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Der Krieg gegen den Terror in Asien

Seit den Anschlägen vom 11. September steht der Kampf gegen den Terrorismus ganz oben auf der politischen Agenda. Wie sehr sich seither die politischen Prioritäten, Rechtsgrundlagen und moralischen Maßstäbe verschoben haben, lässt sich nicht nur an den Kriegen im Irak und Afghanistan ablesen, sondern auch an den weltweit verschärften Sicherheitsbestimmungen. Oder an Symbolorten wie Guantanamo und Abu Ghraib. Unter dem Eindruck des islamistischen Terrors und seiner Bekämpfung haben sich die Koordinaten verschoben - auch im Umgang zwischen Mehrheiten und Minderheiten. Zum Beispiel zwischen Russen und Tschetschenen. Oder zwischen Uiguren und der chinesischen Führung. Peking wirft Aktivisten der muslimischen Minderheit der Uiguren vor, Kontakte zum El-Kaida-Netzwerk zu unterhalten. Darüber ist bis dato so gut wie nichts bekannt gewesen - eine Doktorarbeit liefert jetzt erste Erkenntnisse: "Freiheitskämpfer oder Terroristen: Die Uiguren Chinas", lautet der Titel, Patricia von Hahn ist die Autorin. Mit der Terrorgefahr in dieser Region beschäftigt sich auch Georg Thamm in seinem Buch "Dschihad in Asien" - seine These: Russland und China sind genauso vom islamistischen Terror bedroht wie der Westen. Beide Bücher hat Albrecht Metzger für uns gelesen.

    Die Hamburger Ethnologin Patricia von Hahn plante nach Abschluss ihrer Magisterarbeit über die Uiguren, das Thema zu einer Promotion auszubauen. Sie wollte erforschen, inwiefern die chinesischen Muslime offen sind für Extremismus. Sie stieß schnell an ihre Grenzen:

    "Ich hatte beispielsweise eine E-Mail geschickt an einen Informanten in Sinkiang, den ich nicht mit Wörtern wie Terrorismus oder Separatismus konfrontieren wollte, sondern ich stellte ihm lediglich eine Frage, ob er mir zur Beziehung der Chinesen zu den Uiguren Auskunft geben könne. Und auf diese Fragen habe ich keine Antworten behalten. Dann rieten mir die Leute hier am Institut für Asienkunde, ich sollte ihn einfach mal fragen, wie es ihm geht. Und dann kam prompt eine Antwort. Es ist also möglich, dass diese Mails gelesen oder abgefangen werden."

    Das Thema nationale und religiöse Minderheiten in China ist ein heikles, besonders wenn es um die Uiguren geht.

    In Sinkiang leben rund 20 Millionen Menschen, darunter etwa 8,4 Millionen Uiguren. Nach Gründung der Volksrepublik China 1949 wurden sie wiederholt Opfer von Unterdrückungskampagnen. So trieben etwa während der Kulturrevolution in den 1960er Jahren Schergen des kommunistischen Regimes Schweine in die Moscheen, um sie zu entweihen.

    Patricia von Hahn geht in ihrem Buch der Frage nach, wie sich die chinesische Minderheitenpolitik auf die "religiöse, kulturelle, politische und ethnische Identität" der Uiguren ausgewirkt hat. Sie geht chronologisch vor, der Schwerpunkt liegt auf der Zeit nach der Gründung der Volksrepublik.

    Doch zunächst wirft Patricia von Hahn einen Blick in die Geschichte. Bereits im Qin-Reich, das 221 v. Chr. gegründet wurde und China erstmals zu einem einheitlichen Nationalstaat machte, zeichneten sich Strukturen einer Minderheitenpolitik ab, die bis heute fortbestehen. Damals wie jetzt versuchten die chinesischen Herrscher, andere Völker durch die Ansiedlung von Han-Chinesen aus ihren Gebieten zu vertreiben. Diese Politik der Vertreibung und Assimilierung beruhte auf folgendem konfuzianischen Prinzip, das laut von Hahn China nachhaltig geprägt hat:

    "Ob eine Nationalität vom Kaiser der Han legitimiert ist oder nicht, danach entscheidet sich, ob sie hochstehend oder gemein ist; ob eine Nationalität den Han gehorcht oder nicht, danach entscheidet sich, ob sie gut oder schlecht ist; ob eine Nationalität sich den Han unterwirft oder Widerstand leistet, danach entscheidet sich, ob sie geschätzt oder bestraft wird."

    So gesehen stellte die Gründung der Volksrepublik China einen Fortschritt dar. Zunächst gewährten die Kommunisten den nationalen Minderheiten weitgehende Rechte zu. Sinkiang wurde 1955 zur Autonomen Region der Uiguren erklärt, weil sie damals noch mit 75 Prozent der Bevölkerung die Mehrheit stellten. Dennoch setzte die chinesische KP in den folgenden Jahrzehnten die Assimilierungspolitik fort, was sich allein an den Zahlen erkennen lässt: Durch die Ansiedlung von Han-Chinesen machen die Uiguren heute nur noch weniger als 50 Prozent der Bevölkerung Sinkiangs aus.

    In den 1990er Jahren bildete sich Widerstand gegen die chinesische Politik in Sinkiang. Organisationen, von denen bis heute nicht ganz klar ist, welche Ziele sie wirklich verfolgten, verübten sporadisch Terroranschläge. Nach dem 11. September 2001 stieg die Regierung in Peking in den weltweiten Terrorismusdiskurs ein, warf den Uiguren vor, Anhänger Osama bin Ladens zu sein. Patricia von Hahn hält das für ein vorgeschobenes Argument:

    "In erste Linie würde ich sagen, dient der Terrorismus-Begriff, um die Probleme der Chinesen in ein aktuelles Gewand zu hüllen, und ich würde sagen, es gibt diese Gefahr nicht, aber es gibt durchaus eine radikalere Fraktion, die möglicherweise eine Gefahr werden kann. Die Uiguren als Ganze sind es bestimmt nicht."

    Für Deutschland ist die Frage nicht ohne Bedeutung, welche Ziele die Uiguren tatsächlich verfolgen. Denn in München sitzt der World Uyghur Congress, eine ihrer wichtigsten Exilorganisationen. Die Chinesen werfen dem Congress vor, den Terrorismus zu fördern. Patricia von Hahn schätzt das anders ein:

    "Meine Erfahrung ist, dass sie versuchen, die Autonomie zu bekommen, sie haben ein Recht auf Religionsausübung. Und diese Exil-Uiguren wollen diese Autonomie erlangen und sind gegen den Begriff Terrorismus. Damit gehen die auch ganz offensiv um."

    "Freiheitskämpfer oder Terroristen?" ist eine gut recherchierte Magisterarbeit. Der Stil ist aber entsprechend wissenschaftlich und steif. Zudem ist der Preis mit 55 Euro exorbitant hoch für ein Paperback von knapp 150 Seiten. Interessierten Laien, die sich einen ersten Überblick über die Geschichte Sinkiangs verschaffen wollen, sei die Lektüre dennoch empfohlen. Es gibt keine aktuelleres Werk auf Deutsch.

    International sind die Wissenschaftler, die sich mit Sinkiang beschäftigen, vielleicht an zwei Händen abzuzählen. Die meisten teilen die Meinung Patricia von Hahns: Sie halten den Terrorismus-Vorwurf der chinesischen Regierung für überzogen.

    Nicht so der "Terrorismus-Experte" Berndt Georg Thamm. Islamistische Extremisten seien eine reale Bedrohung Moskaus und Pekings, schreibt er in der Einleitung seines Buches:

    "Dementsprechend ist es mir ein sehr wichtiges Anliegen, die Probleme Russlands und Chinas mit dem `Dschihad in Asien´ aus ihrer Sicht - der Sicht der Betroffenen - darzustellen. Unser westliches Geschichtsdenken, das nicht selten gegenüber nichteuropäischen Kulturen durch seinen Dominanzanspruch auffällt, habe ich ganz bewusst stärker zurückgenommen."

    Das klingt ehrenhaft. Weil Bernd Georg Thamm aber unkritisch die russische wie chinesische Sichtweise übernimmt, gibt er gleichzeitig deren Dominanzanspruch über die auf ihrem Gebiet lebenden muslimischen Minderheiten wieder.

    So setzen die Russen den Separatismus der Tschetschenen mit islamischem Extremismus gleich; sie nennen die Anführer des Krieges, der in 1990er Jahren tobte, in einem Atemzug mit Osama bin Laden. Genau so, wie die chinesische Regierung also mit den Uiguren umgeht.

    Berndt Georg Thamm betrachtet die Konflikte in Sinkiang und Tschetschenien in erster Linie unter religiösen Aspekten. Es handele sich hierbei um islamische Kriege gegen das "Dar al-Harb", das Haus des Krieges, wie er wiederholt schreibt.

    Dabei würde ein Blick in sein eigenes Buch reichen, um zu erkennen, dass es hier im Ursprung um etwas anderes geht: Nämlich um den Kampf religiöser und ethnischer Minderheiten gegen Jahrzehnte lange Unterdrückung. In den historischen Teilen seines Buches, die im übrigen brauchbar sind, beschreibt er, wie sowohl Sowjets als auch Chinesen die muslimischen Minderheiten geradezu in den Widerstand trieben.

    "Die sowjetische Anti-Islam-Politik hatte auch im islamischen Tschetschenien desaströse Spuren hinterlassen. 1917 hatte es noch über 900 Moscheen gegeben, 1984 waren es nur noch neun."

    Ähnlich plastisch beschreibt er die Folgen der chinesischen Kulturrevolution für die Muslime in Sinkiang. Angesichts dessen ist es äußerst fragwürdig, derart unkritisch die chinesischen wie russischen Positionen zu übernehmen. Es ist eine Tatsache, dass sich internationale Dschihadisten am Krieg in Tschetschenien beteiligten. Dennoch handelte es sich ursprünglich um einen lokalen Konflikt, der mit Religion wenig zu tun hatte. Das massive russische Vorgehen gegen die tschetschenischen Separatisten trug erheblich zur Radikalisierung der Bevölkerung bei.

    Was Sinkiang betrifft, erweist sich Thamms Herangehensweise als geradezu unseriös. So zitiert er freimütig aus unveröffentlichten Manuskripten der Chinesischen Botschaft in Berlin, außerdem bezieht er sich mehrfach auf den Bericht "Terroristische Kräfte Ostturkistans", den die chinesische Regierung 2002 veröffentlichte. Der Bericht gilt unter Fachwissenschaftlern wie dem israelischen Sinologen Yitzhak Shichor als reines Propagandamachwerk. Wer derartige Quellen als Beweis für vermeintliche Terroraktivitäten der Uiguren heranzieht, muss sich die Frage gefallen lassen, wer ihn eigentlich bezahlt.

    Literatur

    Patricia von Hahn: Freiheitskämpfer oder Terroristen? Die Uiguren Chinas. vdm Verlag Dr. Müller, 156 Seiten, 59 Euro

    Berndt Georg Thamm: Der Dschihad in Asien. Die islamistische Gefahr in Russland und China. dtv premium, 280 Seiten, 15 Euro