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Der lange Weg der Türken

Man fühlt sich in den Innenhof eines Osmanischen Palastes zurückversetzt. Verzierte Wasser- und Opiumpfeifen aus dem 18. Jahrhundert, Wasserkannen, Federkästchen aus Schildplatt mit Perlmuttmotiven, kunstvolle Behälter aus Silber, in Bronze gegossene und gedrehte Kerzenleuchter und mit bunten Blüten- und pittoresken Personendarstellungen versehene Teller aus dem 17. Jahrhundert vermitteln einen Eindruck der vergangenen osmanischen Hochkultur.

Christoph Burgmer |
    Formen und Dekor der Gegenstände zeugen von kultureller Eigenständigkeit und von einem Selbstbewusstsein, über das nur eine Weltmacht verfügt, wie es die Osmanen waren. Immerhin drei Jahrhunderte herrschten sie von Algerien bis Mittelasien, vom Balkan bis nach Ägypten. Ein vormoderner Vielvölkerstaat, in dauerhafter Auseinandersetzung mit Europa befindlich. Die Stuttgarter Ausstellung inszeniert ihn gelungen als direkten Vorläufer der Türkei und rückt die Osmanen so historisch ins rechte Licht.

    Besonders der Umbruch hin zum modernen türkischen Staat wird durch zahlreiche Fotos, zum größten Teil private Leihgaben deutlich. Hier scheuen sich die Ausstellungsmacher auch nicht, auf bis in die Gegenwart bestrittene historische Fakten, wie den Völkermord an den Armeniern hinzuweisen. Aufsätze im auch sonst exzellenten und mit 20 Euro ungewöhnlich preisgünstigen Ausstellungskatalog bieten zusätzliche Informationen. So fällt es dem Besucher leicht, sich unter dem ein wenig programmatischen Titel der Stuttgarter Ausstellung "Der lange Weg der Türken" etwas vorzustellen, nämlich konkret den historischen Wandel von einem orientalischen Staatsgebilde hin zur modernen Türkei.

    Etwas überrascht ist man jedoch, wenn man feststellt, dass dies gar nicht gemeint ist. Die Ausstellungsmacher im Stuttgarter Lindenmuseum haben anderes im Sinn. Die Ausstellung soll nämlich, anhand der Herrscherdynastien, die gesamte türkische Kulturgeschichte von 1500 Jahren in Augenschein nehmen. Von den Anfängen über die mittelalterlichen Ghasnawiden- Großseldschuken und Rumseldschukendynastien bis hin zum Osmanischen Reich und zum türkischen Nationalstaat der Gegenwart.

    500 Objekte werden gezeigt, aus dem beträchtlichen Eigenbestand des Lindenmuseums und aus verschiedenen deutschen Museen und Privatsammlungen entliehen. Sie sollen Zeugen für eine der "erstaunlichsten Erfolgsgeschichten der alten Welt", wie es im Vorwort des Ausstellungskatalogs etwas euphorisch heißt. Als "Erfolg" wird die Kulturgeschichte der Türken definiert.

    Hier jedoch wird man stutzig. Ein zweifelhafter Erfolgsbegriff. Scheint doch ein Kultur- Kunst und überhaupt Geschichtsbegriff durch, der nicht auf die jeweilige Epoche bezogen, sondern als allzu statisch von der Gegenwart aus definiert wird. Und meint damit konkret eine, in unsere Gegenwartssprache übersetzt, türkischen Migrationskultur, die ihren Beginn im dritten Jahrhundert in Mittelasien hatte und heute in Europa mit den Gastarbeitern angekommen ist. Diese konzeptionelle Simplifizierung wird auch für den Besucher offensichtlich. Denn schnell zwingt sich beim Rundgang der Eindruck von nicht zusammengehörenden Ausstellungsteilen auf, die mit Gewalt miteinander verbunden wurden.

    Hier in einer Ecke Figuren aus dem türkischen Schattenspiel, dort einige Musikinstrumente, woanders Fotos von Ernst Reuter während seines Exils in der Türkei. Die ghansnawidischen und seldschukischen Objekte, sicherlich selten in dieser Anzahl in Deutschland zu sehen, finden sich gar abgetrennt von den anderen Teilen im Eingangsbereich. So zerfällt die Ausstellung, der rote Faden, anhand dessen man sich der fremden, der türkischen Kulturgeschichte annähern könnte, ist nicht auffindbar.

    Die Unkenntnis vieler Deutscher und selbst Türken über ihre Kulturgeschichte und die aktuellen politischen Frontstellungen mag die Ausstellungsmacher zu einem solchen Rundumschlag bewogen haben. Gelungen ist er nicht. Dennoch lohnt ein Besuch der Ausstellung. Denn noch viel zu selten ist es, das man sich in Deutschland überhaupt mit türkischer Kultur und Geschichte auseinandersetzt.

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