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Der männliche Rollenwechsel

In Berliner Szene-Vierteln werden sie Intensivväter genannt, die Männer, die ihre Vaterrolle aktiver ausfüllen als allgemein üblich. Vorreiter in der Auseinandersetzung mit der neuen Vaterrolle sind die Autoren. In vielen Romanen geht es zurzeit um das Thema Vaterschaft. Und der Berliner Dramatiker Tom Peuckert lässt in seinem neuen Stück "Elende Väter" die Generationen aufeinandertreffen.

Von Christiane Enkeler | 11.11.2007
    Der arme Mann! Das kann man fast zu allen Figuren sagen, die Tom Peuckert in dieser Revue mit Gesang auflaufen lässt: Versammelt sind ein paar "Väter"-Exemplare innerhalb eines Wartesaals, dessen riesige Fenster im Hintergrund nichts anderes zeigen als eine Betonmauer - und Regen. Trübe Aussichten in einem klinisch weißen Raum, in dem auf irgendwas Amtliches gewartet wird, das zwar nicht näher definiert, aber auf jeden Fall bedrohlich und mächtig ist und ein weibliches Gesicht hat, eine "Kriegerinnen-Fresse", wie Jonathan feststellt.

    Jonathan und Anton sind noch die beiden, die sich arrangiert haben: Anton versorgt zuhause die Kinder, während seine Frau die Kohle offenbar scheffelt - und ihm ein sündhaft teures Hobby-Labor bezahlt, in dem er Zeitreisen in die eigene Erinnerung unternimmt und noch einmal mit diversen Frauen poppt - also: Flucht. Jonathan, der auch die Klasse der reichen Klischee-Rentner vertritt, muss von seinem Sohn zum Klo getragen werden - beschenkt ihn aber gleichzeitig zusammen mit einer jungen Frau mit einem kleinen Schwesterchen - also: Potenz.

    "Seit deine Schwester auf der Welt ist, sind wir alle etwas empfindlich. Typisch Großfamilie. Bisschen patchy, aber das stört keinen echten Kavalleristen, was?"

    Das sind die paradoxen Anforderungen an den Vater von heute: Karriere soll er machen - und beim Schwangerschaftsultraschall dabei sein. Vorbild und Beschützer für die eigenen Kinder (Söhne!) sein - und irgendwie selbst wissen, wo es lang geht. Und der freischaffende "Autor" ringt in einem langen Monolog mit den Fixkosten und familiär eingeplanten Einnahmen auf der einen Seite und gering bezahlter Arbeit und der Sehnsucht nach einer vergangenen Boheme-Existenz auf der anderen: Selbstverwirklichung ade!

    Jürgen wird sogar richtiggehend unterdrückt, von Frau und Tochter in vegetarischer Kost gehalten, bis er abnimmt und ihm die Haare ausfallen, während die beiden sich heimlich in der Vorstadt mit Fleisch verwöhnen.

    Es ist so anstrengend, alles richtig zu machen: Also hassen sie, die Väter, die "Streber", die bei der Schwangerschaft "mitfühlen, mitfühlen, mitfühlen" wollen, und lieben ihre Kinder, selbst wenn sie noch gar keine haben. Sie kämpfen gegen die "Vereinzelung", die Abwehr-Kollektive sehen aber auch eher hilflos aus. -

    Bei Tom Peuckert können die Widersprüche und Reizbarkeiten lustig oder doch wenigstens grotesk sein, durch alle aufreibende Verzweiflung hindurch.

    "Elende Väter" ist auch ein dankbares Stück für Schauspieler, die hier mit viel Liebe Rollenbilder spielen und überzeichnen können - und entsprechend werfen sich die Bielefelder in die Rollen und reißen das Publikum mit. Unter der Regie des Intendanten Michael Heicks, der die boulevardeske Form gewählt hat, bis auf wenige stille Momente. Und ein paar ironische Chorstellen - Tragödie, Schicksal!

    "Beim Zeus, was ist aus diesem Geschlecht geworden?! Habt ihr die gläsernen Brücken über den Nil gebaut?! Tragt ihr blaue Bänder, als Zeichen, dass niemand schneller ist als euresgleichen?! Und fürchtet euch nun vor ein bisschen Rauch?!
    - Vater, um Himmelswillen, ich flehe dich an: Lösche den Brand!
    - O, Lösche den Brand! (Chor) - O, lösche den Brand!
    - Nichts da, mein Sohn. Nur als Leiche verlässt ein Vater die vorderste Linie!
    - Du machst die Elemente selber dir zum Feind!
    - Du machst die Elemente selber dir zum Feind! (Chor)
    - Ich bin das erste Element! Das Ur! Das Alpha und das Omega!
    - Mein Gott, wie soll das enden?!
    - Wie soll das enden?! (Chor)"

    Wie "patchy" die Familie auch immer - Jonathan bleibt der Vertreter des alten Patriarchats. Und wie das alles enden soll, das weiß die Autor-Figur, die am Ende noch einmal auf der Bühne steht, auch nicht - nur, dass man was Lustiges schreiben muss, um seinen "Fuß auf die Kammerbühne" zu kriegen. Man kann hier gut ablachen. Einiges geht einem trotzdem nach. Ach, übrigens auch als Frau, denn die Frauen, wie der "Autor" referiert, warten ja inzwischen auch länger, bis mal Kinder auf dem Plan stehen. Und könnten dann als Mütter sicher oft auch mitsingen, zur Live-Musik von Patrick Schimanski - hier, wenn's um die Sehnsucht nach "Party" geht (- hm, bis auf die "Miezen" vielleicht).

    "Mach doch auch mal richtig Party
    Lass es krachen gnadenlos
    Sauf dich voll bis an die Ohren
    Nimm ne Mieze auf den Schoß (hier ausblenden)
    Mach doch auch mal richtig Party..."