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Der Maler des dunklen Lichts

Seinen Zeitgenossen galt der Maler, Grafiker und Bildhauer Anders Zorn als "Jahrhundertgenie". In Deutschland, wo der Schwede um 1900 bekannter war als heute, ist er jetzt wieder zu entdecken, in einer Retrospektive im Lübecker "Museum Behnhaus Drägerhaus". Dort gibt es eine Auswahl von 100 Arbeiten, Gemälden, Aquarellen, Radierungen und Plastiken aus allen Schaffensphasen Zorns zu sehen.

Von Rainer B. Schossig |
    Dieser Anders Zorn war ein Tausendsassa, ein Genie an Schnelligkeit und Blickschärfe, dazu ein beunruhigend geschäftstüchtiger Kunst-Unternehmer in eigener Sache, ein früher "Global Player" des internationalen Kunstbetriebs. In den vier Minuten, die dieser Beitrag dauern darf, hätte Anders Zorn zwei Skizzen und ein veritables Aquarell aufs Papier gebracht - und vielleicht schon verkauft.

    Jetzt ist in den kleinen, klassizistischen Bürgerzimmern des Lübecker Museums "Behnhaus Drägerhaus" zu sehen, was dieser wohlgemute Künstler geleistet und hinterlassen hat: nordische Landschaften und bunte Dorfidyllen, perfekte Gesellschafts-Porträts und - sehr bevorzugt - hüllenlose Damen in freier Natur. All dies hat die Kuratorin Anna-Carola Krausse klug zusammengetragen - unter dem Motto "Der schwedische Impressionist Anders Zorn":

    "Es ist schwer, den Begriff Impressionismus auf Zorn anzuwenden. Er entwickelt eine ganz eigene Form der Eindrucksmalerei. Er übernimmt von den französischen Impressionisten die Ausschnitthaftigkeit der Wirklichkeit. Aber er zerlegt die Bilder nicht in die Spektralfarben, sondern er bleibt in einer tonigen Malerei, einer gedeckten Palette. Man könnte ihn vielleicht einen 'Maler des dunklen Lichtes' nennen."

    Da steuert im weichen Licht der Mitternachtssonne eine blutjunge Bäuerin in gestreifter Schürze einen Kahn übers Gewässer, das glatt wie Öl ein grünes Ufer spiegelt. Das verlorene Profil des Mädchens ist verschattet; dafür liegt das warme, späte Licht zärtlich auf ihrem Nacken und halb entblößtem Oberarm. Noch lieber mag Zorn es, wenn seine Modelle ihre Hüllen ganz fallen lassen, im Halbschatten spielender Sonnenflecken, auf saftigem Wiesengrün, sich roter Strümpfe entledigen, oder - oft sichtlich zögernd - ins skandinavisch-kühle Nass tauchen, halb von Schilf und Zweigen verdeckt.

    Erstaunlich ist Anders Zorns Gespür für Wasser: ob in Öl oder Aquarell - es ist immer anders. Im Teich liegt es abwartend da, an der abendlichen Mole glitzert es wie geschmolzenes Zinn, es kräuselt sich leicht an der Ostsee, an der Nordsee gischtet es dramatischer, und im Hamburger Hafen schwappt das Brackwasser träge zwischen den Ozeandampfern.

    Eine große Aquarell-Szene mit Fischern, die am Strand von St. Ives in Cornwall ihren Fang löschen, wirkt wie ein leicht unscharfes Farbfoto, so perfekt gemalt, dass das Auge alle fehlenden Einzelheiten spielend ergänzt. Und all dies à la prima gemalt, ohne jede Korrektur!

    Schon als Knabe hat Zorn das Aquarellieren erlernt, und mit 21 verlässt er die Stockholmer Akademie, um im Vaterland der "Water Colours" sein Glück zu machen. Er mietet ein Atelier in London, wo er mit seiner zupackenden, zugleich präzisen Bildnismalerei schnell zahlende Kunden findet.

    Seine nächste Lebensstation ist Paris, sechs erfolgreiche Jahre verbringt er in der Hauptstadt der Malerei. Seine virtuose Mal- und Radier-Kunst erregt Aufsehen im Pariser Salon und auf der Internationalen Weltausstellung von 1889. Der Emporkömmling aus der nordischen Provinz skizziert auf Schritt und Tritt - im Theater, im Tingeltangel, in der Pferdebahn - wie weiland Adolph Menzel, und doch ist er kein Chronist seiner Zeit, wie Daumier, Steinlen oder Toulouse-Lautrec.

    Anders Zorn fehlt die soziale Botschaft. Er entkleidet die nackten Damen auch noch jeder Symbolik, jeder allegorischen Aufladung. Über ihre physische Präsenz hinaus bedeuten sie gar nichts.

    "Anders Zorns Botschaft bestand in Lebensfreude. Er war ein lebenslustiger Mensch, ein hedonistischer Typ, und das vermittelt sich auch in seiner sehr sensitiv-sinnlichen, aber zugleich kraftvollen Malerei. Das ist auch der große Unterschied zu dem Norweger Munch."

    Und in gewisser Weise ist diese Augenblickhaftigkeit, in der sein Personal so spontan wie ideal aufleuchtet, auch das Drama dieses Künstlers selbst. Alle Ismen seiner Zeit perlen an ihm ab: Stilkunst und Symbolismus, Jugendstil, Expressionismus - all dies scheint ihn nicht zu kümmern. Ähnlich wie sein Zeitgenosse Max Klinger verharrt Zorn in seiner Welt, wo Licht, Stofflichkeit und Sinnlichkeit ohne höheres Ziel gefeiert werden.

    Der Aufbruch der Moderne interessiert ihn ebenso wenig wie die Konventionen des Akademismus. Als unerreichter Virtuose ist er sich selbst genug. Die Lübecker Ausstellung führt dies schlagend vor, thematisiert es aber nicht. Das ist schade, denn nur wer die Frage beantwortet, wie ein dermaßen begabter Künstler so abseits der Hauptströmungen seiner Epoche reüssieren konnte, kann diesen Solitär wirklich neu entdecken und bewerten.

    Vielleicht hat der alternde Anders Zorn ja doch gespürt, dass seine Zeit abgelaufen war. Im letzten Selbstporträt von 1915 zeigt er sich zwar in Herrscherpose im weißen Wolfspelz, doch das ist nicht mehr der strahlende Salonlöwe, sondern ein Mann mit nach innen gekehrtem, rückwärts gewandtem Blick, der im schmeichelnden Pelz fast verschwindet, geradezu Schutz sucht vorm Ansturm der neuen Zeit.