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Der Krebsnebel dreht auf

Astronomie.- Im Jahr 1054 gab es im Sternbild Stier eine extrem helle Explosion. Am Ort dieser Supernova zeigt sich seitdem ein Nebel aus Überresten des Sterns. Im Fachmagazin "Science" berichten Astronomen, dass der alte Nebel noch für manche Überraschung gut ist.

Von Dirk Lorenzen |
    Rolf Bühler und Stefan Funk sind Astrophysiker an der renommierten Stanford University in den USA. Mit dem Fermi-Satelliten der NASA halten sie im Universum nach der besonders energiereichen Gammastrahlung Ausschau. Der Krebsnebel, der Überrest eines vor fast 1000 Jahren explodierten Sterns, gilt bei solchen Beobachtungen fast als Urmeter – als schön gleichmäßig strahlende Quelle, die als Vergleichsstandard für alle anderen Objekte dient. Doch, so erklärt Rolf Bühler, der Nebel ist ganz anders.

    "Was wir jetzt gesehen haben, ist, dass der Krebsnebel auf einmal extrem variabel ist. Auf relativ kurzen Zeitskalen von ungefähr vier Tagen war auf einmal der gesamte Strahlungsfluss von dem Nebel sechsmal so hoch wie er vorher die ganze Zeit war. Das ist völlig unerwartet gewesen, weil das eigentlich ein sehr stabiles System ist. Die ganze Energie von dem System kommt von dem Pulsar, der noch in der Mitte des Nebels ist. Der rotiert sehr stabil 30mal pro Sekunde."

    Der Pulsar im Zentrum des Krebsnebels ist der Überrest des explodierten Sterns. Er hat etwa so viel Masse wie die Sonne, ist aber nur 20 Kilometer groß. Die sich rasend schnell drehende Sternleiche pustet noch hochenergetische Teilchen ins All. Sie lassen den Nebel leuchten, vor allem im Bereich der Gammastrahlung. Der Nebel zeigt sich auch im normalen sichtbaren Licht und ist sogar in Amateurteleskopen zu sehen. Kaum ein Objekt beobachten die Astronomen so oft wie den etwa 6000 Lichtjahre entfernten Krebsnebel, der kosmisch gesehen zu unserer Nachbarschaft gehört. Doch es ist völlig rätselhaft, was die Strahlungsausbrüche im Nebel von nebenan verursacht.

    "Die Variabilität, die wir gesehen haben, die war nicht nur interessant, weil sie sehr kurz und sehr stark war, sondern sie ging auch zu sehr hohen Energien, höher als wir sie normalerweise vom Krebsnebel beobachten. Das zeigt uns, dass im Krebsnebel Teilchen beschleunigt werden zu PeV-Energien, das sind 10 hoch 15 Elektronenvolt. Das ist 1000 Mal mehr als der CERN Large Hadron Collider hinbekommt."

    Zwar gibt der Pulsar 75.000 Mal mehr Energie ab als unsere Sonne – und er hat ein äußerst starkes Magnetfeld. Doch auch damit lässt sich nicht erklären, wie im Krebsnebel binnen Tagen Teilchen auf derart hohe Energien gelangen. Daher ist dieses Objekt für Teilchenphysiker im Wortsinne ein Geschenk des Himmels, erklärt Stefan Funk:

    "Diese Teilchen, die wir im Krebsnebel beschleunigt sehen, sind die höchstenergetischen Teilchen, die wir von irgend einem astrophysikalischen Objekt sehen. Das heißt, auch in dieser Hinsicht ist der Krebsnebel ein spannendes Objekt, denn es zeigt uns, dass der Krebsnebel ein wirklich sehr extremer astrophysikalischer Teilchenbeschleuniger ist."

    Der Krebsnebel ist damit ein ideales Beispiel dafür, wie Astronomie und Teilchenphysik in manchen Bereichen fast verschmelzen. Ohne Kenntnis der Vorgänge im Pulsar lassen sich die Teilchenprozesse nicht verstehen – und umgekehrt. Der Krebsnebel ist ein gigantisches Labor, in dem die Forscher jetzt noch genauer verfolgen wollen, welche Experimente die Natur dort durchführt:

    "In Zukunft werden wir versuchen, einerseits mit Fermi den Crab weiterhin zu beobachten, um zu sehen, wann es wieder so einen Ausbruch gibt. Wenn es dann wieder einen Ausbruch gibt, werden wir so schnell wie möglich mit anderen Instrumenten mit hoher Winkelauflösung, zum Beispiel mit dem Chandra-Röntgenteleskop und mit Hubble, einem optischen Teleskop, hingucken, um zu sehen, was genau innerhalb des Krebsnebels variabel ist. Dann können wir Rückschlüsse darauf ziehen, woher diese Gamma-Emission kommen könnte."

    Motto: Getrennt beobachten, vereint verstehen. Erst wenn die Forscher genau sehen, wo im Nebel was passiert, lassen sich auch die physikalischen Hintergründe klären. So lauern Stefan Funk und seine Kollegen jetzt gespannt auf das nächste Feuerwerk im Krebsnebel.