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Der meistkopierte Literat und der Dezernent als Bücherdieb

Der Raubdruck und die Romane des Erzählers Gabriel García Márquez haben etwas von Longsellerei. Und so hatte bereits das Literaturjahr 1981 seine Affären und wilden Aromen. Die Freuden, die sich daraus ergaben, waren für einige Beteiligte zweifellos diebisch. Sie betrafen die Tatsache, dass das damals jüngste Werk des Kolumbianers García Márquez, die Novelle "Chronik eines angekündigten Todes", im Juni des Jahres in gleich zwei Übersetzungen auftauchte, einerseits in einer autorisierten des Kölner Verlags Kiepenheuer & Witsch, andererseits in einer anonymen Raubdruckfassung aus der Hamburger Allee 45 zu Frankfurt am Main.

Von Christian Thomas |
    Denn hier, in Frankfurt, fühlte sich seinerzeit der antiautoritäre, von Daniel Cohn-Bendit nicht so sehr redigierte als vielmehr regierte "Pflasterstrand" für die grausig-groteske Novelle zuständig. Unbestritten war das Spontiblatt ein Schauplatz, auf dem Gewalt und Affekt leidenschaftlich aufgehoben waren. In einem solchen Umfeld wurde von Seite 17 bis 34 die ausdrücklich um den Machismo und blutige Gewalt kreisende Novelle in deutscher Übersetzung vollständig abgedruckt - die Folgen waren erheblich. Der Verlag Kiepenheuer & Witsch, der die deutschen Rechte besaß, verlangte 5000 DM Schadenersatz. Die Piratendrucker bemühten sich daraufhin um einen direkten Kontakt zu dem Dichter und schlugen vor, 2000 DM an die Befreiungsbewegung in El Salvador zu zahlen.

    In welche Kanäle, so muss man sich am Finanzschauplatz Frankfurt am Main natürlich immer fragen, floss das Geld am Ende tatsächlich?

    Auch García Márquez’ ersten Roman seit zehn Jahren, "Erinnerung an meine traurigen Huren", haben sich in den letzten Wochen kolumbianische Raubdrucker betrügerisch angeeignet. Dass der Raubdruck zu so etwas wie einem ständigen Schatten geworden ist, mit dem die Lichtgestalt des "Phantastischen Realismus" hat kämpfen müssen, zeigt aber bereits der Frankfurter Fall. In Frankfurt konzentrierten sich damals bereits García-Márquez-Experten und -Afficionados. So hieß es im Anschluss an das Erscheinen der Novelle bei Kiepenheuer & Witsch in der "Frankfurter Rundschau": "Nuancen gehen in der Übersetzung von Curt Meyer-Clason, die auch sonst viele der schon an seinen letzten Arbeiten kritisierten Nachlässigkeiten zeigt, meist verloren." Der Autor des Artikels war der Frankfurter Tom Koenigs.

    Nicht als Rehabilitierung des Raubdrucks, wohl aber als Bestätigung der Kritik musste man auch den "Spiegel" verstehen, wo dem autorisierten Übersetzer Meyer-Clason von Walter Boehlich die gröbsten Fehler nachgewiesen wurden. Auch sollte man nicht unerwähnt lassen, dass García Márquez im darauffolgenden Jahr den Literaturnobelpreis erhielt, dass der "Pflasterstrand" sich nie wieder eine Geschichte des Literaturnobelpreisträgers betrügerisch angeeignete, und Kiepenheuer & Witsch nicht nur in diesem Fall beanstandete Übersetzungen seines Südamerikaners nicht korrigiert, sondern in die Zweit- und Zehntverwertung geschickt hat.

    Womöglich hat die damalige Geschichte, gemessen an den Abenteuern und Affären heute, kein wirklich gutes Standing in einer Chronik der literarischen Skandale. Und doch, in der Folge des phantastischen Realismus dieser Frankfurter Geschichte entwickelten sich bald schon Mythen. Wenn man unter ihnen den Versuch einer Welterklärung versteht, dann gehört in diesen Zusammenhang der Hinweis, dass der damalige Raubdruckübersetzer der spätere Frankfurter Stadtkämmerer Tom Koenigs gewesen sein soll.

    Ansonsten darf man sagen, dass diese Frankfurter Geschichte keine weitere Pointe hatte außer vielleicht der, dass der Raubdruck damals so etwas wie ein Event avant la lettre war. Daraus darf man folgern, dass die heutigen südamerikanischen Raubdrucker auf den Schultern der ehemaligen Metropolen-Spontis stehen. Ja, mehr noch - denn je länger man sich mit diesem Mythos beschäftigt, desto mehr möchte man daran glauben, dass mit den 2000 DM, damals, lange her, nicht in salvadorianische Waffen investiert wurde. Da wurden vielmehr irgendwo in Südamerika Raubdruckmaschinen angeschafft.