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Der künstlerische Blick auf die eigene Identität

Das Jüdische Museum in Berlin beschäftigt sich anlässlich seines zehnjährigen Bestehens mit dem Entstehen kollektiver Identität. Kuratorin Cilly Kugelmann legt bei der Ausstellung Wert auf autobiografische Arbeiten und klammert das Politische bewusst aus.

Cilly Kugelmann im Gespräch mit Rainer Berthold Schossig | 15.09.2011
    Rainer Berthold Schossig: Was ist Heimat? Das ist eine nie alternde Frage, die immer wieder neu beantwortete werden will. Und jetzt versucht sich darin das Jüdische Museum in Berlin. Zum zehnjährigen Bestehen lässt man dort ab morgen 30 Künstler den Blick auf Deutschland richten, in einer Ausstellung namens "Heimatkunde". Doch es ist nicht der jüdische Blick, sondern es sind Anschauungen diverser Minderheiten über Deutschland, von Künstlern ganz unterschiedlicher Hautfarbe, Herkunft und Sozialisation, die die Kuratorin Cilly Kugelmann versammelt hat.

    Ich habe vor der Sendung mit der künstlerischen Leiterin des Jüdischen Museums gesprochen und ich habe sie gefragt: Heimat, gesehen aus Nischen und schrägen Blickwinkeln von Randgruppen und Grenzgängern aus aller Welt. Haben Sie bewusst Künstler mit gebrochener Biografie ausgewählt?

    Cilly Kugelmann: Also, unsere These ist, dass es gar keine ungebrochene Biografien gibt, wahrscheinlich bei Künstlern zumal. Und dass auch die hier immer schon ansässig gewesenen in diesem Sinne auch keine glatten Biografien haben. Oder unsere These ist, dass es so was eigentlich überhaupt nicht gibt. Und dass, wenn wir diese Position uns anschauen, natürlich das Reservoire an Ideen und Mythen bei denen, die hier immer schon waren, aus der deutschen Geschichte und Geistesgeschichte kommen, während die, die hier zugereist sind, aus einem anderen Mythenreservoire schöpfen.

    Schossig: Das Zusammentreffen eines Regenschirms und einer Nähmaschine auf einem Seziertisch, das nannten die Surrealisten Depaysement. Arbeiten Sie auch etwa mit diesem Muster? Wäre das vergleichbar?

    Kugelmann: Das würde ich so nicht sagen. Also, es geht hier nicht um absurde Zusammenhänge, sondern es geht um das Zusammenklingen von Biografie, Herkunftskultur, neuer Kultur und der Frage, wo man sich geografisch und autobiografisch verortet und ob es noch so was gibt wie eine kollektive deutsche Identität.

    Schossig: Heimatgefühl, Nationalbewusstsein, das ist ja zweierlei. Also nationales Pathos einerseits, heimatliche Umgebung im kleinen, das hat ja nichts miteinander gemein. Wie geht das bei Ihnen jetzt zusammen, bei den Künstlern zusammen? Können Sie da Beispiele geben, wie die mit politischer Korrektheit, mit der Geschichte nationalen Größenwahns, mit Fremdenhass und Akklimatisierung umgehen?

    Kugelmann: Die meisten beschreiben gar keine großen politischen Themen und wir haben auch sehr bewusst Kunst nicht mit einbezogen, die als politische Kunst gilt, also eine Kunst, die das Medium der Kunst benutzt dafür, um politische Zusammenhänge zu thematisieren. Das haben wir sehr bewusst ausgespart, sondern wir haben Arbeiten gesucht, die das auf eine subtilere und vielleicht auch auf eine persönlichere Weise tun. Wir haben zum Beispiel einen Künstler, Arnold Dreyblatt, der sich eigentlich immer mit der Sprache des Nationalsozialismus und mit den Dokumenten des Nationalsozialismus auseinandergesetzt hat und der zum ersten Mal eine sehr autobiografische Arbeit gemacht hat. Und zwar ist er ähnlich vorgegangen wie bei seinen anderen Arbeiten, wo er sehr stark Archivalien mit einbezogen hat, aber diesmal hat er ausschließlich das Archivmaterial seiner eigenen Familie benutzt.

    Oder wir haben ein türkisches Geschwisterpaar aus Frankfurt, die haben die Ereignisgeschichte der 70-er- und 80er-Jahre in eine große Tapete aus dieser Geschichte gestaltet und vor diese Tapete Bilder gehängt, die ihre autobiografische persönliche Familiengeschichte auf dem Hintergrund der deutschen und internationalen Geschichte erzählen.
    Julian Rosefeldt hat in einer Vierfachprojektion das Thema des deutschen Waldes als Film produziert und Via Lewandowsky einen Wartesaal, in dem man sich setzt und dann geht die Türe zu und nach einer Weile kommt eine Akustikinstallation, die mit Aspekten des Buches "Prediger" in Hebräisch und anderen Geräuschen eine Klanginszenierung bildet. Also, das sind sehr, sehr unterschiedliche Arbeiten.

    Schossig: Genau! Es klingt sehr disparat, Frau Kugelmann. Was erwarten Sie sich von den Zuschauern? Sollen die sich wiedererkennen, sollen die sich erstaunt vor Fremdem wiederfinden? Was ist Ihr erkenntnisleitendes Interesse?

    Kugelmann: Das ist, dass die Definition von beheimatet sein eine ist, die sich aus vielen Elementen zusammensetzt, dass wir in einer Welt leben, die so was wie multiple Identitäten herstellt. Und dass das Gefühl von Heimat oder der Eindruck von Heimat und die Auseinandersetzung mit dem Ort, an dem man lebt, sehr vielfältig sein kann und trotzdem alles zusammen eine Klangfarbe abgibt, mit der man sich identifizieren kann qua kollektiver Identität, wenn man das so sehen möchte.

    Schossig: Das war Cilly Kugelmann vom Jüdischen Museum in Berlin über ihre Ausstellung "Heimatkunde - 30 Künstler blicken auf Deutschland".

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.