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Der Mann, der sich umdrehte

Joseph Roths Roman "Hiob" ist eine Art Familienchronik aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Familie Mendel wandert nach Amerika aus, weil ein Sohn dort erfolgreich ist, und man den Rest der Familie schützen kann. Aber keine Rettung naht. An den Münchner Kammerspielen hat der niederländische Regisseur Johan Simons, der dort in zwei Jahren auch Chef wird, das Stück bearbeitet.

Von Sven Ricklefs | 20.04.2008
    Die Welt ist ein buntes Karussell, da steht oben birth und death dran und dazwischen: love, und das ist dann das Leben. Und da dieses Leben ein Stückwerk ist, kann man viele kleine schmale Vorhänge rund um das Karussell zuziehen, die haben alle ein anderes Muster. Dabei ist die eine Hälfte des Erdenrunds Amerika, da sind die stars hellgrün und die stripes grell-lila, das ist das Land der Verheißungen, in das der kleine, gottesfürchtige Mendel Singer mit einem Teil seiner Familie auswandert. In der anderen Hälfte da sieht man die nackten Bretter, das ist das arme Städel irgendwo im großen Reich des russischen Zaren.

    Hiob: " Ich bin Mendel Singer, Jude, fromm, gottesfürchtig und gewöhnlich, ich habe ein blasses Gesicht und große träge schwarze Augen, auf meinem Kopf sitzt eine Mütze aus schwarzem Seidenrips. Mein Haus besteht aus einer großen Küche. "

    Das ist Mendel Singer, der kleine einfache Mensch, der auf dem Leben sitzt, wie auf einem Karussell, das sich dreht, ohne zu wissen, wozu, Mendel Singer, der einen behinderten Sohn hat und einen weiteren, der ihn verlässt, um Soldat zu werden und einen, der nach Amerika geht. Dahin wird ihm Mendel Singer folgen, auch wenn er den jüngsten Sohn dafür zurücklassen muss, weil Behinderte im reichen Amerika nicht willkommen sind. Mendel Singer aber muss die Ehre seiner Tochter retten, denn die geht mit den Kosaken.

    Doch angekommen im neuen Land, trifft diesen neuen Hiob bald ein Schlag auf den anderen: ein Sohn fällt im ersten Weltkrieg für sein neues Vaterland Amerika, der andere ist im russischen Feldzug verschollen, die Mutter stirbt vor Gram, die Tochter wird wahnsinnig. Und da verflucht der fromme Mendel Singer seinen Gott und ist damit so ganz anders als einst jener Hiob des alten Testaments:

    Rabbi: " Beten Sie, der liebe Gott kann helfen."
    Hiob: "Der liebe Gott kann helfen, hast du je gehört, dass er einem Mendel Singer geholfen hätte. Deborah, frag ihn mal, den lieben Gott da oben, ob er einem Mendel Singer helfen wird. So!"

    Dass diesem Mendel Singer sein Gott noch ein Wunder schickt, daran scheint in den Münchner Kammerspielen auch Regisseur Johan Simons nicht so ganz geglaubt zu haben. Merkwürdig blutleer spielt die Schauspielerin Sylvia Krappatsch den jüngsten Sohn, der einst Epileptiker war und nur das Wort Mama sprechen konnte und nun als genial-berühmte Musiker und Komponist seinen Vater in das lichte 32.ste Stockwerk des Astorhotels entführt. Wie eine Marionette hängt dieser Menuchim bei Sylvia Krappatsch wohl letztlich immer noch an den Fäden der einstigen Krankheit. Vielleicht soll hier aber, in dieser erschreckten Erscheinung, schon jene nahe Zukunft sich andeuten, die auch den jüdischen Künstlern in Europa harrte. Wie sich überhaupt etwa auch in den Soundteppich dieses Münchner Hiob das Heraufkommende einflicht, von den Rhythmen der russischen Revolution bis zu den harten Klängen moderner Kompositionen.

    Dabei hat Johan Simons in seiner Bearbeitung den Roman von Joseph Roth fast ganz ins Dialogische aufgelöst, wobei die Frage nach der Grausamkeit Gottes ebenso im Mittelpunkt steht, wie die Wurzellosigkeit derjenigen, die die Heimat verlassen. Und so versucht seine die Inszenierung einen weiten Bogen zu spannen, von dem kleinen Städelkarussell und dem kleinen frommen Leben des Mendl Singer hin zum Weltlauf. Das ist etwa im Bühnenbild von Bert Neumann wunderbar gelungen und wird natürlich getragen von einem Schauspieler wie Andre Jung, der Gottesfurcht wie Gotteszorn seines Mendel Singer allerdings nicht immer ohne alle Ironie zu zeichnen weiß. Trotzdem hat man über manche Strecken das Gefühl, dass sich hier Großstadtschauspieler auf Dorffiguren schrumpfen, um dem Legendenton des in seiner poetischen Kraft herzerweichenden Romans von Joseph Roth gerecht zu werden. Das Münchner Publikum allerdings ließ sich davon nicht abschrecken und feierte das Ensemble und den zukünftigen Hausherrn Johan Simons mit geradezu frenetischem Beifall.