Mittwoch, 01. Mai 2024

Archiv


"Der Luxus, ungestört zu sein"

In den sechziger Jahren zog Günter de Bruyn in eine dünn besiedelte Brandenburger Gegend. Dort ist sein Exil im Innersten der DDR gewesen. Er legte Wert darauf, schwer zu erreichen zu sein. Und diese innere Unabhängigkeit ist es, die auch seine Bücher auszeichnet. Anlässlich seines Geburtstags ist "Als Poesie gut. Schicksale aus Berlins Kunstepoche 1786-1807" erschienen.

Von Helmut Böttiger | 31.10.2006
    Es ist kein Zufall, dass anlässlich des 80. Geburtstags von Günter de Bruyn kein neuer Roman, keine neuen Erzählungen, kein neuer Band mit Essays über das Zeitgeschehen vorliegt. Derlei Bücher nehmen in seinem Gesamtwerk zwar eine zentrale Rolle ein, doch was jetzt, 523 Seiten stark, in die Buchhandlungen kommt, entspricht einem Unterstrom, der sein ganzes Leben begleitet hat: Es geht um Preußen. Es geht um eine humanistische Tradition, die verschüttet wurde und die de Bruyn Zeit seines Lebens in der DDR aufrechterhielt.

    Sein neues Buch spricht, wie der Untertitel es nennt, von "Schicksalen aus Berlins Kunstepoche 1786 bis 1807" - einer kulturellen Blüte mit einem intellektuellen Leben, das man demjenigen in Weimar getrost zur Seite stellen kann. Der Haupttitel allerdings verrät etwas von jener de Bruynschen Ironie, die versteckt daherkommt und erst bei näherem Hinsehen seine Wirkung entfaltet.

    Das Buch heißt: "Als Poesie gut". Ein ziemlich merkwürdiger Titel. Einer, der sogar ungelenk wirkt. Aber das hat alles seinen Sinn. "Als Poesie gut": mit diesen Worten kanzelte nämlich der damalige preußische König Friedrich Wilhelm III. eine politische Denkschrift ab, die ihn zu Reformen aufforderte. Preußen hat immer zwei Seiten. Und wenn de Bruyn über seine Herkunft spricht, merkt man, dass das Außenseitertum für ihn dazugehört. Er wurde am 1. November 1926 als Katholik in Preußen geboren, in Berlin.

    De Bruyn: " Meine familiäre Erziehung oder Bildung oder die Haltung, die ich von meiner Familie mitbekommen habe, das war immer eine, in der ich darauf achtete, immer ich selbst zu bleiben. Das Katholische bei mir hat mich sowohl in der Nazizeit, wo ich noch sehr jung war, und bald darauf später in der DDR immer davor bewahrt, diese gesellschaftlichen Utopien mitzumachen. Ich war nie anfällig für politische Propaganda, die so auf Utopie hinging. Davor schützte mich wahrscheinlich dieser katholische Hintergrund, nehme ich an, das ist natürlich immer so eine nachträgliche ... (...) Wissen Sie, ich war von Kind an gewöhnt, als Katholik unter Protestanten immer eine Sonderstellung zu haben. Und mich immer davor hüten zu müssen, mit den anderen mitzumachen. Es war so ne Außenseiterhaltung, die ist mir anerzogen. Es wäre für mich völlig unmöglich gewesen, in die SED einzutreten. Das ist manchmal an mich herangetragen worden, aber das hab ich mit meinem Katholischen immer abwehren können. Insofern hatte ich es auch relativ leicht. Da ich mich immer als Bürgerlicher und als Katholik zu erkennen geben konnte, hat man mich relativ wenig belästigt damit, es wurde auch von anderen oft anerkannt. "

    Das Preußisch-Unabhängige, die unbestechliche Haltung hat ja in letzter Zeit eine gewisse Konjunktur, auf überraschende Weise wird mancherorts hier sogar das größte Widerstandspotenzial gegen totalitäre Versuchungen gesucht. Doch Günter de Bruyns Preußentum hat nichts mit Starrheit zu tun, mit Rigidität, und schon gar nichts mit Herrenreitertum und Elite. Es ist ein ideales Preußen, das vor allem in der Kunst aufscheint und in dem Versuch, die Leichtigkeit und Heiterkeit des Südens auch in einer kargen Sand- und Sumpflandschaft vorstellbar zu machen.

    In seinem neuen Buch ist Königin Luise, die Gemahlin des schon erwähnten wenig kunstsinnigen Friedrich Wilhelm III., wieder gegenwärtig, eine Lieblingsgestalt von Günter de Bruyn, und wenn er das Leben des berühmten Bildhauers Johann Gottfried Schadow nachzeichnet, schwingt viel Identifikatorisches mit. Das Zeichentalent des jungen Schadow, Sohn eines armen Berliner Schneidermeisters, wird zufällig in der Bildhauerwerkstatt des königlichen Hofbildhauers Jean-Pierre Antoine Tassaert entdeckt, und dessen Frau nimmt den begabten Armeleutesohn als Pflegekind auf und gönnt ihm eine künstlerische Ausbildung.

    Dass Schadow sich dann auch in Liebesdingen als stürmisch und unabhängig entpuppt, wird von de Bruyn genüsslich ausgekostet. Das Preußentum von unten, von zunächst armen, verkannten Künstlern ist sein Elixier: die Schönheit, die widrigen äußeren Verhältnissen abgerungen wird. Günter de Bruyns Wirkung auf seine Leser in der DDR hatte genau damit zu tun. Denn er schien dieses Lebens- und Künstlerideal in Reinform zu verkörpern. Als er 1967, als 41-Jähriger, eine seiner zahlreichen Wanderungen durch entlegenste Gebiete der Mark Brandenburg machte, fand er das Symbol dafür: das verfallene Haus eines Kleinbauern, mit einem Ziehbrunnen im Hof, ohne fließendes Wasser und ohne Strom. Im Verschlag für die Hühner lagen noch die Stahlhelme, die als Futternäpfe gedient hatten. Die Petroleumlampen waren zerschlagen, und vor den Türen und den Fenstern hingen dichte Spinnweben.

    Hier zog Günter de Bruyn ein. Das Wohnen in Görsdorf bei Beeskow, in einer dünn besiedelten Gegend, wo ein Rinnsal sein Wasser zwischen sandigen Hochflächen der Spree zuführt, ist de Bruyns Exil im Innersten der DDR gewesen. Er legte Wert darauf, schwer zu erreichen zu sein. Lange wohnte er hier ohne Telefon, und diese innere Unabhängigkeit ist es, die auch seine Bücher auszeichnet.

    " Ich hab noch bis kurz vor der Wende ohne Strom gelebt. Das hat mich nicht gestört, ich habe so meine Bücher geschrieben. Zurückgezogen zu sein war mir wichtiger als jeglicher Luxus. Der Luxus, ungestört da zu sein, war der erstrebenswerteste. "

    "Als Poesie gut": in de Bruyns Kompendium seiner preußischen Selbstvergewisserung tauchen sie alle auf: Tieck, die Brüder Schlegel, Schleiermacher, Kleist und nicht zuletzt die Salondamen Henriette Herz und Rahel Varnhagen. Ein preußisches Bürgertum, das gerade im Berlin von heute auf erschreckende Weise fehlt. Mit dem Tod Friedrich II., des so genannten "Großen", beginnt die große Zeit der Berliner Kultur, und sie endet, auch das hat einen tieferen Sinn, für de Bruyn mit der demütigenden Niederlage gegen Napoleon und dem Frieden von Tilsit 1807, sie endet an dem Punkt, als die Preußen sich neu sammeln und zu den "Befreiungskriegen" rüsten.

    Vor allem zu Friedrich de la Motte Fouqué hat de Bruyn ein besonders herzliches Verhältnis, er ist neben Fontane sein wichtigster Gewährsmann in Preußen: geboren im Herrenhaus von Gut Sacrow, stieg er mit seiner Familie jedoch sozial bald ab, und in Lentzke, wo man sich wiederfand, gab es nicht mehr die Havelseen, sondern nur den Rhin, ein unansehnliches Flüsschen, statt der Nachbarschaft von Parks und Schlössern flache Äcker und Wiesen.

    In dieser Abgeschiedenheit reifte der junge Fouqué zum Dichter, und nach einer mäßigen Militärlaufbahn gelang es ihm, eine Frau von Briest zu heiraten und im Schloss Nennhausen unterzukommen. In all diesen Porträts - 49 Kapitel hat das Buch - gibt es jenen nüchternen, trocken ironischen, sachlich und heiter plaudernden Erzählton, der de Bruyn mit Fontane verbindet.

    Aber da ist noch etwas Anderes. De Bruyn hat auch eine große Vorliebe für einen ganz anderen Typus der damaligen Zeit, für den altfränkisch, aber frei dahinschwebenden Jean Paul. Über den hat er sogar eine Biographie geschrieben. Der Jean Paulsche Humor ist in de Bruyns Weltsicht unverkennbar.

    De Bruyn: " Fontane konnte mit Jean Paul überhaupt nichts anfangen. Aber das sind so zwei Seiten von mir, bei mir, ich denk die auch nicht zusammen als Einflüsse. Aber ich muss sie immer nennen, weil - das sind die Autoren, die ich am nähesten kenne, die mir am nächsten stehen. Und die müssen Einflüsse auf mich ausgeübt haben... Bei Jean Paul ist es so (...), dass er mir als Mensch viel näher steht. In seiner Vielfältigkeit. Sowohl in seiner Sentimentalität als auch in seinem Hang zur Satire. Bei Fontane hat mich
    mehr so dieses Heimatliche berührt. "

    Der Stil de Bruyns hat viel mehr mit Fontane zu tun: die leisen Vorlieben, der leise Humor. Doch im Untergrund schwingt eine große Sehnsucht mit, die Sehnsucht abzuheben, eine Sehnsucht, die er immer in Jean Paul verkörpert sah. Deswegen sind de Bruyns Porträts aus der Berliner Kunstepoche um 1800 von einer in den märkischen Breiten eher seltenen Eleganz. Und obwohl sie so beiläufig daherkommen, so parlierend und unterschwellig, rundet sich das Buch zu einer großen Kunst- und Kulturgeschichte.

    Kleist oder Fichte, Friedrich Nicolai oder Karl von Nostitz - wo man auch gerade hineingerät, immer blitzt das Große und Ganze auf, das Widerspiel zwischen Geist und Macht, das Preußen auf solch unverwechselbare Weise definiert. Günter de Bruyn, der Katholik in Preußen, ist von der schwierigen Liebe zu seiner märkischen Herkunft durchdrungen. Seine Gelassenheit, seine Bescheidenheit, aber auch das Unbeirrbare seiner Haltung rührt daher. Und auch, wenn er über sich anlässlich seines achtzigsten Geburtstags spricht, ist der Grundzug vor allem: Redlichkeit.

    De Bruyn: " In dem Augenblick, wo ich anfing zu schreiben, wo man ja gar nicht weiß, ob man überhaupt dazu befähigt ist, oder ob man - es ging auch darum, dass ich von der Schriftstellerei leben konnte - da war natürlich so ne Unsicherheit da. Nachdem eine Anerkennung da war, die ja auch eine Selbstanerkennung wird - also, ich hab nie unter Größenwahn gelitten, sondern unter dem Gegensatz eigentlich bis heute, dass ich immer eher Minderwertigkeitskomplexe hatte und zuviel dachte, nein, das wird doch nicht so recht gehen jetzt, wie ich mir das so vorgestellt hab und so - aber nachdem so ne gewisse Selbstsicherheit eingetreten war, konnte ich
    natürlich auch anders auftreten. "

    Günter de Bruyn (80. Geburtstag 1. 11. 2006):
    Als Poesie gut. Schicksale aus Berlins Kunstepoche 1786-1807.

    Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main.
    523 Seiten.