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Der lächelnde Dritte

Nach den Bedingungen des Versailler Vertrages von vor 90 Jahren wurden einige zehntausend Deutsche im westlichen Teil der Eifel über Nacht zu Belgiern. Ihre Nachfahren empfinden das heute als Glücksfall. Denn diskret aber selbstbewusst hat die kleine deutschsprachige Minderheit ihre Wünsche im komplizierten belgischen Staatsgefüge durchgesetzt.

Von Katrin Matthaei |
    Im Halbkreis sitzen zehn Herren auf dem Podium - Politiker, Schriftsteller, Journalisten und Unternehmer - das "who is who" der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens. 74.000 Einwohner, ein Gebiet fast so groß wie Berlin, in der Mitte geteilt durch das Hochmoor Hohes Venn. Hier zu sitzen, im schicken steuerfinanzierten Konferenzsaal eines eigenen Ministeriums, und über die eigene Identität als deutschsprachiger Belgier zu diskutieren - das ist Luxus - und jedem hier ist das klar.

    "Wenn es nicht die Föderalisierung Belgiens gegeben hätte, dann, würde ich jetzt mal prognostizieren, dass es hier heute keine deutsche Sprache mehr gäbe. Es hätte es eine Assimilierung in den französischen Sprachraum gegeben und bestenfalls das Aufrechterhalten einiger Minderheitenrechte mit einigen Volkstanzgruppen, Sprachunterricht und sonstigen kulturellen Besonderheiten","

    sagt Karl-Heinz Lambertz, ehrgeiziger Ministerpräsident der Deutschsprachigen Gemeinschaft. Die Tradition seiner Vorgänger führt er fort: Ein bisschen Verhandlungsgeschick - und aus dem Sprachen- und Kompetenzstreit zwischen Flamen und Wallonen gehen die Deutschsprachigen als lächelnde Dritte hervor. In den 80er Jahren sicherten sie sich auf diese Weise ihre kulturelle Autonomie. Ein Meilenstein in der Entwicklung - und für das Selbstbewusstsein.

    Bis dahin hatte der Deutschsprachigkeit noch latent das Nazi-Image vom Überfall Hitlers auf Belgien angehaftet. Bis in die 70er Jahre gab es noch eine Art Gesinnungstest, erinnert sich Rudi Schröder, Direktor des deutschsprachigen Rundfunks in Belgien:

    ""Da ging es wirklich um die Frage: Kommst du aus einer pro-deutsch denkenden oder einer belgisch-patriotisch gesinnten Familie. Als ich mit 20 Jahren als Sportreporter beim belgischen Rundfunk angefangen habe, war das die Kardinalfrage: Denkt dieser Mensch, dieser Rudi Schröder, belgisch genug, um beim belgischen Rundfunk den Sportreporter machen zu dürfen. Heute arbeiten im Ministerium der DG auch deutsche Staatsbürger - das ist überhaupt keine Frage mehr."

    Auch nicht, dass Wirtschaftsentwicklung und europäische Vernetzung längst oberste Priorität haben. Mit einer Arbeitslosenquote von rund acht Prozent steht die deutschsprachige Gemeinschaft gut da. Emsig treibt sie die Vernetzung mit den Niederlanden, Deutschland und Luxemburg weiter, investiert ein Großteil ihres 185 Millionen Euro-Budgets in Bildung und mehrsprachige Kinderbetreuung. Nach wie vor aber untersteht die Gemeinschaft in vielen nicht-kulturellen Bereichen, der französischen Mutter-Region Wallonie. Zum Beispiel bei der Ausschreibung neuer Industrie- und Wohngebiete. Ein Klotz am Bein, findet Rudi Schröder:

    "Weil da einfach die wallonische Behörde an sich schon schwerfällig ist, und wenn es dann um Belange der Deutschsprachigen geht, da dauert es noch etwas länger. Es ist inzwischen auch den Wallonen klar, dass es nicht sinnvoll ist, auf Dauer an diesen Zuständigkeiten festzuhalten."

    Mehr noch - die Deutschsprachige Gemeinschaft will selbst zur Region werden. Mit ihrem Bevölkerungsanteil von knapp einem Prozent will sie die gleiche Autonomie wie Wallonie, Flandern und Brüssel auch. Das kann wenn überhaupt nur dann klappen, wenn der belgische Staat den Dauerstreit zwischen Flamen und Wallonen überlebt. Auch deshalb fühlen sich die Deutschsprachigen als Vollblut-Belgier und beobachten mit Bauchweh die immer lauter werdenden Forderungen Flanderns nach einer Teilung Belgiens. Notgedrungen gibt es auch dafür einen Plan B, verrät der Eupener Schriftsteller und Journalist Freddy Derwahl:

    "Ganz einfach das zu bleiben, was wir sind: eine autonome Gemeinschaft, Region, aber innerhalb der Region Wallonien - so haben wir immer einen starken Partner, und wir bleiben als eine Minderheit immer etwas Besonderes. In Deutschland wären wir der Rest der Welt, und Luxemburg will uns nicht - ja, und dann die totale Selbständigkeit - sozusagen Klein-Monaco im Ardennen-Wald - dafür wird es nicht reichen."