Mittwoch, 24. April 2024

Archiv


"Der Managuasee ist nicht tot"

Der Managuasee in Nicaragua ist doppelt so groß wie der Bodensee und die größte Kloake in Mittelamerika. Denn jeden Tag werden Tausende Tonnen Müll in den See gespült und strömen Zehntausende Kubikmeter Abwässer der Großstadt Managua ungeklärt in den See. Doch nun soll eine neu Kläranlage dies ändern.

Von Jan Fragel | 12.06.2009
    Der Managuasee stinkt erbärmlich, dass dem Besucher manchmal die Luft wegbleibt. Er ist eine Kloake, das Klo der Metropole Managua - seit mehr als 80 Jahren. Das Abwasser von 1,2 Millionen Menschen und aus 60 Fabriken strömt ungeklärt in den See. Dazu kommen tonnenweise Müll - und sogar Schwermetalle wie Quecksilber.

    Ein bisschen außerhalb des Zentrums von Managua, im Stadtteil Los Torres, macht gerade ein Fischerjunge sein Boot fest. Es ist Roger, 14 Jahre alt, schlank. Er trägt ein grünes Achselhemd und ist wortkarg. Roger hält in seinen Händen je vier Fische. Sie heißen Tilapia, erklärt er, und sind zum Essen.

    Jede dritte der etwa 5000 Familien lebt vom Fischfang im Viertel Los Torres. Mit klapprigen Ruderbooten fahren sie nachts auf den See und versuchen zu fangen, was in dem verdreckten Wasser noch lebt. Es ist nicht mehr viel, erzählt der 45-jährige Leiter des Stadtteils, Carlos Obleto.

    "Gerade jetzt ist es sehr schlecht. Gestern Nacht sind sie rausgefahren und morgens zurückgekommen, und sie hatten gerade mal vier Dutzend Fische gefangen - höchstens. Vier Dutzend Fische! Da bleibt kein Geld, um etwas zurückzulegen. Das ist ganz schlecht."

    Die Leute in seinem Viertel wüssten zwar, dass der Managuasee verseucht ist, aber, so sagt Carlos, bei ihnen sei noch niemand krank geworden, weder durch das Wasser noch wegen der Fische. Darum essen sie die Fische selbst oder verkaufen sie auf dem Markt.

    Die Menschen haben sich an das Leben mit der Kloake gewöhnt. Sie nutzen das verdreckte Wasser aus dem See auch, um ihre Felder zu bewässern, um darin zu baden oder ihre Wäsche zu waschen. Aber die Gesundheitsbehörden warnen: Besonders die Menschen, die direkt am Ufer wohnen, leiden unter Durchfall, Hepatitis und Malaria - 20.000 Fälle gebe es pro Jahr.

    Etwa acht Kilometer Richtung Osten am Ufer entlang steht die neue Kläranlage von Managua. In sie setzen auch die Fischer ihre Hoffnung. 32 Kilometer neue Abwasserkanäle wurden in der Stadt verlegt, weitere kommen hinzu und die Häuser werden angeschlossen. Bereits 2010 sollen mehr als eine Millionen Menschen ihre Abwässer in die neue Kläranlage leiten. Rund 25 Millionen Euro hat Deutschland für den Bau der Kläranlage in Managua bezahlt.

    Die Hoffnung auf die reinigende Wirkung der Kläranlage ist groß. Ruth Herera, die Präsidentin von ENACAL, dem staatlichen Unternehmen für die Wasserver- und Entsorgung, geht davon aus, dass bereits in fünf Jahren der Managuasee zumindest nicht mehr stinkt.

    Was die Kläranlage nicht beseitigen kann, ist der Müll, der täglich tonnenweise über Regenwasserkanäle in den See gespült wird.

    "Wir Nicaraguaner sind Spezialisten, wenn es um das Wegwerfen von Müll in die Landschaft geht. Ob Plastik, Autoreifen oder Öl - es ist eine Tradition. Leider haben alle Regierungen vorher versäumt, die Bürger dazu zu erziehen, Wasser und Umwelt zu schützen. Wenn wir es nicht schaffen, diese Kultur zu verändern, wird wenig passieren."

    Darum gibt es parallel zum Bau der neuen Kläranlage in Managua Werbekampagnen der Regierung und Bildungsinitiativen in den Schulen und in den Stadtteilen. Sie sagen den Menschen, wie wichtig es für sie selbst ist, den See zu schützen und sich an die neue Kanalisation anzuschließen - gegen Gebühren. Der Anschluss koste nur wenige Cent pro Kubikmeter Abwasser, aber ein sauberer See sollte das auch den Ärmsten wert sein.

    Die neue Kläranlage in Managua und die Erziehungsprogramme hat die nicaraguanische Regierung eingebettet in ein Gesamtkonzept zum Schutz des Managuasees. Einbezogen sind die Müllkippe von Managua direkt am Ufer des Sees und die Landwirtschaft, von der Dünger und Pestizide in den See gespült werden.

    Außerdem wird das Abwasser von 60 kleinen und großen Betrieben - etwa Gerbereien oder Jeansfabriken - kontrolliert. Ruth Herera sagt, die jetzige Regierung sei die erste, die sich in einem Gesamtkonzept der Aufgabe stellt, aus der Kloake wieder einen sauberen See zu machen.

    "Der Managuasee ist nicht tot. Der See ist lebendig. Unsere Untersuchungen in den vergangenen zwei Jahren haben gezeigt, dass es Pflanzen, Tiere, Plankton und genug Sauerstoff gibt. Darum lohnt sich die Anstrengung."