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Der kulturelle Wind dreht sich

Bei der 12. Deutschen Konzerthauskonferenz haben die Teilnehmer einen tiefgreifenden Umbruch diagnostiziert. Ihr Sprecher Benedikt Stampa, der Intendant des Konzerthauses Dortmund, erkennt neue Zielgruppen, die beispielsweise akustische Popmusik im Programm erwarten.

Benedikt Stampa im Gespräch mit Christoph Schmitz |
    Christoph Schmitz: Konzerthäuser in Deutschland werden zurecht als kulturelle Schlüsselinstitutionen gelobt. Die Konzerthäuser in Berlin und Dortmund, die Philharmonien in Berlin, Essen und Köln, die Tonhalle in Düsseldorf, der Gasteig in München, das Gewandhaus in Leipzig, die Alte Oper in Frankfurt, die Musik- und Kongresshalle in Lübeck und viele weiter Häuser mehr - was wäre vor allem das klassische Musikleben ohne sie! Aber die Zeiten verändern sich auch für diese Einrichtungen, die sich vielfach finanziell selbst tragen. Der kulturelle Wind dreht sich, scharfe, laue und dünne Lüftchen wehen auf, über die sich Ende letzter Woche die 12. Deutsche Konzerthauskonferenz in der Alten Oper in Frankfurt Gedanken gemacht hat. Der neue Sprecher der Konzerthauskonferenz ist der Intendant des Konzerthauses Dortmund, Benedikt Stampa. Mit ihm bin ich nun telefonisch verbunden. Guten Tag, Herr Stampa.

    Benedikt Stampa: Guten Abend. Ja hallo!

    Schmitz: Die Konferenz diagnostiziert einen "tief greifenden Umbruch", wie es heißt, in der klassischen Musikszene. Worin besteht der, Herr Stampa?

    Stampa: Na gut, der Umbruch besteht einerseits in den Ansprüchen des Publikums an unser Programm, gleichzeitig aber auch in dem Anspruch der Künstler an die Konzerthäuser. Das heißt, das Publikum, was ja in seiner Art sehr vielfältig ist und gar nicht über einen Kamm geschoren werden kann, teilt sich immer mehr auf in verschiedene Gruppen. Es gibt den passionierten Hörer, es gibt den Einstiegshörer, es gibt die jungen Hörer, es gibt also eine große Anzahl von verschiedenen, ich nenne es mal, Zielgruppen, die man mit spezifischen Programmen ansprechen muss. Und sozusagen dieser Wandel in der Diversifizierung vollzieht sich seit einigen Jahren ziemlich rasant. Darauf müssen die Konzerthäuser und sowieso die Kulturanbieter reagieren.
    Das andere sind die Anbieter, sozusagen die Künstler, die vielfältigere Anforderungen an Konzerthäuser stellen als noch vor Jahren. Beispielsweise bevorzugen große Orchester große Dirigenten - wir haben gerade Thielemann gehört in Dresden -, bevorzugen große Residenzen an Konzerthäusern mit mehreren Tagen vor Ort. Das alles sind Herausforderungen, die wir seit Jahren spüren und auf die wir reagieren müssen.

    Schmitz: Wenn Sie von Ansprüchen des Publikums sprechen, meinen Sie damit auch, dass das Publikum nicht immer nur Klassik hören will, sondern dass die Musikvorlieben sich auch so weit ausdifferenziert haben, dass man über die Symphoniekonzerte und Kammerkonzerte auch Jazz, Rock und Heavy Metal mit anbieten muss in Konzerthäusern?

    Stampa: Genau das ist der Punkt. Einerseits ist das Publikum relativ gesehen anspruchsvoll geworden im Sinne von "wir wollen klassische Musik in verschiedenen Qualitätsstufen hören". Qualität ist ein ganz wichtiger Begriff. Es gibt halt die sogenannten Vielfachnutzer, die alles gehört haben, die man auf andere Weise reizen muss. Es gibt den Einstiegshörer, den man mit Mozart und Beethoven gewinnen kann. Darüber hinaus gibt es aber auch, wie Sie richtig gesagt haben, Hörer, die vielfach jetzt in den Bereich der akustischen Popmusik gehen wollen, die Weltmusik hören, die beides zusammen hören wollen. Also es gibt eine inhaltliche Herausforderung, diesen Menschen, diesen Hörern gerecht zu werden, und dafür brauchen wir programmatisch intakte Konzerthäuser.

    Schmitz: Welche Veränderungen konkret müssen das sein? Stichwort Spektrum an Genre, Bindung des Publikums, Bindung der Künstler und so weiter.

    Stampa: Vielleicht kann man das mit dem Aspekt des Theatralischen umschreiben. Konzerthäuser sind oder waren in der Regel Häuser, in denen Orchester gastierten, abends Anspielproben machten und dann morgens wieder weggefahren sind. Hier muss eher theatralisch gedacht werden, also Künstler ans Haus zu binden, sie über mehrere Jahre zu binden, sie mit verschiedenen Konzerten dem Publikum näherzubringen, sie eben auch in einem besten Sinne hin erziehen auf die Musik. Also den Dialog zu verstärken zwischen Haus und Künstler und Publikum, und das auf vielfältige Art, sind im Prinzip fast dramaturgische Aufgaben, die hinter den Programmen stehen, und das, glaube ich, ist unsere große Herausforderung.

    Schmitz: Also kein Sammelsurium an Abenden, sondern ein Charakter muss entwickelt werden?

    Stampa: Genau.

    Schmitz: Aber was kann so was sein? Ja wohl nicht, dass man immer dieselben Künstler hat, die man ans Haus gebunden hat. Das wäre nur eine Wiederholung.

    Stampa: Das ist die Kunst. Die Kunst des Programms besteht darin, einerseits Wiederholungen nicht allzu redundant erscheinen zu lassen, sondern als etwas, wo man hingehen will, also was Anziehendes, gleichzeitig aber Künstler aufzubauen. Man kann ja auch Künstler lokal aufbauen, man kann Formate entwickeln, wie in Dortmund die Jungen Wilden, die Zeitinsel und andere Exklusivkünstler, also Formate schaffen, an denen sich das Publikum orientieren kann, wo sie auch Hilfen bekommen, wo sie über die Jahre hinweg mitwachsen können, also hier programmatische Fenster zu schaffen in dem großen Strom des ansonsten sehr anonymen Musiklebens.

    Schmitz: Haben die Konzerthäuser in dieser Hinsicht schon etwas getan, oder haben sie auf die Umbrüche bisher noch gar nicht reagiert und den Wandel verschlafen?

    Stampa: Es passiert sehr, sehr viel seit Jahren schon. Was ich erstaunlich finde ist sowieso der große Boom der neuen Konzerthäuser. Nehmen wir Dortmund als Beispiel, Essen, in Paris wird ein neuer Konzertsaal gebaut, Luxemburg hat einen neuen Konzertsaal bekommen, in Dresden diskutiert man gerade einen neuen Konzertsaal, Hamburg, in München auch, und in Hamburg erweitert man quasi die Neuordnung des Musiklebens, also nichts weniger als das. Mit einem Konzertsaal verbinden sich heutzutage sehr viele programmatische inhaltliche Erwartungen, und da sind die Kollegen wie wir schon auf einem sehr, sehr guten Weg. Es geht sehr rasant und das muss sozusagen innerhalb der Häuser auch kommuniziert werden.

    Schmitz: Herr Stampa, ganz kurz noch ein Wort zur finanziellen Ausstattung. Ist das richtig: Die Häuser müssen doch selbst ihre Gelder erwirtschaften?

    Stampa: Der Eigenfinanzierungsanteil von Konzerthäusern ist schon extrem hoch. Aber in der Regel sind Konzerthäuser, die intendantengeführt sind, schon noch mit Subventionen bestückt.

    Schmitz: Benedikt Stampa, vielen Dank für das Gespräch.

    Stampa: Ich danke.

    Schmitz: Das war der Intendant des Konzerthauses Dortmund und Sprecher der Deutschen Konzerthauskonferenz über Perspektiven für ihre Einrichtungen.


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