Montag, 29. April 2024

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Der Maler Christian Schad
Chronist des "lasterhaften Berlins" und Dada-Initiator

Seine Bilder prägen unbewusst unser Bild vom Berlin der 1920er-Jahre, sagen Kunsthistoriker und stellen ihn auf eine Stufe mit Otto Dix und George Grosz: Doch der am 21. August 1894 geborene Christian Schad ist fast vergessen. Dabei war er auch Ideengeber für Dada.

Von Carmela Thiele | 21.08.2019
    Das Gemälde "Selbstporträt" des Malers Christian Schad aus dem Jahr 1927 (Ausschnitt)
    "Selbstporträt" mit Akt und Narzisse - Christian Schad malte das Bild im Jahr 1927 (dpa/Frank Mächler)
    Wer seine Bilder anschaut, erkennt sofort: 20er-Jahre, Neue Sachlichkeit, allesamt Porträts, präzise gemalte Studien vereinzelter Menschen in urbanen Landschaften. Christian Schad lotete diskret die Gemüter seiner Zeitgenossen aus. Sich selbst malte er 1927 in einem grünlich schimmernden, durchscheinenden Hemd, enganliegend wie eine zweite Haut. Ihm gegenüber sitzt eine Frau auf zerwühltem Laken. Ihr einziges Kleidungsstück ist ein schwarzes Band um das Handgelenk. Was eine Momentaufnahme sein könnte ist, ist die Synthese verschiedenster Empfindungen. Christian Schad erinnert sich viele Jahrzehnte später an das Bild:
    "Ich sehe eine Hand, wie zum Beispiel bei dem Schießbudenmädchen auf meinem Selbstporträt, diese Hand, dieses Mädchen, hat mich fasziniert. Mir war ganz gleichgültig, wie das Mädchen aussah, aber die Hand war es, und dahinter diese Schießbude, also eine lebendige Hand neben einer gemachten Sache. Also ich meine, nicht industriell gemacht oder brauchbar gemacht, sondern einfach für das Amüsement der Menschen ist diese Schießbude gemacht und davor diese lebendige Hand mit diesem kleinen Schleifchen daran."
    Ideengeber für Dada
    Das Selbstbildnis ist Schads bestes Bild. Das markante Profil der Frau mit dem Pagenschnitt ist - wie das Schleifchen am Handgelenk - eine Erinnerung an etwas Gesehenes. Die Narzisse, die im Hintergrund aus einer Vase ragt, spielt symbolisch auf narzisstische Liebe an, und vielleicht auch auf den Narzissmus des Künstlers allgemein. Damals war Schad von Wien nach Berlin übersiedelt. Zuvor hatte er verheiratet in Italien gelebt, wo er seinen Malstil am Beispiel der italienischen Meister der Frührenaissance geschult hatte: klare Konturen, unsichtbare Pinselstriche, kühler Perfektionismus bis ins Detail.
    Der Kunsthistoriker Matthias Eberle organisierte 1980 in der Kunsthalle Berlin eine große Schad-Retrospektive: "Christian Schad war eigentlich immer jemand, der ein Einzelgänger gewesen ist, und sich nicht eingefügt hat in bestimmte Gruppierungen. Und bei Dada war es so, dass wesentliche Anregungen von ihm und Serner ausgegangen sind, aber ganz andere das dann ausgewertet haben, während die eigentlichen Initiatoren dann hinterher ein bisschen in Vergessenheit geraten sind."
    Experimente mit Fotogrammen: "Schadografien"
    Mit dem Literaten und Philosophen Walter Serner teilte Christian Schad in Zürich und Genf eine Wohnung. Serner gab 1915 die Kunst- und Literatur-Zeitschrift "Sirius" heraus, für die der damals 21-jährige Schad expressionistische Holzschnitte schuf. Beide lehnten eine politische Festlegung ab, genauso wie moralische Dogmen und den Krieg.
    Der am 21. August 1894 geborene Schad stammte aus einer liberalen Familie und wuchs in München auf. Schad und Serner trafen in Zürich auf die Dada-Gründer Hugo Ball und Emmy Hennings, auf Hans Arp und Tristan Tzara.
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    Hugo Ball war in seinem Leben vieles: Bohemien und Theatermensch, Expressionist und Dadaist, politischer Publizist und katholischer Zeitkritiker. In "Die Flucht aus der Zeit" lassen sich die unterschiedlichen Aspekte seines Künstlerlebens entdecken.
    Aber schon bald experimentierte Christian Schad mit Fotogrammen, ohne Kamera belichtete Papiere, auf denen er Fundstücke arrangierte. Die abstrakten Lichtzeichnungen gingen als "Schadografien" in die Kunstgeschichte ein. Viel bekannter aber sind seine grafischen Milieustudien, die er Jahre später in Berlin schuf.
    "Schad ist von der Qualität her mit Dix und Grosz und solchen Künstlern der 20er-Jahre zu vergleichen (...) Er hat eigentlich die Bilder gemalt, die ganz unbewusst unser Bild vom Berlin der 20er-Jahre prägen. Das hängt auch damit zusammen, dass er Illustrationen gemacht hat für ein Buch, "Das lasterhafte Berlin", und dass er Bilder gemacht hat, die wie in einem Brennglas die Situation in Berlin zeigen."
    Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
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    Sentimentales Spätwerk
    Christian Schad lebte seit Mitte der 40er-Jahre zurückgezogen bei Aschaffenburg, malte weiter, hatte aber die Verbindung zum Zeitgeist verloren. Für ihn war die Kunst zeitlos geworden, der Mensch in seiner Widersprüchlichkeit aber weiterhin ein spannendes Motiv:
    "Der Künstler steht dort, wo er findet, dass es interessant ist. Ich finde das Leben so interessant und so wunderbar, warum soll man das anders machen. Das Leben ist kurz genug. Und das Leben ist so schön, das Leben ist gegenwärtig. Wer nach Zukunft und Vergangenheit schielt, kommt nicht zum Leben."
    Als Christian Schad 1982 starb, bezeichnete Eduard Beaucamp das Spätwerk zu Recht als sentimental. Der Kunstkritiker vermisste die desillusionierte Leichtigkeit und Härte, die Schads Bilder über das Berlin der 1920er-Jahre gekennzeichnet hatten.