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Der lange Schatten von E10

Im Norden Guatemalas kämpfen Kleinbauern um ihr Land - und um ihr Überleben. Großgrundbesitzer haben nach und nach Ackerflächen aufgekauft, um Ölpalmen und Zuckerrohr anzubauen. Der Bevölkerung fehlt jetzt der Platz, Nahrungsmittel anzubauen.

Von Andreas Boueke | 03.09.2011
    Nachts auf der Finca Bella Flor im Tal des Flusses Polochic, drei Autostunden entfernt von der guatemaltekischen Provinzhauptstadt Cobán. Kinder und Alte, Frauen und Männer schlafen auf Brettern und schmutzigen Decken. Ab und zu weint ein Baby. 36 Familien haben diese provisorische Siedlung gebaut. Sie haben Äste in den Boden gerammt und schwarze Plastikplanen daran befestigt, um sich ein wenig vor Regen und Wind zu schützen.

    Dreimal schon sind sie gewaltsam von dem Grundstück vertrieben worden. Jedes mal kamen sie zurück. Zuletzt vor einem Monat. Jetzt stellt die Gruppe Wachleute ab.

    Zwei der Wachmänner patrouillieren mit Taschenlampen über die staubigen Pfade zwischen den Schlafplätzen. Drei weitere sitzen versteckt hinter einem Sandhaufen. Einer von ihnen ist Julio Caál, ein schmächtiger Mann. Aber sein charismatisches Auftreten macht ihn zum natürlichen Anführer der Gruppe.

    "Die Fincabesitzer sagen, wir hätten dieses Land illegal besetzt. Aber dies ist keine Invasion. Die wirklichen Eindringlinge sind sie. Diese Leute sind von weither gekommen. Sie haben das Land unserer Vorfahren genommen. Für dieses Land sind unsere Großväter ermordet worden."

    Das Polochic-Tal liegt im Norden Guatemalas, in der Provinz Alta Verapaz. Das fruchtbarste Land dort gehört einigen wenigen Großgrundbesitzern und großen Agrarkonzernen, die im Laufe der vergangenen fünf Jahre gewaltige Ackerflächen aufgekauft haben, um Ölpalmen und Zuckerrohr anzubauen. Aus diesen Pflanzen können Biodiesel und Ethanol gewonnen werden.

    Einem Bericht des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen zufolge ist der gesellschaftliche Reichtum in Guatemala so ungleich verteilt wie in keinem anderen Land Mittelamerikas. Der Boom der Agrartreibstoffe verschärft dieses Missverhältnis weiter. Einige Großkonzerne profitieren, aber die Landbevölkerung wird verdrängt.

    In dem urbanen Zentrum des Polochic-Tals ist die Stimmung aufgeheizt. Immer wieder protestieren Kleinbauern in der Ortschaft Panzós gegen das Vordringen der großen Firmen. Trotzdem fördert der Bürgermeister deren Investitionen. Er heißt Edwin Rummler. Ein Name mit deutschen Wurzeln. Im 19. Jahrhundert kamen viele Einwanderer aus Deutschland in diese Gegend, um auf dem ehemaligen Gemeindeland der Mayabevölkerung große Kaffeefincas aufzubauen. Heute gehört Edwin Rummler zu den einflussreichsten Grundbesitzern der Gegend. Er sieht es als seine Aufgabe an, kapitalstarken Konzernen den Weg zu ebnen.

    "Wir bemühen uns um die Investoren, die sich für dieses Gebiet interessieren. Wir unterstützen vor allem Unternehmen, die Ölpalmen anpflanzen wollen und Bergbaufirmen, die Minen betreiben. Sie alle empfangen wir mit offenen Armen, denn wir wissen, dass sie uns den Fortschritt bringen."

    Die großen Profiteure der Investitionen sind Großgrundbesitzer wie der Bürgermeister selbst. Er hat Teile seines Landes für gutes Geld an die Konzerne verkauft. In Guatemala ist es üblich, gegenüber den Behörden den Wert des Landes nicht entsprechend des Kaufpreises, sondern deutlich niedriger anzugeben. So fallen für die Kommunen nur minimale Steuereinkünfte ab. Gleichzeitig steigt der wirkliche Wert der Ländereien im Umfeld enorm, weil der Staat die Infrastruktur zugunsten der Exportwirtschaft verbessert. Die wichtigste Straße des Tals ist asphaltiert worden und am Polochic-Ufer wird ein kleiner Hafen gebaut, von dem aus Lastkähne bis zur Karibik fahren können.

    Eine der bäuerlichen Organisationen, die gegen die Ölpalmen-Projekte im Polochic-Tal protestiert, ist das Comité de Unidad Campesina, CUC. Das CUC-Mitglied Esteban Hermelindo ist überzeugt davon, dass die Expansion der Exportwirtschaft mehr Armut schafft und nichts daran ändert, dass in der Region rund die Hälfte der Kinder an Unterernährung leidet.

    "Eine Konsequenz ist die Vertreibung der Landbevölkerung. Es kommt zu Haftbefehlen, Einschüchterungen durch die Armee und durch die Polizei. Die Art und Weise wie die Gemeinden vertrieben werden ist unmenschlich. Wir werden wie illegale Besetzer behandelt und als Terroristen bezeichnet.

    Diese Leute haben die Macht, aber wir als Gemeinden lehnen uns dagegen auf. Wir formieren unseren Widerstand gegen die großen Unternehmen. Wir wollen, dass sie das Polochic-Tal verlassen, damit wir wieder Mais und Bohnen und Reis für unsere Familien anbauen können. Dafür kämpfen wir. Unsere Kinder sollen dreimal am Tag zu essen bekommen. Sie sollen Bildung bekommen und Gesundheitsversorgung."

    Esteban Hermelindo selbst hat jahrzehntelang auf einer Farm gelebt und dort verschiedene Agrarprodukte für den lokalen Markt angebaut. Zudem konnte er auf einer eigenen Parzelle, die ihm zur Verfügung stand, Grundnahrungsmittel für seine Familie anbauen. Dann aber wurde die Farm an ein großes Unternehmen verkauft, das ausschließlich Ölpalmen pflanzen will. Durch die Monokultur gehen viele Arbeitsplätze verloren. Zudem wird es mindestens drei Jahre dauern, bevor die erste Ernte eingefahren werden kann. Doch die entlassenen Landarbeiter wissen nicht, wohin sie gehen sollen.

    Die Spannungen im Polochic-Tal werden durch den weltweiten Boom pflanzlicher Treibstoffe weiter verschärft. In Guatemala selbst wird Biosprit bisher kaum genutzt. Auf dem Weltmarkt aber bringt er gute Profite. Das weiß auch der Landarbeiter Samuel Cucúl. Er gehört zu der Gruppe, die auf der Finca Bella Flor Widerstand leistet:

    "Wir verlangen von der Regierung, dass sie diesen Unternehmen keine weiteren Lizenzen gibt. Wir haben gehört, dass mehrere große, brasilianische Firmen hierher kommen wollen, um Ölpalmen anzupflanzen. Aber wenn es bald nur noch Ölpalmen gibt, können wir keine Bohnen mehr ernten, die wir mit dem Öl braten könnten."

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