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Der Lotse betritt das sinkende Schiff

Er kommt erst im Januar. Doch den roten Teppich haben die Amsterdamer sozusagen schon jetzt ausgerollt. Vier Monate im Voraus überschütten sie den neuen Direktor ihres Stedelijk Museums geradezu mit Lob: "Ein erfahrener Museumsmanager", so der Sprecher vom Stedelijk-Aufsichtsrat. Solide sei er, ein Baumeister für die Zukunft, jubelt die Amsterdamer Dezernentin für Kunst und Kultur Hannah Belliot. Endlich bekomme das Stedelijk das, was es am nötigsten brauche: Stabilität und Kontinuität. "Gijs van Tuyl weiß genau, wie man mit Sponsoren umzugehen hat", freut sich die angesehene Tageszeitung Volkskrant. Er kenne die internationale Kunstwelt wie seine Westentasche, er habe in Wolfsburg bewiesen, wie man aus dem Nichts heraus ein Museum aufbauen kann - und er sei in Amsterdam kein Fremder: Im Stedelijk begann einst seine Karriere, von 1969 bis 1976 war van Tuyl hier Kustos.

Von Kerstin Schweighöfer |
    Das alles kann der 63Jährige gut gebrauchen. Die Erwartungen sind hoch: Mit Gijs van Tuyl soll nicht nur Ruhe einkehren in ein von Skandalen und Affären geschütteltes Haus. Amsterdam erwartet auch eine "mutige Ausstellungspolitik". Auf diese Weise soll van Tuyl dafür sorgen, dass der Ruhm des Stedelijk als führendes Museum für zeitgenössische Kunst nicht weiter verblasst und es wieder in einem Atemzug genannt wird mit der Tate Gallery in London oder dem Moma in New York.

    Seinem Vorgänger Rudi Fuchs war dies nicht gelungen. Er hatte aus dem Stedelijk einen Ort der Ruhe und Besinnung machen wollen, musste sich dann aber vorwerfen lassen, den Anschluss an die Gegenwart verpasst zu haben. Es wurde tatsächlich still im Museum - zu still: Unter Fuchs sanken die Besucherzahlen von über 500.000 auf unter 400.000. Zum Abschluss seiner Amtszeit musste er sich dann noch vorwerfen lassen, seinem Freund, dem Cobramaler Carel Appel geholfen zu haben, fünf Werke aus Amerika ohne Einfuhrsteuer als vermeintliche Leihgabe in die Niederlande geschmuggelt zu haben - ein Verdacht, der sich zwar nicht erhärtete, aber ein unrühmlicheres Ende ist kaum vorstellbar.

    Darüber hinaus sollen unter dem neuen Direktor auch endlich die Umbaupläne des Stedelijk realisiert werden. Damit würde der Vorhang fallen für eine zehn Jahre lange Tragikomödie, in der sich die Stadt Amsterdam außerstande sah, genügend Geld zusammenzubekommen, zwei Stararchitekten verheizte - und den ungeheuerlichen Beschluss fasste, das Stedelijk einfach zu schließen und im Süden von Amsterdam ein neues Museum zu bauen.

    Weltweite Proteste von Stedelijk-Freunden konnten das verhindern. Das Stedelijk bleibt, wo es ist. Diese Woche noch soll bekannt gegeben werden, welcher Architekt mit dem Umbau beauftragt wird. Frühestens im Jahre 2008 kann das erweiterte und renovierte Gebäude dann wieder bezogen werden.

    Bis dahin wird Gijs van Tuyl Vorlieb nehmen müssen mit einem provisorischen Unterkommen in einem leer stehenden Hochhaus gleich neben dem Amsterdamer Hauptbahnhof. Sein Motto jedenfalls klingt viel versprechend - und lässt die Herzen sämtlicher Stedelijk-Freunde höher schlagen: Auf das Heute, so hat er bereits angekündigt, will er sich konzentrieren: "Heute, Heute und nochmals Heute - und die Zukunft."