Hans-Werner Sinn: Guten Morgen!
Spengler: Herr Sinn, die EU-Staaten haben sich zum Ziel gesetzt, aus Europa bis zum Jahr 2010 das wirtschaftlich wettbewerbs- und leistungsfähigste Gebiet weltweit zu machen. Wird das nun leichter oder schwerer?
Sinn: Das wird leichter, denn die Länder, die ja im Osten dazu kommen, sind extrem wettbewerbsfähig, was daran liegt, dass sie extrem billig sind.
Spengler: Aber das durchschnittliche Sozialprodukt der EU sinkt doch erst einmal?
Sinn: Ja gut, aber das meint man ja nicht mit Wettbewerbsfähigkeit. Damit meint man die Fähigkeit, mit preisgünstigen Produkten die Weltmärkte zu erobern.
Spengler: Und wettbewerbsfähig heißt dann auch größere Handelsmacht, größerer Markt, größere Macht?
Sinn: Ja. Ich glaube, dass die osteuropäischen Länder sehr, sehr gut ins Geschäft kommen werden. Das sieht man ja jetzt schon. Was sich da tut in Bratislava und in anderen Städten Osteuropas ist ja gewaltig. Westeuropa ist die am schnellsten wachsende Region ganz Europas, wo Audi sich etwa niedergelassen hat. Also da tut sich Gewaltiges und die werden ein Wirtschaftswunder erleben. Insofern wird auch der Beitrag zum europäischen Sozialprodukt in den nächsten Jahrzehnten deutlich steigen.
Spengler: Dann ist die Frage, was für ein Wunder wir erleben werden: ein blaues Wunder? Wie sieht es für Deutschland aus? Wird es wirtschaftlich zu den Verlierern oder zu den Gewinnern der Erweiterung zählen?
Sinn: Das ist eine nun schon sehr viel schwierigere Frage, weil die Gewinne sich nicht gleichmäßig verteilen. Sagen wir mal es gibt ein günstiges Szenarium und ein ungünstiges. Selbst das günstige ist nicht ohne Probleme. Das günstige Szenarium ist, dass wir uns hier ganz flexibel anpassen, dass wir die Marktkräfte wirken lassen und dann wird auch für Deutschland ein zusätzliches Wachstum durch die Osterweiterung möglich sein, weil wir ja auch in den Handel kommen mit den Ländern im Osten. Wir können uns spezialisieren auf die Güter, die wir besonders gut produzieren können: kapitalintensive, wissensintensive Güter. Und die normale Fabrikation verlagert sich stärker nach Osteuropa. Dann können wir den Dienstleistungssektor entwickeln, weil es immer noch günstiger ist, die einfachen Güter im Osten herzustellen, statt seine Zeit dafür zu verbrauchen. Die könnten wir für etwas Besseres verwenden und so weiter.
Spengler: Entspricht dieses Szenarium, Herr Professor Sinn, in etwa dem, was die Wirtschaftsforschungsinstitute in dieser Woche der Öffentlichkeit vorgestellt haben?
Sinn: Ja genau. Aber man darf nicht übersehen, dass dieses günstige Szenarium eben davon ausgeht, dass wir flexibel sind. Das heißt also, um es mal im Klartext zu sagen, dass durch die Schaffung eines gemeinsamen Arbeitsmarktes zwischen Deutschland und Polen eine Lohnkonvergenz auf beiden Seiten stattfindet. Das ist toll für die Polen, aber nicht für uns, so ganz bestimmt nicht für die deutschen Arbeiter, denn die Löhne kommen unter Druck. Die kommen unter Druck und werden sich nicht mehr so entwickeln können, wie das sonst der Fall gewesen wäre. Hier und da werden sie sogar fallen müssen. Was ich sagen will ist, dass diejenigen Deutschen, die einfache Arbeit eigentlich nur anzubieten haben – und das geht nach den empirischen Untersuchungen, was heißt hier einfache Arbeit, bis hin zu jemandem, der einen Hauptschulabschluss und einen Berufsabschluss hat –, sicherlich zu den Verlierern dieser Integration gehören werden.
Spengler: Nun haben wir diese Woche eine Statistik des Bundeswirtschaftsministeriums vorgelegt bekommen und die zeigt, dass zum Beispiel ein Friseur in Thüringen 3,18 Euro die Stunde bekommt und so weiter. Insgesamt ist von 670 Berufen die Rede, die einen Stundenlohn von weniger als 6 Euro bekommen. Das sind doch eigentlich schon Niedriglöhne?
Sinn: Ja. Da wird dann glaube ich auch nicht mehr viel passieren. Insbesondere der Friseur kommt ja nicht unter Wettbewerbsdruck, weil das ist ja eine Leistung für den heimischen Markt, wo dann die Konkurrenz aus Polen gar nicht da ist, es sei denn man ist an der Grenze und die Leute fahren herüber und lassen sich die Haare schneiden. Das werden sie ja ansonsten nicht tun. Das ist insofern ein Beispiel für geschützte Bereiche.
Spengler: Wer kommt denn dann unter Druck?
Sinn: Unter Druck kommen Industriearbeiter, denn der Industriearbeiterlohn auch in den neuen Bundesländern ist viermal so hoch wie in Polen. Die Unternehmen werden also Arbeitsplätze doch verlagern nach Polen hin. Die Westdeutschen kommen natürlich unter Druck genauso wie die Ostdeutschen. Die Westdeutschen eigentlich noch mehr. Die sind sechsmal so hoch. Nun gut, sie sind ein bisschen geschützter durch die größere geographische Distanz, aber Industriegüter kann man auch leicht transportieren.
Spengler: Also Sie rechnen wirklich mit dieser Abwanderung der Arbeitsplätze? Es gibt ja auch die Meinung, zum Beispiel von Rüdiger Pohl in Halle, der sagt, das größte ist eigentlich schon passiert. Das ist eigentlich schon passiert nach dem Fall der Mauer und jetzt kommt da nicht mehr viel an Verlagerung in den Osten.
Sinn: Da hat er natürlich Recht. Viel ist passiert. Ob das meiste passiert ist weiß ich nicht. Seit 1995 beobachten wir ganz intensiv diesen Prozess des so genannten Outsourcing nach Osteuropa. Das heißt die Firmen kappen ihre arbeitsintensiven Fertigungsteile hier und verlagern diese nach Osteuropa, wo die Löhne sehr viel niedriger sind. Dadurch erhalten sie ihre Wettbewerbsfähigkeit international. Die deutschen Unternehmen sind eindeutig die Gewinner dieses historischen Prozesses. Aber die Leute, deren Arbeitsplätze hier nun gekappt sind, die sind natürlich nicht die Gewinner. Das wäre ja vermessen, dies zu behaupten. Das ist also das Problem. Der Kuchen wird größer, unter günstigen Bedingungen im Westen, aber viele kriegen ein absolut kleineres Stück. Das ist die bittere Wahrheit immer eigentlich bei ähnlichen Integrationsprozessen, so auch hier. Die Politiker trauen sich nicht ganz, das auszusprechen, aber so ist es.
Spengler: Das heißt es wird Ihrer Ansicht nach weiter zu einem Lohnsenkungswettbewerb nach unten kommen. Dies aber mal zu Ende gedacht: Das können wir ja eigentlich gar nicht gewinnen, weil irgendwie müssen die Leute doch noch ihre Mieten bezahlen?
Sinn: Ja. Wir können ihn nicht wirklich gewinnen, aber wir können ihn natürlich noch viel stärker verlieren. Das ist das zweite Szenarium. Was ich jetzt beschrieben habe war das günstige Szenarium, dass der Kuchen größer wird und einige kriegen ein absolut kleineres Stück. Das ungünstige Szenarium ist, dass man sich dagegen sträubt und sagt wollen sie etwa, dass wir mit den Polen konkurrieren, machen wir doch nicht mit. Nun gut, jemand der nicht bereit ist zu konkurrieren, der geht unter. Das ist gar keine Frage, denn die Polen fragen ja nicht. Die machen ja die Konkurrenz. Die Frage stellt sich überhaupt nicht, ob man mit ihnen konkurrieren will. Die Konkurrenz ist da. Die Leute sind da. Da kann man sich drehen und wenden wie man will.
Spengler: Was ist denn unsere Schlussfolgerung?
Sinn: Die Schlussfolgerung ist, dass hier der Sozialstaat gerufen ist, um die Konsequenzen, die Einkommenskonsequenzen abzufedern für die betroffenen Bevölkerungsgruppen. Hier hat das Ifo-Institut ein Modell der aktivierenden Sozialhilfe entworfen, das die staatlichen Gelder, die zur Verfügung stehen, um weniger leistungsfähige Bürger zu unterstützen, umlenkt.
Spengler: Also Sozialhilfe zum Beispiel?
Sinn: Ja. Dass also mehr Geld in Zukunft fürs Mitmachen gezahlt wird, statt wie bisher dafür, dass man sich eben nicht integriert. Bisher haben wir ja ein Lohnersatzsystem, ob das nun Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe oder Sozialhilfe ist. Das Geld fließt immer dann, wenn man nicht arbeitet, und hört auf zu fließen, wenn man es tut. Das Problem der Zukunft wird sein, dass es Jobs gibt, aber zu niedrigen Löhnen. Diese Löhne muss man auffüllen, so dass in der Summe aus dem Lohn, den man sich selber verdient hat, und der staatlichen Zuzahlung ein sozial akzeptables Niveau heraus kommt. Wir brauchen einen besser konstruierten Sozialstaat. Ich würde in den neuen Bundesländern sogar so weit gehen, dass ich sage, dass viele der Unternehmenssubventionen umgelenkt werden sollten in ein Spezialprogramm für die neuen Länder, um solche Lohnzuschüsse zu zahlen. Denn diese Unternehmenssubventionen – da darf man sich ja nichts vormachen – die waren nicht so günstig für die ostdeutsche Bevölkerung, wie man das gemeinhin denkt. Es wurden ja auch sehr kapitalintensive Produktionsprozesse bezahlt. Das heißt wer eine Fabrik mit Werkhallen für Roboter hingestellt hat in den neuen Bundesländern, kriegt ja die staatlichen Zuschüsse genauso wie jemand, der Arbeitsplätze geschaffen hat. Das war eigentlich falsch! In einem Land, wo es eine Massenarbeitslosigkeit gibt, muss ich nicht den Einsatz des Faktors Kapital durch den Staat prämieren, sondern genau den Einsatz des Faktors, der dort im Überfluss vorhanden ist. Das ist der Faktor Arbeit. Also muss man hier total umdenken und Menschen subventionieren statt Kapital.
Spengler: Also staatliche Zuschüsse zu Löhnen, zu niedrigen Löhnen, und das ganze finanziert durch ich sage mal eine Art Wegfall der Sozialhilfe und durch ein Ende der Subventionen für Fabriken?
Sinn: Na ja, Ende und Wegfall ist ein bisschen hart gesagt, aber eine gewisse Umschichtung der Mittel. Der Eckregelsatz der Sozialhilfe kann gesenkt werden. Dafür viel mehr Hinzuverdienstmöglichkeiten und Zuschüsse. Umlenkung eines Teils der normalen Unternehmenssubventionen in diese Zuschüsse für Arbeitnehmer und dann im Übrigen ja auch Umlenkung der Mittel aus der Arbeitslosenhilfe, die ab Beginn des nächsten Jahres sowieso gestrichen wird und wovon eine Million Ostdeutsche betroffen sind.
Spengler: Verstehen Sie, dass viele Leute sagen, ach nein, die Osterweiterung wollen wir gar nicht?
Sinn: Ja sicher verstehe ich das. Das ist eben auch alles nicht so einfach. Vielleicht hätte man sich überlegen sollen, dass man nicht gleich zehn Länder auf einmal nimmt. Aber gut, es ist eine historische Chance. Ich will das jetzt nicht ins Gegenteil verdrehen. Wir müssen uns dieser Herausforderung stellen und das Problem lösen. Dann wird das letztlich auch für Deutschland eine gute Sache. Nur die Verlierer dieses Prozesses, die müssen wir halt doch kompensieren. Das halte ich für erforderlich.
Spengler: Das war Professor Hans-Werner Sinn, der Präsident des Münchener Instituts für Wirtschaftsforschung Ifo. Herzlichen Dank für das Gespräch!
Spengler: Herr Sinn, die EU-Staaten haben sich zum Ziel gesetzt, aus Europa bis zum Jahr 2010 das wirtschaftlich wettbewerbs- und leistungsfähigste Gebiet weltweit zu machen. Wird das nun leichter oder schwerer?
Sinn: Das wird leichter, denn die Länder, die ja im Osten dazu kommen, sind extrem wettbewerbsfähig, was daran liegt, dass sie extrem billig sind.
Spengler: Aber das durchschnittliche Sozialprodukt der EU sinkt doch erst einmal?
Sinn: Ja gut, aber das meint man ja nicht mit Wettbewerbsfähigkeit. Damit meint man die Fähigkeit, mit preisgünstigen Produkten die Weltmärkte zu erobern.
Spengler: Und wettbewerbsfähig heißt dann auch größere Handelsmacht, größerer Markt, größere Macht?
Sinn: Ja. Ich glaube, dass die osteuropäischen Länder sehr, sehr gut ins Geschäft kommen werden. Das sieht man ja jetzt schon. Was sich da tut in Bratislava und in anderen Städten Osteuropas ist ja gewaltig. Westeuropa ist die am schnellsten wachsende Region ganz Europas, wo Audi sich etwa niedergelassen hat. Also da tut sich Gewaltiges und die werden ein Wirtschaftswunder erleben. Insofern wird auch der Beitrag zum europäischen Sozialprodukt in den nächsten Jahrzehnten deutlich steigen.
Spengler: Dann ist die Frage, was für ein Wunder wir erleben werden: ein blaues Wunder? Wie sieht es für Deutschland aus? Wird es wirtschaftlich zu den Verlierern oder zu den Gewinnern der Erweiterung zählen?
Sinn: Das ist eine nun schon sehr viel schwierigere Frage, weil die Gewinne sich nicht gleichmäßig verteilen. Sagen wir mal es gibt ein günstiges Szenarium und ein ungünstiges. Selbst das günstige ist nicht ohne Probleme. Das günstige Szenarium ist, dass wir uns hier ganz flexibel anpassen, dass wir die Marktkräfte wirken lassen und dann wird auch für Deutschland ein zusätzliches Wachstum durch die Osterweiterung möglich sein, weil wir ja auch in den Handel kommen mit den Ländern im Osten. Wir können uns spezialisieren auf die Güter, die wir besonders gut produzieren können: kapitalintensive, wissensintensive Güter. Und die normale Fabrikation verlagert sich stärker nach Osteuropa. Dann können wir den Dienstleistungssektor entwickeln, weil es immer noch günstiger ist, die einfachen Güter im Osten herzustellen, statt seine Zeit dafür zu verbrauchen. Die könnten wir für etwas Besseres verwenden und so weiter.
Spengler: Entspricht dieses Szenarium, Herr Professor Sinn, in etwa dem, was die Wirtschaftsforschungsinstitute in dieser Woche der Öffentlichkeit vorgestellt haben?
Sinn: Ja genau. Aber man darf nicht übersehen, dass dieses günstige Szenarium eben davon ausgeht, dass wir flexibel sind. Das heißt also, um es mal im Klartext zu sagen, dass durch die Schaffung eines gemeinsamen Arbeitsmarktes zwischen Deutschland und Polen eine Lohnkonvergenz auf beiden Seiten stattfindet. Das ist toll für die Polen, aber nicht für uns, so ganz bestimmt nicht für die deutschen Arbeiter, denn die Löhne kommen unter Druck. Die kommen unter Druck und werden sich nicht mehr so entwickeln können, wie das sonst der Fall gewesen wäre. Hier und da werden sie sogar fallen müssen. Was ich sagen will ist, dass diejenigen Deutschen, die einfache Arbeit eigentlich nur anzubieten haben – und das geht nach den empirischen Untersuchungen, was heißt hier einfache Arbeit, bis hin zu jemandem, der einen Hauptschulabschluss und einen Berufsabschluss hat –, sicherlich zu den Verlierern dieser Integration gehören werden.
Spengler: Nun haben wir diese Woche eine Statistik des Bundeswirtschaftsministeriums vorgelegt bekommen und die zeigt, dass zum Beispiel ein Friseur in Thüringen 3,18 Euro die Stunde bekommt und so weiter. Insgesamt ist von 670 Berufen die Rede, die einen Stundenlohn von weniger als 6 Euro bekommen. Das sind doch eigentlich schon Niedriglöhne?
Sinn: Ja. Da wird dann glaube ich auch nicht mehr viel passieren. Insbesondere der Friseur kommt ja nicht unter Wettbewerbsdruck, weil das ist ja eine Leistung für den heimischen Markt, wo dann die Konkurrenz aus Polen gar nicht da ist, es sei denn man ist an der Grenze und die Leute fahren herüber und lassen sich die Haare schneiden. Das werden sie ja ansonsten nicht tun. Das ist insofern ein Beispiel für geschützte Bereiche.
Spengler: Wer kommt denn dann unter Druck?
Sinn: Unter Druck kommen Industriearbeiter, denn der Industriearbeiterlohn auch in den neuen Bundesländern ist viermal so hoch wie in Polen. Die Unternehmen werden also Arbeitsplätze doch verlagern nach Polen hin. Die Westdeutschen kommen natürlich unter Druck genauso wie die Ostdeutschen. Die Westdeutschen eigentlich noch mehr. Die sind sechsmal so hoch. Nun gut, sie sind ein bisschen geschützter durch die größere geographische Distanz, aber Industriegüter kann man auch leicht transportieren.
Spengler: Also Sie rechnen wirklich mit dieser Abwanderung der Arbeitsplätze? Es gibt ja auch die Meinung, zum Beispiel von Rüdiger Pohl in Halle, der sagt, das größte ist eigentlich schon passiert. Das ist eigentlich schon passiert nach dem Fall der Mauer und jetzt kommt da nicht mehr viel an Verlagerung in den Osten.
Sinn: Da hat er natürlich Recht. Viel ist passiert. Ob das meiste passiert ist weiß ich nicht. Seit 1995 beobachten wir ganz intensiv diesen Prozess des so genannten Outsourcing nach Osteuropa. Das heißt die Firmen kappen ihre arbeitsintensiven Fertigungsteile hier und verlagern diese nach Osteuropa, wo die Löhne sehr viel niedriger sind. Dadurch erhalten sie ihre Wettbewerbsfähigkeit international. Die deutschen Unternehmen sind eindeutig die Gewinner dieses historischen Prozesses. Aber die Leute, deren Arbeitsplätze hier nun gekappt sind, die sind natürlich nicht die Gewinner. Das wäre ja vermessen, dies zu behaupten. Das ist also das Problem. Der Kuchen wird größer, unter günstigen Bedingungen im Westen, aber viele kriegen ein absolut kleineres Stück. Das ist die bittere Wahrheit immer eigentlich bei ähnlichen Integrationsprozessen, so auch hier. Die Politiker trauen sich nicht ganz, das auszusprechen, aber so ist es.
Spengler: Das heißt es wird Ihrer Ansicht nach weiter zu einem Lohnsenkungswettbewerb nach unten kommen. Dies aber mal zu Ende gedacht: Das können wir ja eigentlich gar nicht gewinnen, weil irgendwie müssen die Leute doch noch ihre Mieten bezahlen?
Sinn: Ja. Wir können ihn nicht wirklich gewinnen, aber wir können ihn natürlich noch viel stärker verlieren. Das ist das zweite Szenarium. Was ich jetzt beschrieben habe war das günstige Szenarium, dass der Kuchen größer wird und einige kriegen ein absolut kleineres Stück. Das ungünstige Szenarium ist, dass man sich dagegen sträubt und sagt wollen sie etwa, dass wir mit den Polen konkurrieren, machen wir doch nicht mit. Nun gut, jemand der nicht bereit ist zu konkurrieren, der geht unter. Das ist gar keine Frage, denn die Polen fragen ja nicht. Die machen ja die Konkurrenz. Die Frage stellt sich überhaupt nicht, ob man mit ihnen konkurrieren will. Die Konkurrenz ist da. Die Leute sind da. Da kann man sich drehen und wenden wie man will.
Spengler: Was ist denn unsere Schlussfolgerung?
Sinn: Die Schlussfolgerung ist, dass hier der Sozialstaat gerufen ist, um die Konsequenzen, die Einkommenskonsequenzen abzufedern für die betroffenen Bevölkerungsgruppen. Hier hat das Ifo-Institut ein Modell der aktivierenden Sozialhilfe entworfen, das die staatlichen Gelder, die zur Verfügung stehen, um weniger leistungsfähige Bürger zu unterstützen, umlenkt.
Spengler: Also Sozialhilfe zum Beispiel?
Sinn: Ja. Dass also mehr Geld in Zukunft fürs Mitmachen gezahlt wird, statt wie bisher dafür, dass man sich eben nicht integriert. Bisher haben wir ja ein Lohnersatzsystem, ob das nun Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe oder Sozialhilfe ist. Das Geld fließt immer dann, wenn man nicht arbeitet, und hört auf zu fließen, wenn man es tut. Das Problem der Zukunft wird sein, dass es Jobs gibt, aber zu niedrigen Löhnen. Diese Löhne muss man auffüllen, so dass in der Summe aus dem Lohn, den man sich selber verdient hat, und der staatlichen Zuzahlung ein sozial akzeptables Niveau heraus kommt. Wir brauchen einen besser konstruierten Sozialstaat. Ich würde in den neuen Bundesländern sogar so weit gehen, dass ich sage, dass viele der Unternehmenssubventionen umgelenkt werden sollten in ein Spezialprogramm für die neuen Länder, um solche Lohnzuschüsse zu zahlen. Denn diese Unternehmenssubventionen – da darf man sich ja nichts vormachen – die waren nicht so günstig für die ostdeutsche Bevölkerung, wie man das gemeinhin denkt. Es wurden ja auch sehr kapitalintensive Produktionsprozesse bezahlt. Das heißt wer eine Fabrik mit Werkhallen für Roboter hingestellt hat in den neuen Bundesländern, kriegt ja die staatlichen Zuschüsse genauso wie jemand, der Arbeitsplätze geschaffen hat. Das war eigentlich falsch! In einem Land, wo es eine Massenarbeitslosigkeit gibt, muss ich nicht den Einsatz des Faktors Kapital durch den Staat prämieren, sondern genau den Einsatz des Faktors, der dort im Überfluss vorhanden ist. Das ist der Faktor Arbeit. Also muss man hier total umdenken und Menschen subventionieren statt Kapital.
Spengler: Also staatliche Zuschüsse zu Löhnen, zu niedrigen Löhnen, und das ganze finanziert durch ich sage mal eine Art Wegfall der Sozialhilfe und durch ein Ende der Subventionen für Fabriken?
Sinn: Na ja, Ende und Wegfall ist ein bisschen hart gesagt, aber eine gewisse Umschichtung der Mittel. Der Eckregelsatz der Sozialhilfe kann gesenkt werden. Dafür viel mehr Hinzuverdienstmöglichkeiten und Zuschüsse. Umlenkung eines Teils der normalen Unternehmenssubventionen in diese Zuschüsse für Arbeitnehmer und dann im Übrigen ja auch Umlenkung der Mittel aus der Arbeitslosenhilfe, die ab Beginn des nächsten Jahres sowieso gestrichen wird und wovon eine Million Ostdeutsche betroffen sind.
Spengler: Verstehen Sie, dass viele Leute sagen, ach nein, die Osterweiterung wollen wir gar nicht?
Sinn: Ja sicher verstehe ich das. Das ist eben auch alles nicht so einfach. Vielleicht hätte man sich überlegen sollen, dass man nicht gleich zehn Länder auf einmal nimmt. Aber gut, es ist eine historische Chance. Ich will das jetzt nicht ins Gegenteil verdrehen. Wir müssen uns dieser Herausforderung stellen und das Problem lösen. Dann wird das letztlich auch für Deutschland eine gute Sache. Nur die Verlierer dieses Prozesses, die müssen wir halt doch kompensieren. Das halte ich für erforderlich.
Spengler: Das war Professor Hans-Werner Sinn, der Präsident des Münchener Instituts für Wirtschaftsforschung Ifo. Herzlichen Dank für das Gespräch!
