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Der liegende Vulkan

Vulkanologie.- Im Piemont untersucht ein italienisch-amerikanisches Forscherteam ein weltweites Unikum: In einem Tal, das als Ferienort bekannt ist, liegt ein umgekippter Vulkan – an der Erdoberfläche wohlgemerkt.

Von Thomas Migge |
    Wahrscheinlich brach der Vulkan vor rund 290 Millionen Jahren zum letzten Mal aus. Wahrscheinlich. Genaueres können die Vulkanologen der Southern Methodist University in Dallas und ihre Kollegen vom erdwissenschaftlichen Institut der Universität Triest vielleicht bald schon sagen; wenn sie den umgekippten Vulkankegel genau erforscht haben. Der Gesteinsforscher Silvano Sinigoi von der Uni Triest leitet die italienische Forschergruppe des Projekts "Erloschener Vulkan":
    "Wie kam dieses ganze Gestein an die Erdoberfläche? Das war die erste Frage, die wir uns zusammen mit den Kollegen aus Dallas stellten. So etwas hatten wir noch nie gesehen. Wir führen dieses geologische Phänomen auf die Bewegungen der afrikanischen und der europäischen Erdplatte zurück, die am südlichen Alpenrand besonders intensiv waren."
    Auf mehr als zehn Quadratkilometern Erdoberfläche waren die Forscher im Valsesia-Tal in den piemontesischen Bergen auf ungewöhnliche Gesteinsformationen gestoßen. Einzigartig ist der Umstand, dass diese Formationen in Schichtenform nicht unter der Erdoberfläche liegen, sondern an der Oberfläche: nicht eine über der anderen, sondern eine neben der anderen.

    "Die Erdplattenbewegung versetzt Gesteinsschichten. Das ist ein bekannter Vorgang. Aber wir entdeckten, dass diese Plattenbewegung einen ganzen urzeitlichen Vulkan nicht nur versetzt, sondern umgestoßen hat. Dieser Vulkan legte sich aus seiner ursprünglichen Position um rund 90 Grad zur Seite. Jetzt versuchen wir, ihn zu rekonstruieren"
    Mithilfe von Geophonen und den Großrechnern der Universität Triest rekonstruieren die italienischen und amerikanischen Wissenschaftlicher den umgekippten und seit Jahrmillionen erloschenen Vulkan. Der Vulkan im Valsesia-Tal präsentiert sich mit seinen unterschiedlichen Gesteinsschichten wie ein, so Sinigoi in der Fachzeitschrift "Geology", "aufgeschnittener Schichtkuchen, der flach auf einem Teller liegt". Die an der Erdoberfläche zu erkennenden Gesteinsformationen lassen auf die Form und Größe des Berges schließen. Seine Kegelspitze hatte einst einen Durchmesser von zirka 500 Metern, seine Basis von sechs Kilometern. Die Rekonstruktion des Vulkanberges zu seiner aktiven Zeit ist möglich aufgrund der unterschiedlich alten Magma- und Gesteinsschichten, die die Wissenschaftler entdeckten.

    Erste Computerbilder liegen bereits vor. Das Interessante an dieser Entdeckung ist die Möglichkeit, zum ersten Mal überhaupt das Innere eines Vulkankegels zu erforschen. Bis in die Tiefe seines Magmakanals hinein. Der wie aufgeschnitten an der Erdoberfläche liegende Vulkan verfügt über einen Magmakanal von zirka 25 Kilometern Länge. Der Umstand, dass der Kegel des Vulkans im Valsesia-Tal bis zu einer Tiefe von 25 Kilometern erforscht werden kann - unter freiem Himmel - ermöglicht es Sinigoi und seinen Kollegen, die im Innern eines Vulkans liegenden Magmareste zu untersuchen.

    Jenes in mindestens 100 Kilometern Tiefe bei 1000 bis 1300 Grad geschmolzene Gestein, das beim langsamen Aufsteigen im Vulkan zu einem pyroklastischen Strom wird. Diese heiße Gesteinsflüssigkeit sammelt sich zunächst in großen und tropfenförmigen Magmaherden in zwei bis 50 Kilometern Tiefe, bevor sie im Magmakanal aufsteigt und aus dem Vulkan fließt.
    "Man weiß im Valsesia-Tal seit 50 Jahren, dass sich die Magmaschichten des unteren Vulkanteils an der Erdoberfläche befinden. Man kann sie sogar am Rand von Strassen als Gesteinsschichten erkennen. Doch man interessierte sich nicht weiter dafür, denn niemand konnte sich dieses Phänomen erklären. Uns ist es hingegen gelungen, das ganze Ausmaß dieses zur Seite gekippten Vulkans zu erfassen und zu rekonstruieren. Das ist wirklich einmalig."

    Die italo-amerikanischen Forscher schauen sich nun die versteinerten Magmaherde in 25 Kilometern Tiefe an und suchen dabei nach Hinweisen zum zukünftigen Verhalten aktiver Vulkane.