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"Der Markt giert nach frischer Ware"

Die Masche der Kunstfälscher war dreist: Seit Mitte der 90er-Jahre schleusten sie an die 50 Fälschungen berühmter Avantgarde-Maler in den gefräßigen Kunstmarkt. Erst vor drei Jahren kam Verdacht auf, heute nun ist in Köln Anklage erhoben worden in einem der größten Kunstfälscherfälle der deutschen Nachkriegsgeschichte.

Stefan Koldehoff im Gespräch mit Rainer Berthold Schossig | 24.05.2011
    Rainer Berthold Schossig: Stefan Koldehoff im Studio - tja, was für Namen: Pechstein, Ernst, Campendonk, Derain, Kees van Dongen, Fernand Léger, aber eben alles falsch. Ein besonderes Problem für Fälscher sind ja immer die Provenienzen der Bilder, und da hatten sich die Betrüger ja anscheinend eine ganz besonders einfache, aber auch irgendwie verrückte Sache ausgedacht: eben diese Sammlung Werner Jägers. Was ist das?

    Stefan Koldehoff: Na ja, die Geschichte war die, dass dieser Werner Jägers, den es tatsächlich ja gegeben hat, zunächst mal in Krefeld gelebt habe, und aus Krefeld kommt Alfred Flechtheim, der große legendäre jüdische Kunsthändler der Weimarer Republik, der mitgeholfen hat, im konservativen Kaiserreich und später dann eben auch nach dem Ersten Weltkrieg in Deutschland die Moderne durchzusetzen. Und die Geschichte war nun, Werner Jägers habe Alfred Flechtheim gekannt und habe fleißig bei ihm eingekauft, diese Bilder seien dann im Krieg irgendwo in der Eifel in Sicherheit gebracht worden, nach dem Krieg wieder herbeigeholt worden, irgendwann hätten die Kinder sie dann geerbt und Stück für Stück weiterverkauft.

    Schossig: Es heißt, ein falsches oder genauer gesagt gefälschtes Etikett auf einer der Bildrückseiten, ich glaube sogar der große Campendonk, der ließ nun den Millionenbetrug auffliegen. Warum ist denn das nicht früher rausgekommen mit dem Aufkleber und wem ist es schließlich aufgefallen?

    Koldehoff: Weil alle ganz glücklich waren, dass es da plötzlich Unmengen marktfrischer Ware gab, weil die Fälscher sehr geschickt vorgegangen sind, was diese Provenienzen angeht. Die haben sich nämlich Kataloge aus den 1910er-, 1920er-Jahren besorgt und haben geguckt, welche Bilder gab es mal, welche waren mal auf einer Ausstellung, das dann abgeglichen mit den Werkverzeichnissen und dort festgestellt, welche heute als verschollen gelten. Und Bumsfallera, ausgerechnet die Werke tauchten dann in der Sammlung Werner Jägers wieder auf. Also Werke, die dokumentiert waren als existierend, aber als verschollen galten, die sollten alle dort überlebt haben. 2008 kam dann dieses Campendonk-Bild im Kunsthaus Lempertz unter den Hammer, und erst nachdem es gekauft wurde, von einer Schweizer Galerie, hinter der offenbar ein ehemals russischer Eigentümer steckt, da kamen die neuen Käufer auf die Idee, jetzt haben wir so viel Geld ausgegeben, nämlich rund drei Millionen, dann hätten wir doch gerne auch noch eine Echtheitsexpertise. Die war nämlich vorher gar nicht verlangt worden. Also ist das Bild stilkritisch untersucht worden, ist es von den Materialien her untersucht worden, und da hat man festgestellt, es gibt erhebliche Zweifel. Dazu kam dann das Etikett, das Sie beschrieben haben. Ganz viele dieser angeblichen Jägers-Bilder haben nämlich hinten Label ganz renommierter Galerien, unter anderem auch der Galerie Alfred Flechtheim oder seine Privatsammlung darauf, und dieses Flechtheim-Etikett, das wird geschmückt von einem Holzschnitt, das angeblich Flechtheim zeigt, das tatsächlich aber mehr aussieht wie eine, man muss es so sagen, antisemitische Karikatur aus dem Stürmer. Und da hat Ralph Jentsch, der große Flechtheim-Experte, zum ersten Mal gesagt, das kann nicht sein, und wenn das Label falsch ist, dann habe ich auch Zweifel am Bild, und hat dann systematisch zusammengetragen, wo denn diese falschen Etiketten noch überall auftauchen. So kam die Sache ins Rollen.

    Schossig: Der Campendonk wie gesagt war sehr teuer. Die falschen Stücke gingen insgesamt wohl für mehrere Millionen Euro über die Ladentische des Kunstbetriebs. Verdächtige Gemälde sogar im Museum in Deutschland, in den Niederlanden, in Paris auf dem Markt. Wer ist denn jetzt am meisten blamiert, die Museen, die Auktionshäuser, oder vielleicht die Sachverständigen?

    Schossig: Wahrscheinlich die Sachverständigen. Eigentlich schiebt man sich das aber im Moment so ein bisschen hin und her, gegenseitig die Schuld zu. Große Experten wie Werner Spieß haben Expertisen für offenbar falsche Max-Ernst-Gemälde ausgestellt, Campendonk, da gab es auch von der einschlägigen Expertin die entsprechenden Expertisen dazu. Man muss allerdings auch sagen, dass die Käufer zum Teil bereit waren, ohne solche Gutachten die Bilder zu kaufen. Es gibt zumindest die Aussage, dass dieses Kölner Auktionshaus Lempertz seit 1995 durch ein falsches Purrmann-Bild mit angeblich derselben Herkunftssammlung Jägers gewarnt hätte sein können, aber munter weiter Bilder akzeptiert hat, und insofern muss man schon sagen, es sind die Experten und es ist der Handel.

    Schossig: Also steckt dahinter im Grunde die Geldgier, oder warum geht so etwas so lange gut?

    Koldehoff: Na ja, der Markt giert nach frischer Ware, man möchte Bilder haben, die noch nicht überall herumgereicht worden sind, und wenn da jemand mit der schönen Geschichte kommt, das hat Opa und Oma unterm Sofa gehabt oder in der Eifel, und zudem es noch eine offenbar plausible Erklärung dafür gibt, wo die Bilder herkommen könnten, dann ist Vorsicht nicht mehr geboten, und das ist auch das, auf das in der Berichterstattung in den letzten Monaten, seit dieser Fall immer höher kocht, drauf hingewiesen worden ist. Es gibt nicht nur einen Schuldigen, es gibt viele Schuldige, die dazu beigetragen haben, dass diese Fälscherfamilie, ein Ehepaar, die Schwester und ein Bekannter, inzwischen millionenschwere Anwesen in Südfrankreich und in Freiburg hatten.

    Schossig: Letzte Frage ganz kurz: Wie können sich die Betroffenen besser wehren in Zukunft? Mehr Hightech?

    Koldehoff: Sicherlich die Bilder sorgfältiger untersuchen lassen und vielleicht auch nicht auf einen Experten verlassen. Man sollte wie bei Rembrandt Gremien installieren, die jeweils für einen Künstler zuständig sind.

    Schossig: Die Kunstsammlung Jägers. Das war Stefan Koldehoff über Hintergründe eines Kunstskandals heute.