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Der lange Schatten des Caudillo

Als eine der Madrider Universitäten vor wenigen Wochen dem ehemaligen Chef der Kommunistischen Partei Spaniens, Santiago Carrillo, die Ehrendoktorwürde verlieh, kam es vor der Zeremonie zu Tumulten im Gebäude der Universität.

Von Gregor Ziolkowski | 26.11.2005
    "Mörder! Mörder!" skandierten drei Dutzend junge Leute, "Faschisten raus aus der Universität!" antworteten empört andere.
    Die nie belegten Mordvorwürfe gegen den heute 90-jährigen Carrillo gehen auf das Jahr 1936 zurück. Da organisierte er den Widerstand der belagerten Hauptstadt Madrid gegen die Truppen des Generals Francisco Franco. Nach dem Tod des Caudillo spielte Carrillo eine wichtige Rolle beim Übergang Spaniens von der Diktatur zur Demokratie. Die Bereitschaft der Kommunisten, keinen revolutionär-umstürzlerischen Kurs einzuschlagen und sich stattdessen einen parlamentarischen Platz in der konstitutionellen Monarchie zu erarbeiten, galt und gilt als bahnbrechend für die weitgehend friedliche Einführung der Demokratie in Spanien.
    Der frischgebackene Ehrendoktor Carrillo musste die Universität durch einen Hinterausgang verlassen, um eine weitere Eskalation zu vermeiden. Seine damals abgegebene Erklärung mahnte jenen Geist des friedlichen Übergangs an, den er bei den Demonstranten vermisste.

    "Sie hätten wenigstens bedenken sollen, dass wir alle beim Übergang zur Demokratie diese Vergangenheit begraben wollten. Wir haben damals auch ihnen verziehen, wir haben uns gegenseitig verziehen. Und wenn sie das nicht verstehen, weiß ich nicht, ob sie das Recht haben, sich Spanier zu nennen. "
    Mit diesen Worten hatte der Altkommunist die Situation sehr genau beschrieben. Der Versuch, die Vergangenheit schnell ad acta zu legen, verurteilt Spanien heute – dreißig Jahre nach dem Tod Francos – dazu, die alten Konflikte neu auszutragen.
    Der so genannte Pakt des Schweigens, der die alten Rechnungen, aber auch eine Aufarbeitung der Vergangenheit zugunsten einer schnellen Installierung demokratischer Strukturen aufschob, ist kein Sonderfall in der jüngeren europäischen Geschichte: Hatte nicht auch Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine Generation lang geschwiegen, bis 1968 das rebellische Nachfragen der Studenten dieses Schweigen unterbrach? In der Sowjetunion mussten mehr als dreißig Jahre nach dem Tod Stalins 1953 vergehen, bis die Perestroika die verordnete Stille über die Verbrechen des Diktators beendete.
    Das russische Beispiel mag illustrieren, worauf solche Schweigeabkommen ganz wesentlich gründen: auf der Angst vor einem Roll-Back. So wie mit der Absetzung Nikita Chruschtschows 1964 eine zügige Restalinisierung der Gesellschaft einsetzte, die engagierte Anti-Stalinisten in Schwierigkeiten brachte, so verzeichnete auch der andere Rand Europas eine Episode, bei der die Verhältnisse zurückgedreht werden sollten.
    Am 23. Februar 1981 stürmten bewaffnete Militärs das Parlament in Madrid. Es fielen Schüsse, der Ausnahmezustand war vorbereitet, in der Provinz Valencia wurde er über das Radio bereits verkündet, Panzer rollten auf den Straßen der Provinzhauptstadt.
    Der Putschversuch rechter Militärs, dessen oberster Drahtzieher nie ermittelt wurde und der bis heute nur als "der weiße Elefant" durch die Gazetten geistert, scheiterte vor allem, weil der spanische König Juan Carlos I. eine klare Position bezog: Er werde keinesfalls eine Putschregierung der Militärs anerkennen, ließ er die Aufrührer wissen, die daraufhin aufgaben.

    Als der Putsch überwunden war, wandte sich der König mit einem Bekenntnis zur Verfassung von 1978 an das Volk. Die Demokratie war gerettet, aber wer hätte garantieren können, dass es nicht bald einen erneuten Putschversuch geben würde?

    Wo es nicht die Angst war, ließ eine gewisse Ignoranz das Thema der Aufarbeitung des Franco-Regimes in den Hintergrund treten: Spanien, seit Mitte der 80er Jahre in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, war von einer rasanten Dynamik des Aufschwungs erfasst. Von der Gegenwart und der Zukunft ganz in Anspruch genommen, wurde der Blick zurück von vielen nicht als die dringlichste Angelegenheit empfunden.
    Auf der anderen Seite war es nicht so, dass das Beschweigen der Vergangenheit komplett gewesen wäre. Zahlreiche Historiker und Politikwissenschaftler legten Biographien und Untersuchungen vor, die sich mit dem Putsch gegen die Republik, dem folgenden Bürgerkrieg und der Franco-Ära auseinandersetzten. Natürlich kamen auch die Verbrechen der Machthaber zur Sprache. Aber die Opfer des Regimes blieben tabuisiert, Verantwortung wurde nirgends eingefordert. So blieb diese Aufarbeitung weitgehend auf wissenschaftliche Zirkel begrenzt, die Politik und die Medien verhielten sich eher indifferent.
    Anfang April 1959 eröffnete der Caudillo, sichtlich übermannt von Rührung, das Symbol seines Sieges über die Republik: das "Tal der Gefallenen", 50 Kilometer nordwestlich von Madrid: ein riesiges steinernes Kreuz, daneben eine monumentale Basilika, in der auch die Gruft mit dem Sarg Francos untergebracht ist. Das "Tal der Gefallenen" sei zu Ehren der Christen auf beiden Seiten des Bürgerkriegs errichtet worden, ließ sich der Generalissimus vernehmen. Der Umstand, dass er sein Siegesmonument in Zwangsarbeit von Tausenden von republikanischen Gefangenen unter unwürdigsten Lebensbedingungen errichten ließ, sprach jeder Aussöhnung Hohn.

    Das "Tal der Gefallenen" ist bis auf den heutigen Tag unverändert, wie es Franco einst schuf – ohne jeglichen Kommentar, als wäre nichts geschehen. Als der Performancekünstler Leo Bassi kurz vor den Parlamentswahlen im März 2004 eine sonntägliche Bus-Rundfahrt zu den "hässlichsten Orten Madrids" inszenierte, war das "Tal der Gefallenen" einer jener Orte. Mit sechs Bussen rückte Bassi an, bezahlte den Eintritt zur Gedenkstätte und plante eine friedliche Provokation: Die Teilnehmer sollten sich an das Personal wenden, vorgefertigte – und natürlich nicht echte – Flyer in den Händen, und nach all den wünschenswerten, dabei nicht existierenden Einrichtungen fragen, die auf diesem Flyer angekündigt wurden: "Wo, bitte, finde ich das Dokumentationszentrum zur Geschichte des Franquismus?" "Wann beginnt der Kongress über Freiheit und Menschenrechte, der hier abgehalten werden soll?"

    Es ist zu alldem nicht gekommen. Kaum traf Bassi mit seinem Gefolge auf dem Gelände ein, wurde die Basilika ohne Angabe von Gründen verriegelt. Da sich das Personal weigerte, das bezahlte Eintrittsgeld zurückzugeben, heizte sich die Situation auf, ohne dass es am Ende zu Handgreiflichkeiten kam. Symbolisch waren hier die "zwei Spanien", das linke und das rechte, aufeinander getroffen, und diese Begegnung war alles andere als entkrampft.

    Es war die Zeit, in der sich acht Jahre Regierung der konservativen Volkspartei ihrem Ende zuneigten. Momente der Erstarrung, ja der Restauration, waren allenthalben zu spüren, nicht zuletzt in Fragen des Umgangs mit der Geschichte. Offensichtlich unter großen Mühen hatte sich die Volkspartei erst im Herbst 2002 entschließen können, einen Parlamentsbeschluss mit zu tragen, der in aller Form eine Distanzierung von Francos Putsch im Jahr 1936 zum Ausdruck brachte. Und als der Schriftsteller Jorge Semprún seinen letzten Roman "Zwanzig Jahre und ein Tag" in Madrid präsentierte, da fasste sein Gesprächspartner, der damals beurlaubte Diplomat und Schriftsteller José María Ridao, heute Botschafter Spaniens bei der UNESCO, die restaurative Atmosphäre in einer zugespitzten Formulierung zusammen.

    "Wir sprechen immer häufiger über die Rekonstruktion der Erinnerung, während in den letzten Jahren nur eines geschehen ist: Die politische Macht in Spanien hat ihre ganze Unterstützung einer Geschichtsinterpretation angedeihen lassen, die identisch ist mit der, die während der Franco-Ära gültig war. "
    Während sich Politiker und Medien weiterhin schwer taten mit dem Franco-Erbe, gingen andere beherzter vor: Seit dem Herbst des Jahres 2000 wird die Vergangenheit – im Wortsinn – ausgegraben. Der Journalist Emilio Silva, damals Mitte dreißig, hatte beschlossen, den Überresten seines Großvaters, der zusammen mit dreizehn anderen Franco-Gegnern im Herbst 1936 in seinem Dorf im Nordwesten Spaniens erschossen und verscharrt wurde, ein würdiges Grab zu bereiten. Noch lebten Personen, die die Stelle des Massengrabs recht genau zu zeigen wussten.

    "Wir begannen am 28. Oktober 2000 mit einer Gruppe von Archäologen und Forensikern, das Massengrab zu öffnen. Tatsächlich fanden wir die Überreste von dreizehn Körpern. Meine eigentliche Absicht war, meinen Großvater identifizieren zu lassen und seine sterblichen Überreste dann neben meiner Großmutter zu bestatten. Aber noch während der Arbeiten kamen Leute aus der Gegend, um uns die Geschichten ihrer Familien zu erzählen. Es waren Geschichten, die meiner sehr ähnelten. Wir beschlossen dann, uns zu organisieren, um auch diesen Menschen zu helfen, die sterblichen Überreste ihrer Angehörigen zu finden. Wenn diese Leute nicht erschienen wären, hätte wohl alles hier sein Bewenden gehabt, und ich wäre einfach nach Hause gegangen. "
    Stattdessen gründeten Silva und seine Mitstreiter den "Verein zur Wiedererlangung des historischen Gedächtnisses": erstmals erhielten die Opfer des Franquismus – oder doch wenigstens deren Nachfahren – eine Stimme. Der Verein hat seither fast dreißig Grabstellen in praktisch allen Landesteilen Spaniens geöffnet und die dort Verscharrten per DNA-Analyse identifiziert – eine private Initiative, die in aller Stille ihr Ziel verfolgt und weder nach Gerechtigkeit noch nach Wiedergutmachung ruft. Die sich freilich sehr wohl bewusst ist, wessen Aufgaben sie da erledigt, wie Carlos Castresana, einer der Initiatoren, erklärt.

    " Ich denke, das ist eine ganz wesentliche Form der Wiedergutmachung. Allerdings erscheint doch bemerkenswert, dass sich keine offizielle Institution dafür interessiert. Es sind die Angehörigen selbst oder privat organisierte Vereine, die sich aufgrund ihrer Überzeugungen und mit sehr wenigen Mitteln an eine Aufgabe machen, die eigentlich und ohne Zweifel dem Staat zustehen würde. "

    Im Herbst des Jahres 2000 trat die konservative Volkspartei gerade ihre zweite Legislaturperiode an. Sie regierte mit absoluter Mehrheit – keine gute Voraussetzung, um sich Hoffnungen auf staatliche Gelder für die Ausgrabungen machen zu können.
    Seit März 2004 regiert die Sozialistische Arbeiterpartei in Spanien. Da sie lediglich eine Minderheitsregierung stellen kann, ist sie für ihre Regierungsvorhaben zu Bündnissen mit anderen Parlamentsfraktionen gezwungen. Die Konservativen, die sich zu einer harten Frontalopposition entschlossen haben, scheiden als Bündnispartner von vornherein aus. Die Vereinigte Linke trägt die Regierungspolitik weitgehend mit, hat aber nicht genügend Mandate, um eine Mehrheit zusammenzubringen. Für diese Mehrheit sind die Stimmen von nationalistischen Parteien notwendig, die aus dem Baskenland oder aus Katalonien kommen könnten.
    Unter diesen Umständen ist es nicht verwunderlich, dass jene nationalistischen Parteien seit dem Amtsantritt der neuen Regierung wesentliche Akzente setzen konnten. Zunächst war es das Baskenland, das mit einem separatistisch geprägten neuen Autonomiestatut das Madrider Parlament beschäftigte – der Entwurf wurde einhellig als verfassungswidrig zurückgewiesen. Gegenwärtig wird das Autonomiestatut Kataloniens im Parlament verhandelt – die Meinungen gehen hier weit auseinander, ob dieser Statutenentwurf in den Rahmen der spanischen Verfassung passt oder nicht.
    Die Auseinandersetzung um das Erbe Francos hat sich in gewisser Weise in diese Debatte hinein verlagert. Die Volkspartei sieht die Einheit Spaniens durch den Entwurf des Autonomiestatuts bedroht – vor allem der Umstand, dass der Entwurf Katalonien als "Nation" definiert, ruft offenkundig die größte Besorgnis hervor. Natürlich würde niemand heutzutage mit Francos Losung vom "einigen, großen und freien Spanien" argumentieren. Und doch verweist der kürzlich aus den Reihen der Konservativen erhobene Vorwurf, der sozialistische Ministerpräsident Zapatero wolle "die Legitimität der spanischen Verfassung aufheben zugunsten der Verlierer des Bürgerkriegs" auf genau jene aus der Franco-Zeit herrührenden Denkmuster.
    Auch in den Beziehungen zwischen Staat und katholischer Kirche sind seit dem Amtsantritt der Sozialisten neue Spannungen aufgetreten. Die enormen Privilegien der Kirche sind – vor allem in Fragen der Finanzierung – ein Erbe aus der Franco-Zeit. Die Möglichkeit der Homosexuellen-Ehe, ein vereinfachtes Scheidungsrecht und zuletzt die geplante Bildungsreform, die den Einfluss der katholischen Kirche eindämmen soll – all dies sind Streitpunkte, die zu Auseinandersetzungen zwischen den Kirchenoberen und dem Staat geführt haben.
    Als kürzlich mehrere Vertreter der Bischofskonferenz zur Beteiligung an einer Demonstration gegen die geplante Bildungsreform aufriefen – sie sieht unter anderem vor, die Note im Fach Religion nicht mehr in den Abiturdurchschnitt einfließen zu lassen –, da zeigte auch die Regierung ihre Waffen: Sie erinnerte an jene – kurz nach dem Tod Francos – geschlossenen Vereinbarungen mit dem Vatikan, wonach die Kirche in Spanien zwar beträchtliche Subventionen erhalten, aber über die Jahre ihre Selbstfinanzierung erreichen sollte. Der erste Teil der Vereinbarung wurde stets eingehalten, vom anderen Teil konnte in all den Jahren seit Francos Tod keine Rede sein.
    Momentan kassiert die Kirche 0,5 Prozent der Einkommensteuer von allen Bürgern, die das entsprechende Kästchen in ihrer Steuererklärung ankreuzen. Da diese Summe für die Belange der Kirche nicht ausreicht, schießt der Staat jährlich rund 30 Millionen Euro aus dem sonstigen Steueraufkommen zu. Kritiker bezeichnen dies zum einen als eine klare Benachteiligung anderer Religionsgemeinschaften, sie sehen zum anderen auch nicht ein, warum es in Spanien – laut Verfassung ein nichtkonfessioneller Staat – nicht möglich sein soll, als Atheist aufzutreten.
    Im Vergleich mit diesen gravierenden gesellschaftlichen Fragen nimmt sich die Entfernung des letzten Franco-Reiterstandbildes in Madrid wie eine unbedeutende kosmetische Operation aus. Nicht zuletzt durch die Verdruckstheit, mit der der Denkmalsturz im März vollzogen wurde: ohne Ankündigung, nachts um zwei. Und die Erklärung der Vizeregierungschefin Fernández de la Vega, man habe tagsüber den Verkehr nicht behindern wollen, ließ die Aktion wie eine angstvolle Farce aussehen. Auch der Umstand, dass man den siebeneinhalb Meter hohen Reiter nicht zur Entsorgung freigegeben, sondern in ein Atelier verbracht hat, in dem Statuen auf ihre Restaurierung warten, wirkt wie die Beachtung der Volksweisheit: Man kann ja nie wissen.
    Indessen ist es bislang ruhig geblieben um jene interministerielle Kommission, die die juristische und moralische Rehabilitierung der Opfer der Franco-Diktatur in die Wege leiten soll. Im besten Falle arbeitet sie fieberhaft an ihren Vorschlägen, die zur gründlichen Aufarbeitung des Franquismus führen sollen. Auf den Denkmalsturz reagierte die konservative Rechte prompt.
    Von den "neuen Radikalen", die nun an der Macht seien, sprach der Parlamentssprecher der Volkspartei, Eduardo Zaplana. Und ebenso wenig versäumte er zu bemerken, dass mit dieser Aktion "die alten Gräben wieder aufgerissen" würden. Dies ist die Standardformel all jener, die am Erbe Francos nicht rühren wollen, auch wenn sie selbst die Rhetorik des Bürgerkriegs nicht selten in die Debatte werfen. Aber Spaniens Rechte hat durchaus nicht nur solche Losungen in ihrem Arsenal. Sie produziert auch agitatorische Geschichtsbücher. Pío Moa, einst extremer Linker und Franco-Gegner, ist heute der erfolgreichste Apologet des Caudillo. Sein meistverkauftes Buch, "Die Mythen des Bürgerkriegs", hat es bis jetzt auf eine Auflage von knapp zweihunderttausend Exemplaren gebracht.

    "Franco hat nicht die Demokratie, sondern die Revolution besiegt. Er hat Spanien vor dem Zweiten Weltkrieg bewahrt, der eine fürchterliche Katastrophe für das Land bedeutet hätte. Er hat Spanien als ein wirtschaftlich aufstrebendes und vor allem als ein politisch gemäßigtes Land hinterlassen. Das hat den Übergang zur Demokratie ermöglicht. Es war der reformistische Flügel des Franquismus, der diesen Übergang getragen hat. Und Franco hat die längste Friedensperiode eingeleitet, die Spanien in den vergangenen zwei Jahrhunderten hatte. Dieser Frieden währt bis heute – hoffen wir, dass er auch weiter anhält. "

    Pío Moa vertritt die These, ohne den Putsch Francos wäre Spaniens schwache Republik unweigerlich Stalin in die Hände gefallen. Den Schauder vor einer Spanischen Sowjetrepublik sehr wohl kalkulierend, wird der Militärputsch gegen die legitime Republik zur Rettung des Vaterlands. Vor diesem Hintergrund relativiert sich beinahe alles: der Terror des Bürgerkriegs und die Repressalien der Nachkriegszeit – kein Vergleich zu den Regimes eines Stalin oder eines Hitler!

    Das bedrückende Klima einer ideologisch auf Katholizismus, Demokratiefeindlichkeit und Nationalismus beruhenden Diktatur wird nicht thematisiert. Aus den Eckdaten einer prosperierenden Wirtschaft wird die Idylle eines Gemeinwesens, das kaum Wünsche offen ließ. Der Umstand, dass sich das vom Bürgerkrieg ausgezehrte Volk, einen Weltkrieg vor der Haustür, auch danach nicht entschließen konnte, den Caudillo gewaltsam zu stürzen, wird so zu einer allgemeinen Zustimmung zur Diktatur umgedeutet.
    Es ist der alte Diskurs, den schon zu Francos Zeiten die regimetreuen Historiker pflegten. Dass es hier und da einige Zahlen zu korrigieren gab, ändert nichts am historischen Verlauf und an den bekannten Konstellationen. Immerhin, es lässt sich aus solcher Geschichtsprosa beträchtlicher Gewinn ziehen. Muss dieser Erfolg des Publizisten Pío Moa verwundern? Nicht wirklich. Seit rund zweihundert Jahren ist die Rede von den "zwei Spanien", einem konservativ-klerikalen und einem um Modernität ringenden, aufklärerisch gesinnten Spanien.