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Der Meier hat das noch gewusst

In vielen Unternehmen gibt es Mitarbeiter, deren Wissen unverzichtbar ist. Oft ist es außer in ihrem Kopf auch nirgendwo dokumentiert. Wenn der Mitarbeiter einmal krank ist oder gar ganz aus dem Betrieb ausscheidet, bricht Hektik aus. Verschiedene Modellansätze können helfen, den Wissenstransfer in geregelte Bahnen zu lenken und im Falle eines Falles das Chaos zu vermeiden.

Von Andrea Lueg |
    " Ich hatte in diesem Jahr einen relativ schweren Unfall und da bin ich ja auch von jetzt auf gleich aus dem Unternehmen herausgezogen worden und das war für die Betreffenden ja noch viel tragischer, dass die mit diesem angefangenen Projekten, die selbständig abwickeln mussten. "

    Als Geschäftsführer Manfred Göllner vor ein paar Monaten komplett ausfiel, war das für die Maschinenfabrik Wiegard nicht nur eine kleine Katastrophe, sondern auch ein weiterer Anschubser, sich mit dem Thema Wissenstransfer zu beschäftigen. Ende März 2007 geht Manfred Göllner in Rente. Und unter den 110 Mitarbeitern gibt es einige so wie ihn, deren Wissen eigentlich unverzichtbar für das Unternehmen und vor allem nirgendwo dokumentiert ist, erklärt Gustav Wiegard:

    " In unserem Unternehmen werden hochkomplexe Investitionsgüter gefertigt, die extrem hohes Fertigungs-Know-how bedürfen, da geht's über Facharbeiterebene, bestimmte Drehvorschübe, mit welchen Werkzeugen bearbeite ich welche Beschichtungsoberflächen, auf Führungsebene dann natürlich entsprechend komplexeres Gebiet, es gibt Kernkompetenzen, die einfach das Expertenwissen beinhalten, welche Fertigkeiten man im Laufe von 30, 40 Berufsjahren gesammelt hat, die für den einzelnen wahrscheinlich schon automatisiert sind, aber für Mitarbeiter, die es nachmachen müssen natürlich ein relativ großes Know-how-Spektrum darstellen. "

    Früher half man sich oft, indem man die Pensionierungsgrenzen immer weiter nach hinten schob, die alten Hasen ein ums andere Mal überredete, noch ein Jahr dranzuhängen. Doch als die Brüder Gustav und Alexander Wiegard den Betrieb vor ein paar Jahren in der vierten Generation übernahmen, da mussten viele Nachfolgefragen bearbeitet werden - unter anderem die, wie man eigentlich mit dem Wissen der Mitarbeiter umgehen will. In schlechteren Jahren hat man die Belegschaft so weit irgend möglich abgespeckt, jetzt wo die Stahlbranche wieder boomt, sucht man händeringend nach Facharbeitern und sieht jeder Pensionierung mit Sorge entgegen. Keine ungewöhnliche Situation gerade in kleinen und mittleren Unternehmen.

    Bei der Firma Wiegard hat man sich entschieden, den Wissenstransfer nach dem Modell Nova Pe zu versuchen. Mehrere Gespanne von so genannten Wissensgebern, also den alten Hasen und Wissensnehmern, also den Nachfolgern, sind im Unternehmen gerade dabei, die Kenntnisse weiterzugeben. Zum Beispiel Geschäftsführer Manfred Göllner und sein Nachfolger Thomas Wickel. Für die meisten hier ist der Betrieb nicht nur Brötchengeber, sondern ein wichtiger Teil des Lebens. Den aufzugeben ist schwer, aber es bedeutet Manfred Göllner auch etwas, dass es gut weitergeht.

    " Für mich ist das schon wichtig, das dass vorhandene Wissen nicht verloren geht, sondern dass die Nachfolger aus den Erfahrungen und Erkenntnissen, die in der Vergangenheit gemacht wurden, profitieren können. "

    Damit der Transfer gelingen kann, muss erstmal alles Wissen auf den Tisch, es wird in einem Wissensbaum dargestellt, der die Ausbildung, Weiterbildung, bestimmte Erfahrungen, Bewältigung von Krisen und so weiter erfasst. Welches Ausmaß so ein Wissensbaum annehmen kann, darüber war auch Unternehmenschef Gustav Wiegard erstaunt.

    " Also ich war schon überrascht, als dann dieser Wissensbaum in der vollen Dimension an der Tafel gehangen hat, was zum Beispiel ne Führungskraft neben der Kernaufgabe auch noch leisten, da war ich schon überrascht ja "

    Um all das Wissen zu übertragen, braucht es viele Schritte und Zeit. Dafür wird ein Plan festgelegt. Zum Glück, meint Wissensnehmer Thomas Wickel:

    " Man wird das nicht alles so auf einen Schlag vermitteln können, das kommt immer so nach und nach, wenn irgendwo ein Problem auftaucht, dass ich ihn dann frage, dass man das in einzelne Bereiche staffelt. "

    Und weil nicht jeder erfahrene Mitarbeiter auch ein guter Didaktiker ist und weil Wissen auch Macht ist, die man vielleicht nicht so gerne abgibt, bedient man sich beim Projekt der Uni Bochum der Unterstützung von Sozialpädagogen des Vereins ZWAR, "Zwischen Arbeit und Ruhestand". Ein Segen, meint man bei der Firma Wiegard:

    " Bei den Wissensgebern ist das gar nicht so einfach, wenn ich mein Wissen abgebe, dann bin ich nutzlos, dann tauge ich für das Unternehmen nichts mehr, von daher waren wir auch ganz froh, dass wir da auch professionelle Hilfe mit bei hatten, weil das auch historisch in unserem Unternehmen nie so war, da frühzeitig drüber nachzudenken, sondern solange gearbeitet hat, bis es nicht mehr ging, und dann wurde irgendwann eine Lösung gesucht und viele Mitarbeiter da auch einfach Angst vor hatten, Wissen in Anführungsstrichen "preiszugeben", und man dann eine etwas vogelfreiere Position hätte haben können und von daher war, glaube ich, die Ansprache der Wissensgeber das kritischste Moment "

    Die Geschäftsleitung ist mit dem Verlauf des Projektes bisher gut zufrieden. Dazu gehört übrigens auch eine spezielle Software, erzählt Verwaltungsleiter Kurt-Martin Bach:

    " Kompetenzpilot heißt das, da kann man grafisch darstellen in welcher Altersgruppe wir welche Leute haben mit welchen Fertigkeiten. Das sieht aus wie so eine Tachoanzeige und das können wir jetzt verwalten und können sehen, wo wird's eng, wo ist der Tank leer, wo müssen wir agieren und wo sind wir noch sicher. "

    Und nicht nur beim Übertragen von Wissen von Alt auf Jung will man das Konzept in Zukunft anwenden, sondern, aufgrund der großen Nachwuchsprobleme viel breiter, so Bach:

    " Unser Motto ist: viele können vieles, dass ein Dreher auch Fräsen kann und dieses Wissen auch weiter zu streuen, damit wir hier sehr viel flexibler sind. "

    Auch Manfred Göllner findet das Projekt gut und freut sich, sein Wissen strukturiert weitergeben zu können. Alles kann man allerdings nicht übertragen, davon ist er überzeugt:

    " Es sind viele Entscheidungsträger, die kenn ich noch als Auszubildende und die heute in der Hierarchie sehr weit oben angesiedelt sind, und solche Dinge, das kann man nur begleiten, und man kann da Tipps geben, wie man sich verhält, aber wie das letztlich umgesetzt wird, das muss man selber herausfinden. "