Die Bezeichnung als "Maja" erhielten die Bilder erstmals durch die Inquisition, die 1815 den Maler des "obszönen" Bildpaares vorlud. Eine "Maja" war eine freche, freilebige aber auch stolze junge Frau der Unterschicht, die zusammen mit ihrem Pendant, dem "majo", den Urtypus spanischer Lebensart verkörperte. Die Damen der Oberschicht ließen sich gerne im Maja-Kostüm porträtieren. Goya setzte den (echten) Majas vor allem in seiner Graphikfolge "Die Caprichos" ein Denkmal. Die "Majas" - wie später die Kurtisanen in Frankreich - inspirierten die Künstlerschaft nicht zuletzt, weil sie die brisanten Zusammenhänge zwischen Kunst und Käuflichkeit aufzeigten. Ivan Nagel dazu: "Das, was mich interessiert hat im Zusammenhang auch mit diesem Bild und dann auch sozusagen mit dem Nachfolgebild der beiden Majas, mit der Manetschen Olympia, war, wie weit diese Bilder eine Message bergen, deren Wortlaut heißt: ‘Hier ich, schöne Frau, suche einen Käufer, wie das Bild, das ich bin, einen Käufer sucht’. Das heißt, wie weit hängt überhaupt dieser Beginn der Moderne damit zusammen, daß man die konventionellen Auftragsgattungen, ob es religiöse oder adlige oder staatlich verherrlichende monarchistische sind, versucht zu verlassen, und gerade als großer Maler aus dem Leben seine eigenen Sujets auszusuchen."
Zugleich untersucht Nagel die kunsthistorischen Wurzeln der "Maja"-Bilder. Überzeugend weist er nach, daß ihre Pose auf die antike Darstellung der schlafenden Ariadne auf Naxos zurückgeht. Goyas "Maja" aber ist keine unschuldig Schlafende mehr, sondern eine ihrer Reize bewußte junge Frau, vom Maler durch die Doppelung im Bild entkleidet und dem Betrachter dargeboten. Welche Dame gab sich als Modell für dieses zweideutige Rollenspielchen her? War es die Herzogin von Alba, deren Liebesgeschichte mit dem Maler durch mehrere Filme und noch mehr Kitschromane bekannt wurde? Oder war das Modell Josefa Tudó, die Geliebte des mächtigen Ministers Manuel Godoy, des vermutlich ersten Besitzers der beiden Bilder? Theaterkenner Ivan Nagel läßt à la Pirandello die sechs Hauptakteure der Geschichte um die "Majas" auftreten und deckt das komplizierte Beziehungsgeflecht zwischen ihnen auf: "Die Bedeutung der Bilder hängt schon ganz stark damit zusammen, daß die Bekleidete vermutlich ein Schutzschild vor der Nackten war, und zeitweilig so gewendet werden konnte, daß Leute, deren Augen es nicht zu gönnen war, die Nackte nicht gesehen haben. Dazu gehört eben doch spanische Geschichte und die Tatsache, daß bis zum Einzug der Franzosen nach Spanien die Inquisition ununterbrochen geherrscht hat, und daß Nackte zu malen tatsächlich etwas von Verbrechen hatte, daß mehrere Male selbst in den königlichen Sammlungen die Drohung bestand, alle Nackten-Bilder, und dazu gehörten immerhin einige der schönsten Aktbilder von Tizian und auch von Rubens, daß diese Bilder verbrannt werden sollten, und zwar dreimal im Lauf der Geschichte. Das heißt, der religiöse Druck war sehr stark, und es gab Grund genug, auch bei einem Minister, sozusagen ein Deckbild malen zu lassen, damit man die Nackte nicht sieht."
Zu den sechs Personen, die sich in sechs Jahren begegneten, passen sechs Thesen, meint Nagel. Genaugenommen handelt es sich jedoch um eine einzige These, die im Titel, "Der Künstler als Kuppler", enthalten ist und um die Wechselwirkung der beiden "Majas" kreist. Ivan Nagel zeigt, daß Goya mit der Doppelung der "Maja" als nackte und als bekleidete zwei Ziele verfolgte. Einmal war da, ganz pragmatisch, die erwähnte "Schutzschild-Funktion", die zugleich ein komisches Element enthielt: Im Mechanismus erinnert das Doppelbild an die späteren pornographischen Postkarten, wo der unanständige Bildteil von einem verschiebbarem Karton verdeckt wird. Es ging Goya jedoch um etwas anderes: Das zweite Ziel erschließt sich durch seinen Wahlspruch "Yo lo ví", "Ich habe es gesehen". Ivan Nagel erklärt: "Es ist wohl einerseits Goyas Nachdenken über das, was Körper ist, und das, was Kleid ist, und zwar unter dem weltgeschichtlichen Druck, daß der ausgezogene Leib irgendwo nicht erlaubt ist, und daß der angezogene Leib irgend etwas mit Rolle, mit Lüge zu tun hat. Daraus entsteht erst die Möglichkeit, Kleidung nicht zu benutzen, um sich gegen das Unwetter und gegen die Kälte zu schützen, auch nicht zu benutzen, um eine ursprünglich vielleicht schon mitgegebene Scham zu realisieren, sondern eben zu benutzen um sich zu verstecken, um Rollen zu spielen, um gesellschaftliche Funktionen - auch als Lügen - zu erfüllen."
Die kompromißlose Darstellung der Wirklichkeit, der sich Goya verschrieb, wird vor allem in seinem Stil sichtbar. An die Stelle der idealschönen Darstellung des weiblichen Aktes als Venus tritt die porträthaft genaue Wiedergabe des Frauenkörpers. Die Doppelung der "Maja" verstärkt die Materialität der Bilder, bestimmt aber auch das Verhältnis zwischen Bild und Betrachter. "Was Goya dann in dieser Situation, in dieser Faktizität malt, ist einerseits der pornographische, voyeurhafte Charakter des Aktbildes, den ja nicht das Modell, sondern der Maler im Bund mit dem Mäzen, mit dem Käufer erst herstellt, und andererseits etwas, das es bis dahin im westeuropäischen Aktbild nicht gibt, nämlich die Selbständigkeit des Modells, ein Blick, der sagt: du magst mich kaufen, aber ich gehöre dir nicht, und diese Selbstbehauptung im Blick, in der Haltung der Majas, das ist das Erstaunliche und das Neue."
Am Ende bleiben viele Fragen offen: Ivan Nagel plädiert gegen eine aufklärerische Bildinterpretation und für die Erhaltung jener Aura des Geheimnisvollen, die Goyas "Majas" von jeher umgibt. Sein essayistischer Text greift Fakt und Legende gleichermaßen auf, mischt alles kräftig durcheinander und läßt aus den Puzzlestücken ein neues, vielseitiges Bild entstehen. Ivan Nagel erweist sich als origineller Denker und wunderbarer Erzähler, der mit königlichen Bettintrigen und kunsthistorischer Motivforschung gleichermaßen unterhält.