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Der letzte Vorfahr?

Paläontologie. - Bislang warfen Gegner der Evolutionstheorie den Paläontologen vor, dass es bislang kein Fossil gebe, welches Darwins Theorie zum Ursprung des Menschen im Stammbaum der Tiere stütze. Der Vorwurfe könnte nun entkräftet sein: Im New Yorker Natural Museum of History präsentierte ein internationales Forschungsteam ein fast vollständiges, 47 Millionen Jahre altes Fossil des womöglich ältesten gemeinsamen Vorfahren von Affen und Menschen.

Von Michael Stang | 20.05.2009
    Obschon die kleine Affendame mit Spitznamen "Ida" bereits 1983 entdeckt wurde, hatte das 47 Millionen Jahre alte Fossil erst gestern seinen großen Auftritt in New York. Ein internationales Forscherteam präsentierte auf einer Pressekonferenz eine Versteinerung, die einmalige Einblicke in die frühe Evolution der Primaten gewährt. Als Hommage an den Naturforscher Charles Darwin erhielt der Uraffe daher auch die wissenschaftliche Bezeichnung Darwinius masillie. Einer der beteiligten Paläontologen ist Jörg Habersetzer vom Frankfurter Forschungsinstitut Senckenberg.

    "Sensationell an diesem Fund ist, dass sowohl die Mageninhalte als auch die Weichteilschatten, als auch das komplette Skelett und auch die Bezahnung erhalten ist. Das heißt, das, was man sich sonst aus Dutzenden von Einzelfunde zusammenpuzzeln muss, haben wir hier in einem einzigen Stück vereint, was das älteste, kompletteste und am besten erhaltene Stück ist, was je gefunden wurde."

    Von Kopf bis Schwanz misst das weibliche Jungtier gerade einmal 58 Zentimeter. Das Fossil ist zu 95 Prozent erhalten. Von dem Tier ist nicht nur das Skelett erhalten, sondern auch Körperumrisse und Weichteile. Der lange Schwanz erinnert an heutige Lemuren, die madagassischen Halbaffen. Das Tier ist jedoch ist kein Lemur, sondern gehört zur einer bislang unbekannten Art der Familie der genannten Adapoiden. Es zeigt ein halbes Dutzend Merkmale, die bei Menschenaffen, Neuweltaffen und Altweltaffen vorkommen. Könnte das Fossil damit als Urvater aller Primaten, einschließlich der Menschen, in Frage kommen? Eher nicht, aber ein bedeutender Platz im Stammbaum der Primaten ist ihm sicher. Doch nicht nur der Fund an sich sei eine große Freude, sagt Paläontologe Habersetzer.

    "Es ist ein großes Glück, dass das Stück nicht in Privathände gekommen ist, sondern in einer öffentlichen Sammlung liegt, öffentlich zugänglich ist, jeder kann hingehen und sich das Stück in einer Ausstellung angucken. Und deshalb freuen wir uns, dass eine staatliche, öffentliche Institution das Stück erwerben konnte."

    Das war in der Vergangenheit nicht immer der Fall. Wo viel Geld für seltene Fossilien bezahlt wird, hat die Wissenschaft meist das Nachsehen, vor allem in Deutschland. So eigentlich auch in diesem Fall. Der versteinerte Affe wurde schon 1983 - unter nicht geklärten Umständen - von einem Privatsammler in der Grube Messel bei Darmstadt entdeckt, die heute zum Unesco-Weltkulturerbe gehört. Nach der Restauration verblieb das Fossil 20 Jahre bei seinem Entdecker. Erst vor drei Jahren entschloss er sich, das Stück zu verkaufen. Den Zuschlag erhielt der norwegische Paläontologe Jørn Hurum von der Universität Oslo, der die meisten Geldgeber zusammentrommeln konnte. Über den Verkaufspreis wird beharrlich geschwiegen, ebenso bleibt der Privatsammler anonym. Das Fossil aus Deutschland ist nun in norwegischem Besitz. Um die Refinanzierung hat sich Hurum früh gekümmert. In den vergangenen zwei Jahren hat er in Zusammenarbeit mit dem amerikanischen History Channel, später auch mit der BBC und dem ZDF, die Vermarktung des Fossils vorangetrieben. Eine eigene Internetseite wurde frei geschaltet, in Kürze erscheint ein Buch. Eine wissenschaftliche Veröffentlichung gab es gestern auch, allerdings nicht bei den Marktführern "Nature" oder "Science", sondern im frei zugänglichen Fachblatt "Public Library of Science" - PLoS.

    Einige Wissenschaftler werden verstimmt sein, dass in diesem Fall erst mit Medien kooperierte wurde, bevor es eine wissenschaftliche Erstbeschreibung gab. Totale Vermarktung der Wissenschaft? Auf diese Frage der New York Times antwortete Hurum: "Jede Pop-Band macht es so. Jeder Athlet macht es so. Wir müssen auch in der Wissenschaft beginnen, solche Wege zu gehen." Bei diesem Weg haben unabhängige Experten kaum die Möglichkeit wissenschaftliche Arbeiten zu begutachten. Damit ist ein Versuch der Qualitätssicherung hinfällig. Dieser wurde, wie es scheint, in diesem Fall erst gar nicht in Betracht gezogen.