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Der Kunstwald

Michelangelo Pistoletto ist Vertreter der Arte povera, Kunst der armen Materialien. In dieser Konzeptkunst werden einfache Mittel wie Erde, Holz und Eisen bevorzugt. Auf einer Lichtung im Wald schuf der Künstler nun sein erstes Landartobjekt.

Von Thomas Migge | 06.12.2011
    Rund 40 Minuten sind es von der Basilika des Heiligen Franziskus aus. Erst durch ein altes Tor und dann bergab und geradeaus, durch einen Wald, der immer wieder malerische Ausblicke auf die Landschaft bietet.

    "Il bosco di San Francesco", der Wald des heiligen Franziskus, heißt das sicherlich ungewöhnlichste Projekt, um das sich der FAI kümmert. Der Fondo Ambiente Italiano, kurz FAI, ist Italiens wichtigste private Einrichtung zum Schutz von Kulturgütern. Vor einigen Jahren bekam der FAI circa 60 Hektar Land von einer Bank geschenkt. Ein kurioses Geschenk, berichtet Ilaria Borletti Buitini, Präsidentin des FAI:

    "Diese Schenkung führte dazu, dass wir uns zum ersten Mal Gedanken dazu machten, wie man so einen Wald restaurieren und zu einem Ort machen kann, in dem Kunst und Natur zusammenfinden."

    In zwei Jahren wurde der Wald, der direkt unterhalb der Burg von Assisi liegt und in dem der heilige Franz meditiert haben soll, aufgeräumt: 30 Tonnen Müll, darunter 362 Autoreifen, wurden entfernt. Der FAI restaurierte eine Mühle, eine heruntergekommene Benediktinerkirche aus dem 12. Jahrhundert - und der Maler und Bildhauer Michelangelo Pistoletto erhielt den Auftrag, ein Kunstwerk für den Wald zu schaffen. Pistoletto gilt als einer der Begründer und Protagonisten der Arte Povera, eine Form der Konzeptkunst, die einfache Mitteln wie Erde, Holz und Eisen bevorzugt. Zum ersten Mal überhaupt schuf der Künstler, auf einer Lichtung mitten im Wald, nun ein Landartobjekt.

    "In diesem Landartkunstwerk gibt es auch einen sehr technischen Aspekt: eine hohe Antenne. Sie soll daraufhin weisen, dass ein positives Naturverständnis moderne Technologien nicht a priori ausschließen muss."

    Pistoletto entwarf ein, wie er es nennt, ökologisch einwandfreies Kunstwerk. Es soll eine neue Beziehung zwischen Mensch und Natur herauf beschwören. Luca Chiarini, den für den Wald des heiligen Franziskus verantwortlichen Direktor des FAI, überzeugt das Konzept:

    "So ein Kunstwerk gibt dem Waldbesucher die Möglichkeit, die Thematik von Natur und Mensch zu reflektieren. Pistoletto schuf mit 121 Olivenbäumen drei Ringe mit einem Durchmesser von 10 bis 20 Metern. Die beiden kleineren Ringe symbolisieren die künstliche Welt des Menschen und die unberührte Natur. Der größere Ring ist ein Symbol für das neue Verhältnis zwischen Mensch und Natur. Wir hoffen, dass wir in Zukunft weitere Landartkunstwerke im Wald schaffen können."

    Pistolettos Werk aus drei Olivenbaumringen trägt den Titel "drittes Paradies". Damit meint der Künstler jenen Ort, in dem das Künstliche des vom Menschen Geschaffenen wieder mit der ursprünglichen Natur zusammenfindet:

    "Mein Kunstwerk soll die Möglichkeit, die Hoffnung, den Traum einer neuen Zeit darstellen, in der wir wieder mit der Natur eins werden. Das hört sich sicherlich ein wenig naiv an, aber ich denke mir, dass wir Menschen gar keine andere Möglichkeit haben, als dieses Ziel anzustreben, wenn wir als Spezies nicht untergehen wollen. Uns bleibt nichts anderes als das dritte Paradies, das alles wieder ins Lot bringt."

    Michelangelo Pistolettos Landart übt auf den Betrachter, der aus dem dichten Wald heraustritt, einen großen Reiz aus: Von einem Moment auf den anderen befindet man sich auf einer ovalen Lichtung mit einem mittelalterlichen Turm und den Olivenbäumen des Kunstwerks von Pistoletto. Doch der beste Blick auf die Landartpflanzung des Protagonisten der Arte Povera hat man aus der Luft - oder vom Wehrturm der Burg von Assisi aus, die hoch über dem Wald auf einem Hügel liegt, über eine halbe Stunde Fußweg entfernt.