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Der Lachs und die Laus

Zoologie.- Wer beim Lachskauf umweltbedacht handeln möchte, steht vor einem Problem: So schont der Lachs aus der Aquakultur zwar die Wildbestände, steht aber gleichzeitig im Verdacht, dem wilden Lachs durch die Ansammlung von Parasiten sehr zu schaden. Ein falscher Vorwurf?

Von Tomma Schröder | 14.12.2010
    Läuse sind für Lachse mindestens genauso unangenehm wie für den Menschen. Sie knabbern die Tiere an, ernähren sich von ihrem Schleim, ihrer Haut, ihrem Blut. Erwachsene Lachse können sich gegen diese lästigen Angriffe der Krebstiere zur Wehr setzen. Ganz anders bei den Junglachsen: Sie können bei zu starkem Befall durch die sogenannten Lachsläuse sterben. Als besonders gefährdet gelten sie, wenn sie auf ihrem Weg ins Meer an Aquakulturen mit Lachs vorbeischwimmen müssen. Denn die Fischfarmen sind wahre Brutstätten der Lachsläuse: Viele Opfer auf wenig Raum.

    Immer wieder sind die Aquakulturen und die von dort ausschwärmenden Lachsläuse daher für den Rückgang von wilden Lachsbeständen verantwortlich gemacht worden. So auch in Kanada, als die Buckellachsbestände im Broughton Archipel vor der Westküste 2002 um 97 Prozent einbrachen. Gary Marty, Tierpathologe und Experte für Fischkrankheiten an der Universität von Kalifornien in Davis, zweifelt in einer aktuellen Studie im Fachmagazin "PNAS" trotzdem an der Schuld der Läuse.

    "Forscher sind rausgefahren und haben wilden Buckellachs gefangen. Sie teilten die Tiere in zwei Gruppen, je nachdem ob sie von Lachsläusen befallen waren oder nicht. Die Gruppe mit Lausbefall wies eine höhere Sterblichkeit auf. Aber das Problem bei dieser Studie ist: Man weiß nicht, ob die Tiere wegen der Lachsläuse schneller sterben oder ob die Lachsläuse sich nur deswegen an sie hefteten, weil sie ohnehin krank waren."

    Um dieser Frage nachzugehen, haben Gary Marty und seine Kollegen zunächst einmal Daten gesammelt und ausgewertet. Zum ersten Mal gelang es den Wissenschaftlern dabei, neben langjährigen Bestandszahlen und Produktionszahlen auch von den Fischfarmen Zahlen zum Lachslaus-Befall in den Aquakulturen zu erhalten. Und die, so Marty, widersprechen vielen bisher veröffentlichten Studien, die einen direkten Zusammenhang zwischen der Anzahl der Lachsläuse und dem Rückgang der Wildlachsbestandes sehen.

    "Die Generation der Buckellachse, die 2002 so einen starken Zusammenbruch erlitt, war in ihrer Jugend etwa sieben Millionen Lachsläusen aus Aquakulturen ausgesetzt. Wenn man nun aber ein Jahr zurückgeht, sieht man: Die Generation von 2001, als es eine Rekordzahl bei den laichenden Wildlachsen gab, war in ihrer Jugend neun Millionen Läusen ausgesetzt. Allein diese beiden Informationen zeigen uns doch, dass etwas anderes als die Lachsläuse die Tiere getötet haben muss."

    Gary Marty hat auch eine Vermutung, was es gewesen sein könnte. Die blutenden Flossen, die damals an einigen Tieren beobachtet wurden, wiesen auf eine bakterielle Infektion hin, so der Veterinär-Pathologe. Bestätigen lässt sich diese Vermutung heute allerdings nicht mehr. Ein Versäumnis, das den Wissenschaftler ärgert.

    "Als Veterinäre/Tierärzte sind wir sehr frustriert, weil die eigentliche Frage nie gestellt wurde. Und diese Frage ist doch: Was schadet dem Buckellachs? Wenn wir als Veterinäre/Tierärzte einen kranken Fisch sehen und nicht wirklich wissen, was da passiert ist, dann machen wir doch eine komplette medizinische Untersuchung! Das würde bedeuten, dass man die Lachsläuse zählt, aber dass man eben auch eine bakteriologische, eine virologische und – das ist wahrscheinlich das Wichtigste – eine pathologische Untersuchung macht."

    Um den immer wieder auftretenden plötzlichen Einbrüchen der Lachsbestände auf den Grund zu gehen, hat Gary Marty in einer Studie für die Jahre 2007 und 2008 genau dies getan.

    "Es zeigte sich, dass von 1070 Fischen, die wir untersucht haben, zwei durch Lachsläuse infiziert waren. Gleichzeitig vermuten wir bei 30 Prozent der Fische, dass sie Giftstoffen ausgesetzt waren. Deshalb würden wir vorschlagen, dass man mehr Zeit auf die Frage verwenden sollte, was 30 Prozent der Fische getötet haben könnte, als darauf, was zwei Fische getötet hat."

    Ein Ergebnis, das sich allerdings nicht ohne Weiteres auf die Situation des in Europa heimischen Atlantischen Lachses übertragen lasse, warnt Gary Marty. Denn der quält sich wiederum mit einer genetisch anders ausgestatteten Lachslaus herum, die vermutlich schädlicher ist als ihre pazifischen Verwandten. Doch auch hier, meint Gary Marty, wäre schon viel gewonnen, wenn kranke Tiere umfassend medizinisch untersucht würden.