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Der Königsweg in der Kinderleichtathletik?

50m-Lauf, Ballwurf, Weitsprung und eine Punktetabelle für jede erbrachte Leistung. Das sind seit Jahrzehnten die Bundesjugendspiele. Der Deutsche Leichtathletik Verband will nun mehr Vielfalt und die traditionsreichen Bundesjugendspiele durch Team-Wettkämpfe ersetzen.

Von Gerd Michalek |
    Kinder laufen bei einem Leichtathletikwettkampf
    Kinder laufen bei einem Leichtathletikwettkampf (Deutschlandradio - Hendrik Maaßen)
    Wer als zehnjähriger Hindernisse liebt, muss noch keine hohen Metallhürden überqueren- wie beim Kinder-Mehrkampf in Bergisch Gladbach.

    "Da gibt es zwei Mannschaften, dann laufen und springen die über Bananenkisten, müssen auf der anderen Seite abklatschen, und der andere läuft dann auf der Seite zurück."
    "Das ist das, was mir bei Leichtathletik am meisten Spaß macht, weil das abwechslungsreich ist!"

    Vielfalt kommt gut bei Kindern an. Zugleich werden - ohne großen Aufwand - anspruchsvolle Disziplinen vorbereitet. Etwa im Stabweitsprung.

    "Es ist ein Bambusstab und unten ein Tennisball dran, dann stützt man sich ab und springt in die Sandgrube."

    So bekommen Kinder eine Vorstellung vom Stabhochspringen. Die Lust auf Neues ist geweckt. Motorisch lässt sich gerade im Kindesalter sehr viel lernen - nicht nur geradeaus laufen und geradeaus werfen! Auch Drehwürfe – etwa mit Fahrradreifen – können schon Grundschüler üben, bevor sie den Diskus schleudern. Viel Abwechslung und kindgerecht – darauf setzt die Reform. Das traditionelle Nachwuchstraining ist motorisch gesehen wenig anspruchsvoll, sagt der Jugendreferent des Leichtathletik-Verbandes Nordrhein, Hans-Joachim Scheer:

    "Es gibt ein Defizit in der koordinativen Ausbildung der Athleten. Ein Defizit in der Belastungsverträglichkeit in der kompletten Ausbildung in jungen Jahren. Wir glauben, dass das Wettkampf-System, was einengt und auf wenige Disziplinen die ganze Sache reduziert, so dominant ist, dass im Training nicht so umfassend gearbeitet wird, wie die Trainingslehre es gerne haben möchte."

    Der Deutsche Leichtathletik Verband will gegensteuern: Kindern Spaß an Bewegung vermitteln und verhindern, dass sich Talente frühzeitig von der Olympischen Kernsportart abwenden. Seit gut einem Jahr lädt der DLV Kinder zu vielseitigen Wettkämpfen ein. Ester Fittko, Vorsitzende der Jugend im DLV, resümiert:

    "Wir sind inzwischen bei über 40 Test-Wettkämpfen. Wir haben festgestellt, dass der Team-Wettkampf bei den Kindern richtig gut ankommt, dass es ihnen Spaß macht, im Team zu starten und dass die Vielfalt und Abwechslung sie ganz schön herausfordert. Die Kritiker sind natürlich auch überall vorhanden."

    Manche Trainer bemängeln, dass im neuen Wettkampfsystem der Teamgedanke zu sehr dominiert. Wie etwa Leichtathletik-Trainer Guido Schmitt:

    "Dass man nur noch Mannschaftsdisziplinen macht und Kinder, die keine Mannschaft haben, ausschließt quasi. Und es überhaupt nicht die Möglichkeit gibt, seine eigene Leistung individuell zu messen. Das halte ich für einen Fehler. Gerade talentierte Einzelsportler, die keinen großen Verein und keine Gruppe haben, die verliert man grundsätzlich, die haben keine Möglichkeit, Wettkämpfe zu machen."

    Oft möchten Kinder nicht nur Team-Wettbewerbe und eine Punkte-Wertung: Sondern auf Zehntel und Zentimeter genau wissen, wo sie stehen:

    "Weil, ich will ja schon wissen, wie gut ich bin, damit ich weiß, ob ich mich verbessern kann oder nicht - zum Beispiel. wenn ich springe."

    Wegen solcher Kritik will das Reformwerk auch Spielraum für individuelle Leistungen lassen, so Esther Fittko:

    "Wir haben die Erkenntnis gewonnnen, dass der Team-Wettkampf eine hohe Priorität vor allem bei der Altersgruppe U-8 und U-10 hat, dass aber bei den zehn- und elfjährigen der individuelle Wettkampf einen Stellenwert haben muss. Da haben wir auch reagiert und die traditionellen Wettbewerbe, 50m-Lauf, den Schlagweitwurf, den Weit- und den Hochsprung als Einzelwertung in das System integriert."

    Ganz eng gesteckt ist der neue Teamwettbewerb ohnehin nicht. Sechs Kinder bilden ein Team – egal ob es aus Freunden oder Sportlern benachbarter Vereine besteht. Ob diese liberale Regel Kritiker zufrieden stellt, mag bezweifelt werden. Jedenfalls hofft der DLV, die großen Landesverbände mit den meisten Stimmanteilen für seine Reform zu gewinnen: Esther Fittko ist optimistisch:

    "Ich erwarte, dass der Verbandsrat das Votum des Jugendtages, der sich letztes Jahr einstimmig für das Wettkampf-System ausgesprochen hat, dass er dieses Votum aufnimmt. Mir ist sehr wohl bewusst, dass es manchem schwer fällt, sich von Traditionen zu lösen und Veränderungen herbeizuführen."
    Die Reformer im DLV bauen vor der Entscheidung am 15. Juni den Traditionalisten eine weitere Brücke:

    "Wir haben jetzt vorgeschlagen, dass in der Altersklasse U-10 fürs kommende Jahr 2013 noch eine Übergangsphase gelten soll, in der das alte und das neue System parallel laufen könnte. Mir persönlich ist ganz wichtig, dass wir mit dem Wettkampfsystem eine Einheit in der Leichtathletik weiter haben werden und dass es zu keiner Spaltung kommen wird, so dass die einen behaupten: 'Wir machen richtige LA und ihr macht ja nur Spielerei!' "