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Der Konjunkturdompteur

Er hat die Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik geprägt wie fast kein anderer Wirtschaftsminister. Als Karl Schiller 1966 sein Amt antrat, schien die Zeit des 'freien Spiels der Kräfte', für die Ludwig Ehrhardt gestanden hatte, vorbei zu sein. Er weckte in den Deutschen den Glauben, dass der Staat durch seine Ausgabenpolitik die Wirtschaft nach Bedarf steuern könne.

Von Monika Köpcke | 24.04.2011
    ""Da unten auf dem Fließband all die vielen Flaschen, da denk ich an ganz was Bestimmtes in der Politik.”"

    Als Karl Schiller während eines Brauereibesuchs diese Kollegenschelte betrieb, befand er sich auf dem ersten Gipfel seiner politischen Karriere: In der Großen Koalition von 1966 mit Kurt Georg Kiesinger als Bundeskanzler war der Sozialdemokrat Schiller Wirtschaftsminister geworden.

    ""Ich gehörte zu einer Minderheit in der SPD, die sich von Parteitag zu Parteitag voranarbeitete, wir versuchten, diese Partei des freiheitlichen Sozialismus zu öffnen für die Marktwirtschaft. Ich habe sehr früh diesen Slogan in die Welt gesetzt: Wettbewerb so weit wie möglich, Planung so weit wie nötig.”"

    Als Schiller sein Ministeramt antrat, erlebte die Bundesrepublik die erste Rezession ihrer jungen Geschichte. Für ihn genau die richtige Herausforderung: Er war fest davon überzeugt, die üblichen marktwirtschaftlichen Konjunkturschwankungen außer Kraft setzen zu können. Konzertierte Aktion, mittelfristige Finanzplanung, antizyklische Wirtschaftspolitik - unermüdlich produzierte Schiller-Vorschläge, Ideen, Papiere. Nach nur zwei Jahren boomte die Wirtschaft wieder, und Karl Schiller präsentierte sich den Deutschen als brillanter Konjunkturdompteur, der einen immerwährenden Aufschwung nach Maß kreieren konnte. Stets nach dem Motto:

    ""Ohne Stabilität gibt es keine internationale Wettbewerbsfähigkeit, keinen funktionierenden Kapitalmarkt und, was wohl auch wichtig ist, ohne Stabilität gibt es keine soziale Gerechtigkeit.”"

    Am 24. April 1911 kam Karl Schiller in Breslau zur Welt. Seine Eltern ließen sich bald scheiden, und er wuchs bei seiner Mutter in Kiel auf. Bereits mit 24 war er Doktor der Volkswirtschaft, als Abteilungsleiter am Kieler Institut für Weltwirtschaft und NSDAP-Mitglied lavierte er sich durch das Dritte Reich. Nach dem Krieg trat er in die SPD ein, in Hamburg war er Rektor der Universität und Wirtschaftssenator. 1961 holte ihn der Regierende Bürgermeister Willy Brandt nach Berlin, 1966 wurde er Bundeswirtschaftsminister, das blieb er auch noch 1969 in der ersten sozialliberalen Koalition. 1971 dann wurde er ihr Superminister und bekam auch noch das Finanzministerium dazu. Der damalige Staatssekretär und spätere Bundesbankpräsident Karl-Otto Pöhl:

    ""Schiller war bei den Kabinettskollegen eigentlich sehr unbeliebt, weil er sehr arrogant war und die Minister also sehr geschuhregelt hat. Als Finanzminister ist es immer schwierig, für jeden Finanzminister. Aber Schiller hat das also besonders genossen, sie in ihre Grenzen zu weisen.”"

    Die Regierung Brandt war 1969 mit dem Versprechen umfassender innerer Reformen angetreten. Diese Reformen waren sehr kostspielig, und Schiller glaubte, dass die Republik begann, über ihre Verhältnisse zu leben. Er sah sein Credo der Stabilität in Gefahr und mahnte unablässig zum Sparen. So wurde er zum Bremsklotz der Reformpolitik, geriet immer mehr ins Abseits und konnte bald keine Abstimmung mehr für sich gewinnen.

    ""Ich habe die Position meiner Wirtschafts- und Finanzpolitik - mmh - überprüft und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass ich hieraus die Konsequenzen zu ziehen habe.”"

    Im Juli 1972 warf Karl Schiller tiefgekränkt das Handtuch und trat von beiden Ministerämtern zurück. Einige Wochen später verließ er auch die SPD. Erst 1980 kehrte er in die SPD zurück.

    Unter Ökonomen ist es heute Konsens, dass es 1966 nicht die Politik Schillers, sondern vielmehr die Erfolge der Exportwirtschaft waren, die die Bundesrepublik aus dem konjunkturellen Tal gezogen hatten; heute weiß man, dass die Möglichkeiten, die Konjunktur wirtschaftspolitisch zu steuern, begrenzt sind. Dennoch genoss Karl Schiller auch nach seinem Ausstieg aus der Politik über alle Parteigrenzen hinweg ein hohes Ansehen als Wirtschaftsfachmann. Am 26. Dezember 1994 starb er im Alter von 83 Jahren.