Archiv


"Der Liebhaber" am Mekong

Sa Dec ist ein Ort in Vietnam, an dem sich nicht viel verändert hat seit der Jugend von Marguerite Duras. Von Wirtschaftsboom ist nicht viel zu spüren.

Von Gela Koll |
    "Ich betrachte den Fluß. Meine Mutter sagt mir manches Mal, nie mehr in meinem Leben würde ich so schöne Flüsse sehen wie diese hier, so groß, so wild, wie den Mekong und seine Nebenarme, die den Ozeanen zuströmen, diesen Wasserflächen, die in den Höhlungen der Ozeane langsam verschwinden. In diesem unabsehbaren Flachland strömen die Flüsse rasch, sie schießen dahin, als wäre die Erde abschüssig."

    Die Flüsse sind schön, atemberaubend schön, majestätisch, überwältigend. Wie schön diese Flüsse sind, davon bekommt man in Ho Chi Min Stadt, dem ehemaligen Saigon, nicht viel zu sehen. Der Fluss vielmehr eine schnellfließende braune Brühe. Ein übler Geruch hängt in der Luft. Die boomende Metropole präsentiert sich vor allem laut, staubig und schwül; chaotisch der Verkehr. Eine Stadt deren mehrheitlich junge Bewohner sich am liebsten auf Mopeds fortbewegen, dabei für Anarchie im Straßenverkehr sorgen, die wenigen Verkehrspolizisten ignorieren und sich hupend ihren Weg bahnen. Schon Marguerite Duras hat die Stadt als laut beschrieben - nur die heute allgegenwärtigen Mopeds gab es in ihrer Jugend noch nicht.

    "Der Lärm der Stadt ist sehr laut, in der Erinnerung ist er wie der zu laut eingestellte Ton eines Films, ohrenbetäubend. Ich erinnere mich genau, das Zimmer ist dunkel wir reden nicht, es ist umgeben vom anhaltenden Tosen der Stadt, eingezogen in die Stadt, in das Gedröhn der Stadt. An den Fenstern gibt es keine Scheiben, nur Stores und Jalousien. Auf den Vorhängen sieht man die Schatten der Leute, die in der Sonne auf dem Gehsteig vorübergehen. Die Menschenmengen sind immer gewaltig"

    Jetzt möchte man nur eins: endlich den Mekong sehen und übersetzen nach Sa Dec. Kim, die quirlige Managerin des gleichnamigen Reisebüros und Cafes in Saigon, reagiert sofort, wenn der Name der Kleinstadt fällt. Natürlich will man die Stadt sehen, in der die Geschichte vom Liebhaber beginnt am Ende jener Sommerferien, irgendwann in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Damals machte sich das 15 1/2-jährige Mädchen auf den Weg nach Saigon, wo sie Gymnasium und Pensionat besuchte, für die nächsten anderthalb Jahre begleitet von ihrem chinesischen Liebhaber. Auf dem Flußweg nach Sa Dec.

    "Um die Fähre herum der Fluß, er ist randvoll, seine Fluten durchströmen die stehenden Wasser der Reisfelder, sie vermischen sich nicht. Der Fluß hat alles zusammengerafft, was ihm seit dem Tonlésap, dem kambodschanischen Urwald, begegnet ist. Er nimmt mit, was kommt, Strohhütten, Wälder, Reste von Feuersbrünsten, tote Vögel, tote Hunde, ertrunkene Tiger und Büffel, ertrunkene Menschen, Fischköder, alles treibt auf den Pazifik zu, nichts hat Zeit dahinzufließen, alles wird erfasst von dem tiefen und reißenden Sturm der inneren Strömung, alles bleibt in der Schwebe auf der Oberfläche des machtvollen Stroms."

    Inseln aus Wasserhyazinthen treiben auf dem Fluss. Die Landschaft geprägt vom Mekong und seinen Nebenarmen. Eine einzigartige Wasserlandschaft. Entlang der Ufer siedeln die Menschen. Sie leben an den Flüssen in Hüten aus Palmwedelblättern oder in Häusern aus Holz oder Blech auf Pfählen gebaut. Fischzucht in Teichen und überfluteten Reisfeldern wurde in Vietnam schon immer betrieben. Neu ist die industrielle Aufzucht. Die Fische werden heute in unzähligen schwimmenden Käfigen mit darüber gebautem Wohnhaus auf engstem Raum gehalten. In den "schwimmenden Häusern" stehen die Säcke mit dem Fischfutter gleich neben dem Bett. Hier wird zum Beispiel der Catfish gezüchtet. Sein Fleisch ist fest, weiß und fettarm und er wird inzwischen auch nach Deutschland exportiert.

    Der Fluss ist die Lebensader - damals wie heute. Auf ihm wird alles transportiert: Ananas, Melonen und Kokosnüsse, Gemüse, lebende Schweine, Fischfutter, Sand und Ziegel, Bonsai-Bäume. Die schwimmenden Märkte sind die Umschlagplätze für frische Lebensmittel aller Art. Auf dem Markt an der Uferpromenade von Sa Dec wird vieles davon verkauft. So haben die Menschen hier auch schon zur Zeit von Marguerite Duras Handel betrieben. Die Internet-Cafés, die Handy-Shops und Computerläden - sie sind neu. Die Dieselmotoren der zahlreichen Kähne und Fähren blasen dunkle Wolken in die Luft. Auch die vielen Ziegelfabriken, die sich an den Ufern angesiedelt haben, lassen dichte dunkle Rauchschwaden aufsteigen. Die Ziegel werden auch auf Kähnen an ihre Bestimmungsorte verfrachtet. Per Hand wird hier noch alles be- und entladen. Landeinwärts sieht man vom Boot aus die Reisfelder. Wie einst das Mädchen überqueren die Menschen die Flüsse auch heute noch auf Fähren - oder stehend rudernd auf flachen Holzbooten. Hier hat Marguerite Duras einen Teil ihrer Kindheit und Jugend verbracht, an der Flusslandschaft rund um Sa Dec:

    "Er, der Liebhaber von Cholon, glaubt, dass das Wachstum der kleinen Weißen durch die allzu starke Hitze gelitten hat. Auch er ist hier in dieser Hitze geboren und aufgewachsen. Er entdeckt diese Verwandtschaft mit ihr. Er sagt, all die Jahre, die sie in diesen unerträglichen Breitengraden verbracht habe, hätten aus ihr ein Mädchen aus Indochina gemacht. Sie habe die feinen Handgelenke der Mädchen hier, ihr dichtes Haar, von dem man meinen könnte, es hätte die ganze Kraft in sich aufgenommen, lang wie ihres, vor allem aber diese Haut, diese Haut des ganzen Körpers, die sich dem Regenwasser verdankt, das man hierzulande sammelt, um Frauen und Kinder darin zu baden."

    Sa Dec. Das Hotel Bong Hong, das beste Haus am Platz, wie es so schön heißt, ein Staatsunternehmen, das einen rauen Charme versprüht: Die Neonröhre an der Decke taucht das Zimmer in grelles Licht, durch dünne Wände dringt der Lärm der Hotel eigenen Karaoke-Bar im ersten Stock, zum Komfort zählen die zwei Paar einst weißen Plastiklatschen. Warum die Gäste aus Europa ausgerechnet hierhin kommen, versteht anscheinend keiner so recht.

    Sa Dec - ein Ort, an dem sich nicht viel verändert hat seit der Jugend von Marguerite Duras. Staubig, verschlafen, arm; erst jetzt wird eine Zufahrtsstraße zur Nachbarstadt Vin Long asphaltiert. Von Wirtschaftsboom nicht viel zu spüren.

    Jeden Tag findet an der Uferpromenade auch heute noch der Markt statt. Frauen sitzen vor großen Blechwannen mit lebendigen Fischen, Garnelen und Fröschen, denen sie die Schenkel zusammengebunden haben. Auch eine Markthalle gibt es noch. Nichts erinnert in Sa Dec jedoch an Marguerite Duras. Es gibt keine Straße, die ihren Namen trägt. An keinem Gebäude findet sich eine Erinnerungstafel.

    Trotzdem ist die Schule schnell gefunden, gelegen in der Nähe des Hotel Sa Dec, wie man im Reiseführer nachlesen kann. Zunächst fällt ein Zweckbau aus den 80er Jahren auf. Erst auf den zweiten Blick erkennt man das dahinter liegende alte Schulgebäude. Einige Schülerinnen und Schüler spielen während der Pause auf dem Schulhof mit Murmeln, andere Gummi-Twist. Die Jungs tragen blaue Hosen und weiße Hemden, die Mädchen Kleider in der gleichen Farbkombination, alle ein rotes Halstuch. Hier lernen auch heute noch vietnamesische Kinder auf Holzbänken. An der Wand hängt eine Schiefertafel. Ansonsten ist der Raum kahl.

    Marguerite Duras Mutter war Lehrerin an dieser Schule. Von einem dieser Klassenräume aus hat die Mutter beobachtet, wie die Tochter in der schwarzen Limousine des Liebhabers heimkehrt. In dem kleinen Dienstgebäude, wo die Mutter gearbeitet hat, verbrachte Marguerite oft ihre Schulferien. Auf der anderen Straßenseite eine Pagode.

    Auch das Haus der reichen chinesischen Familie soll es noch geben. Die Villa am Mekong, mit den blauen Kacheln. Doch die Suche danach gestaltet sich schwierig. Es soll am Ufer liegen, chinesisch geschwungen das Ziegeldach. Das einst blaue Haus, kann man auch im Reiseführer nachlesen, wurde gelb gestrichen. Hausnummer 255 . Dieses hier ist weiß, offensichtlich neu gestrichen. Eine junge Frau, die den Hof kehrt, wird durch unser Interesse auf uns aufmerksam. Sie holt ihren Chef. Der kommt beflissen herbeigeeilt, doch Englisch spricht er leider nicht und auch kein Französisch.

    Beim dem Namen Marguerite Duras nickt er heftig und freundlich. Doch worauf sich sein Nicken bezieht, bleibt unklar. Zweifel bleiben. Noch ein weiteres Haus kommt infrage. Aber auch hier spricht leider keiner Französisch oder Englisch. Und so bleibt die Suche am Ende erfolglos. Und es gibt keinen Grund mehr, noch länger in Sa Dec zu bleiben.

    Da hat man es in Saigon schon leichter. Jeder Taxifahrer oder Fahrer einer Fahrradrischka bringt einen für ein Paar Dollars ins chinesische Viertel nach Cholon. Wie zu Duras Zeiten leben die Einwohner von Cholon vom Handel. Die alte zweigeschossige Binh-Tay-Markthalle hat man durch den Einzug neuer Decken und Rolltreppen erfolgreich kaputt saniert. Zwar gibt es noch Garküchen, die Nudelsuppe mit Sojasprossen und Schweine- oder Rindfleisch anbieten, Stände mit frischen Lebensmittel aller Art, Berge von Süßigkeiten, Blumen, Obst- und Gemüsestände, daneben mehren sich aber Stände die es in der Jugend von Marguerite Duras noch nicht gab.

    Hier wird alles feilgeboten, was in Hinterhoffabriken frech kopiert wird. Egal welches Logo den Original-Schuh ziert - hier wird jede Marke kopiert; ob Taschen, Gürtel, Jeans, T-Shirts oder amerikanische Pilotenbrillen, hier ist garantiert nichts echt, garantiert alles billig. Noch gibt es in Cholon die Gasse der Apotheker, der Stoffhändler, noch gibt es die engen Behausungen mit gedeckten Galerien zur Straße hin, wo sich das Leben abspielt, das berufliche wie auch das private. So hat es Marguerite Duras schon erlebt und beschrieben. Doch auch das chinesische Viertel verändert sich rasant.

    "Alles hat in Cholon begonnen, mit den Behausungen für Einheimische. Er hat dreihundert davon bauen lassen. Mehrere Straßen gehören ihm. Sein Vater hat mehrere Häuser verkauft um Bauland in Chalon zu erwerben. Auch Reisfelder, so glaube er, seien verkauft worden."

    Wer in den engen Gassen wohnt hört auch heute noch den Lärm, Tag und Nacht.

    "Der Lärm der Stadt ist so greifbar nah, dass man hört, wie er ans Holz der Jalousien schlägt. Er dröhnt, als gehe die Menschenmenge durchs Zimmer. Ich liebkose seinen Körper in diesem Lärm der durchziehenden Menge."

    Ruhe findet man in dieser Stadt damals wie heute nur an wenigen Orten, in den Pagoden etwa, von denen es in Cholon auffällig viele gibt. Als die älteste im chinesischen Stil gilt die Thien-Hau-Pagode. Geweiht ist sie der Patronin der Fischer und Seelleute. Riesige Räucherspiralen hängen an der Decke und verbreiten dicke Schwaden. Sie sollen Wochen, Monate brennen - je länger, desto besser. Denn der Rauch, so sagt man, trägt die Wünsche, die auf den roten Zetteln, stehen weiter zur barmherzigen Göttin.