagen und auch gegenseitigen Beschuldigungen durch Hamburg überhaupt erst verursacht worden sind. Hamburg hat vielleicht etwas nur früher und stärker offengelegt, was sich seit Monaten bereits angekündigt hatte.

    Müller: Gerade in der Politikwissenschaft, aber auch in der Politik, auch in den Medien ist diese Frage ja immer sehr umstritten: Bestimmen Personen die Politik, bestimmen Inhalte die Politik. Ole von Beust haben Sie mehrfach als Stichwort genannt, wie auch jetzt in Hamburg gestern und heute immer wieder Ole von Beust genannt wurde. In dem Fall, kann man das sagen, kann man das unterschreiben, haben Personen die Politik entschieden?

    Holtmann: Das kann man sicherlich zu einem gerüttelt Maß sagen. Wir wissen aus der langfristigen Wahlforschung, dass drei Faktoren das Wählerverhalten in aller Regel leiten, und zwar in der Rangfolge der Wichtigkeit sind es die einer Partei zugewiesene Lösungskompetenz, dann die Personalfragen und dann zum Schluss, inzwischen jedenfalls, das, was man die längerfristige Parteibindung nennt. In Hamburg war das bei den letzten Bürgerschaftswahlen deutlich anders, da haben ungefähr 40 Prozent der seinerzeitigen CDU-Wähler nach eigenem Bekunden in der Nachwahlbefragung die CDU deshalb vor allen Dingen gewählt, weil sie von Ole von Beust geführt worden ist. Also es gibt manchmal, zumal auf der regionalen Ebene, eine Umkehrung dieser Präferenzen, was die Wahlentscheidung betrifft.

    Müller: Und innerhalb einer Koalition, wenn sie denn nun einmal auf den Weg gebracht worden ist, spielt die persönliche Chemie auch eine entscheidende Rolle?

    Holtmann: Das ist zweifellos der Fall. Hier kann man eben doch noch mal auf das Saarland zurückkommen. Dort war ja auch zeitweise eine andere Koalitionsvariante ernsthaft im Gespräch, und dass diese, nämlich Rot-Rot-Grün, im Saarland nicht zustande gekommen ist, hat offenbar nicht unwesentlich auch etwas mit persönlichen Animositäten handelnder Akteure zu tun gehabt.

    Müller: Professor Holtmann, wir haben jetzt gut sechs Minuten über dieses Phänomen beziehungsweise über die Situation in Hamburg und die Folgen gesprochen. Ich muss Sie jetzt noch einmal vielleicht ganz naiv fragen: Was jetzt in Hamburg passiert ist, ist das wirklich relevant für die Bundespolitik?

    Holtmann: Das ist insofern relevant für die Bundespolitik, weil schlagartig deutlich geworden ist, dass die Option Schwarz-Grün zwar nicht für alle Zeiten versperrt worden ist, dass sie aber doch teilweise auch vor fast unübersteigbaren inhaltlichen Problemlagen steht, die wie gesagt in Hamburg nur durch diese mühsame Kombination von Personenfaktor und teilweise auch mühsamen Formelkompromissen handhabbar gemacht werden konnte, und das dürfte auch die Konfliktlagen im Parteiensystem der Bundesrepublik auch bundesweit auf absehbare Zeit stärker charakterisieren.

    Müller: Könnte das einen Pusch für die SPD geben?

    Holtmann: Das ist nicht auszuschließen, wenngleich die SPD ja in den letzten Monaten eher das Problem hatte, dass sie unter der zunehmenden Polarisierung zwischen den Unions-Parteien einerseits und den Bündnis-Grünen andererseits auch zu leiden hatte. Wenn sie aber in Hamburg – und das zeichnet sich ja ab – auch wieder in die politische Führungsposition einrücken kann, dann mag es hier auch eine neue Gewichtung im Parteiensystem geben.

    Müller: Der Politikwissenschaftler und Parteienforscher Professor Everhard Holtmann, heute bei uns im Deutschlandfunk. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Holtmann: Bitte schön!