In Deutschland gibt es ca. 25 muslimische Lehramtsanwärterinnen oder Lehrerinnen mit Kopftuch. Sind diese Frauen eine so große Gefahr für den Schulfrieden, dass wir uns mit Gesetzen vor ihnen schützen müssen?
Da fing ich eigentlich an, mich so richtig zu wundern, weil dann plötzlich viele Bundesländer sagten, wir machen ein Sondergesetz für genau diese Fälle, obwohl es so wenige Fälle sind und obwohl man gar keine Probleme hatte. Auch mit Frau Ludin gab es kein Problem. Ich hab mit der Schule gesprochen, wo sie ein Referendariat gemacht hat. Warum werfen wir eine Gesetzesmaschinerie in Gang, wenn ein Problem noch nicht richtig aufgetaucht ist? Das fand ich eine spannende Frage.
... sagt die Autorin Heide Oestreich. Sie suchte nach Antworten. Im Kopftuch-Streit bündeln sich gesellschaftliche Konflikte wie unter einem Brennglas. Da wird auf der juristischen Ebene vordergründig über Religionsfreiheit und Neutralität in der Schule gestritten. Dahinter steht die Frage, wie säkular der Staat eigentlich sein soll, der bislang mit christlichen Symbolen keine Probleme hatte. Da geht es an der Oberfläche um das Kopftuch als das Symbol der Ungleichheit von Männern und Frauen im Islam. Darunter verbirgt sich das unangenehme Gefühl, dass auch bei uns im Zusammenleben der Geschlechter noch einiges im Argen liegt. Schließlich geht es darum, von Toleranz nicht mehr nur zu reden, sondern sie konkret zu bestimmen; auch ihre Grenzen.
Toleriert man nicht Verfassungsfeinde, wenn man ein Kopftuch toleriert? Die Grenze zwischen Islamismus und strenger Religiosität ist schwer auszumachen. Wer aber die Tuchträgerin unter das Generalverdikt Verfassungsfeindin stellt, muss sich fragen lassen, ob er nicht an einem Symbol ausagiert, was bei wirklich gefährlichen Gruppen nicht gelingt. Was einige Muslime als ihre Gruppenidentität zu schützen beabsichtigen, ist vom Standpunkt der Frauenrechte aus betrachtet, oft inakzeptabel. Aber was hat das mit einer Lehrerin mit Kopftuch zu tun? Es könnte sein, dass der Kampf gegen das schön sichtbare Tuch so vehement ist, weil man die Unterdrückung der Frauen sonst so schwer zu fassen bekommt.
Ausführlich dokumentiert das Buch die Diskussionslinien, die sich im juristischen, politischen und gesellschaftlichen Feld bilden. Obwohl die Autorin aus ihrer Position keinen Hehl macht – sie ist strikt gegen ein Kopftuch-Verbot – räumt sie auch den Argumenten der Gegenseite großen Raum ein. Schnell wird klar: Die althergebrachten Schubladen gelten nicht mehr: Ob Parteien, Kirchen, Gewerkschaften, Migranten- oder Frauenverbände: Das Kopftuch spaltet sie alle. Es steht für ein reaktionäres Frauenbild, und eine Lehrerin mit Kopftuch würde muslimische Schülerinnen ohne Kopftuch verunsichern, sagen die einen und wollen sich mit einem Verbot gegen den Vormarsch fundamentalistischer Strömungen wehren. Ein Verbot würde gerade die Frauen treffen, die mit ihrem Streben nach Berufstätigkeit einen emanzipatorischen Weg beschreiten, widersprechen die anderen und warnen davor, Kopftuchträgerinnen pauschal als Gotteskriegerinnen zu stigmatisieren und an den Rand zu drängen. Die Debatte, so scheint es, hat sich in das Stück Stoff verbissen. Höchste Zeit also, diejenigen zu Wort kommen zu lassen, um die es geht.
In diesem Fall geht es um Lehramtsstudentinnen, die in die Schulen wollen. Wir haben das Glück, dass es eine Studie gibt, die in Tiefeninterviews mit denen geredet hat. Und da ist herausgekommen, dass die alle einen sehr individualisierten Islam vertreten. Das war interessant, dass viele von denen gar nicht in Moscheen gehen, dass sie sich keiner dieser Vereinigungen anschließen, weil sie sagen, die versuchen immer Druck auszuüben und das ist ein Druck, der immer zu Lasten der Frauen geht. Die haben oft ein eigenes Bild sich anzueignen versucht vom Koran. Die haben sich die Verse angeguckt, die problematisch sind im Hinblick auf Frauen und haben sich eine eigene Interpretation zurecht gelegt.
Diese Frauen probieren etwas Neues, das mit keiner fundamentalistischen Bewegung in einem islamischen Land zu vergleichen ist: Sie wollen als praktizierende Muslima selbstbestimmt in einer Diaspora-Situation leben. Doch das einzige Rollenmodell, das ihnen hierzulande zur Verfügung steht, ist das der unterdrückten Muslimin. Dieses Bild müssen sie sprengen.
Neuesten sozialwissenschaftlichen Studien, die sich mit den Lebenswelten junger Muslime in Deutschland befassen, räumt Heide Oestreich viel Platz ein. Zu Recht. Denn das Klischee vom Kopftuch als Kampf- oder Unterdrückungsemblem lässt sich mit den Studienergebnissen nicht länger halten. Die Beharrlichkeit, mit der es in den Köpfen der deutschen Mehrheitsgesellschaft sitzt, verweist auch auf die unglückselige Tradition deutscher Integrationspolitik, die sich in der Formel 'Anpassung fordern, Diskriminierung beibehalten’ zusammenfassen lässt.
Ein Motiv in den Befragungen war, dass das Kopftuch benutzt wird für eine Art von Identitätspolitik. Oft ist es ja zweite oder dritte Generation, die können gut deutsch, die sind hier im Bildungssystem bis zu einem bestimmten Punkt gekommen und merken, dass sie trotzdem keine Anerkennung ernten. Und das fördert die Tendenz, eine Gegenidentität auszubilden. Und der Islam ist eine Identitätsgemeinschaft, die weltweit ist, die einen Code hat. Und zu diesem Code gehört das Kopftuch. Dass der Islamismus denselben Code benutzt, ist für die wahnsinnig problematisch.
Das Kopftuch ist ein starkes Symbol, das eine Vielzahl von Deutungen zulässt. Die einen tragen es als modisches Accessoire, die anderen aus kultureller Gewohnheit oder religiöser Pflichterfüllung. Für die einen ist es eine Zumutung, für andere ein politisches Symbol des Islamismus. Das Kopftuch ist vieldeutig, und solange diese Vieldeutigkeit besteht, kann kein Gesetz sich die Deutungsgewalt anmaßen und damit alle Kopftuchträgerinnen unter den Generalverdacht 'Verfassungsfeindin’ stellen. Heide Oestreich stellt klar: Politisch agierende und religiös missionierende Lehrer gehören nicht in die Schule; egal, ob mit oder ohne Kopftuch. Doch für diese Fälle gibt es bereits die individuelle Eignungsprüfung und das Disziplinarrecht. Ein generelles Kopftuchverbot hingegen wirkt kontraproduktiv, meint auch Heide Oestreich:
Wir haben ein neues Einbürgerungsrecht, das heißt die Religion Islam wird hier eingebürgert mit der Zeit. Wenn man die immer weiter ausgrenzt, bekommt man verstärkt, was wir jetzt schon in Ansätzen haben, nämlich so eine Art Parallelgesellschaft. Und wir sehen auch, dass die leicht zu radikalisieren sind. Das sah man zum Beispiel nach dem Krieg in Bosnien oder nach den ersten Brandanschlägen auf die Ausländerwohnheime in Deutschland. Wenn man das alles in Kauf nehmen möchte, dann kann man sagen, wir sind das christliche Abendland und ihr seid die, die draußen bleiben. Aber das will, glaube ich, niemand. Das heißt, man muss sich einen Umgang mit dem Islam überlegen und dem Islam hier mehr Raum einräumen. Und zwar einer Art von Islam, die mit dem Grundgesetz kompatibel ist.
Für den Umgang mit dem Kopftuch heißt das: Entscheidend ist nicht, was auf, sondern was im Kopf ist.
Monika Köpcke stellte das Buch vor von Heide Oestreich: Der Kopftuch-Streit. Das Abendland und ein Quadratmeter Islam. Verlegt wurde es bei Brandes & Apsel in Frankfurt am Main. Die 200 Seiten kosten 15 Euro 90.