Archiv


Der Mensch im Tier

Biologie. - Ein Beitrag im Magazin "Der Spiegel" über Experimente, bei denen menschliche Zellen in Tiere verpflanzt wurden, löste heftige Reaktionen auch in der Fachwelt aus. Eine Streitfrage dabei ist, ob die Versuchstiere dadurch möglicherweise ein neues Bewusstsein erhalten könnten.

    Seit der Veröffentlichung eines Beitrags im Magazin "Der Spiegel" zu umstrittenen Tier-Experimenten, bei denen menschliche Stammzellen übertragen wurden, streitet die Fachwelt erneut heftig über ethische Grenzen solcher Versuche. So veröffentlichte die US-amerikanische Nationale Akademie der Wissenschaften in der vergangenen Woche eine Leitlinie, nach der beispielsweise von Experimenten abgesehen werden solle, bei denen menschliche Stammzellen in Gehirne von Tieren verpflanzt würden. Eine Sorge der Forscher dabei ist, dass bei den Tieren durch das daraus entstehende fremde Gewebe möglicherweise eine Wesensänderung hin zu einem menschlichen Bewusstsein nicht ausgeschlossen werden könnte. Diese Gefahr sieht Professor Gerhard Roth, Neurobiologe an der Universität Bremen, allerdings nicht: "Die Transplantation einiger Zellen überträgt nicht auch menschliches Bewusstsein auf die Tiere. Erstens besitzen Tiere ihr eigenes Bewusstsein, und es gäbe dann eher eine Mischung. Aber menschliches Bewusstsein, so nehmen Hirnforscher und Psychologen zumindest an, ist an das Zusammenwirken von Milliarden von Nervenzellen in unserer Großhirnrinde gebunden - die müsste man dann auch alle übertragen, was anatomisch natürlich nicht möglich ist." Einzelne Neurone indes hätten kein eigenes Bewusstsein.

    Bei der Diskussion werde überdies schnell vernachlässigt, dass die Definition des Bewusstseins noch immer eher vage ist. "Der Begriff umfasst sehr viele, ganz unterschiedliche Inhalte. Einmal ist da das einfachste Bewusstsein des Erlebens etwa von Sinneseindrücken oder des eigenen Körpers. Dann gibt es das Bewusstsein, dass ich etwas will oder fühle. Und schließlich zählen wir auch ganz eigenartige und komplizierte Inhalte dazu, wie beispielsweise, dass ich mich in einem Körper befindlich fühle", so Roth. Alle diese einzelnen Komponenten addierten sich in jedem Moment zu einem Gesamtbewusstsein. Dass die biologische Nähe von Affen zum Menschen vielleicht doch eine derartige Entwicklung infolge von Stammzelltransplantationen bedingen könnte, verneint Gerhard Roth: "Vielleicht verursachen die Zellen Effekte bei den Tieren, aber nicht in Bezug auf das Bewusstsein. Es handelt sich dabei meist um Makakenaffen, die mit uns nicht so eng verwandt sind. Anders wäre das, wenn dabei Schimpansen verwendet würden." Doch auch die Affen besäßen, so unterstreicht der Neurobiologe, ein - wenn auch schlichteres - Bewusstsein vor allem des Erlebens. In jedem Fall aber sei dies beim Menschen wie auch beim Tier an den Verbund von unzähligen Nervenzellen und die Verknüpfungen unter ihnen gebunden. Dabei spielten die Verschaltungen der Neuronen eine besondere Rolle. Im menschlichen Gehirn wird ihre Zahl auf rund eine halbe Trillion geschätzt. "Wollte man Bewusstsein wirklich übertragen, müsste man dieses gesamte System transferieren. Überdies steht Bewusstsein immer im engen Zusammenhang mit dem ihn umgebenden Körper und seiner Außenwelt - also kann man es eigentlich gar nicht übertragen."

    Auch in der Chimärenforschung sieht der Bremer Wissenschaftler keine unmittelbare Gefahr: "Würde eine große Zahl menschlicher Zellen aus der Großhirnrinde in ein Affengehirn übertragen und es sich überdies in seiner neuen Umgebung gut integrieren - hier liegt ebenfalls ein großes Problem - dann würde daraus ein ganz anderes Netzwerk entstehen, das dann Teile menschlichen Bewusstseins sowie Teile des Affenbewusstseins enthielte. Aber das ist so utopisch, dass es für eine sehr lange Zukunft nicht möglich sein wird." Neben der benötigten schieren Zellzahl im Transplantat sei dabei die Verknüpfung mit dem tierischen Gewebe wesentlich. Aber schon Versuche mit technischen Implantaten zeigten bereits heute, wie schwer es sei, überhaupt einen brauchbaren Kontakt zu Nervenzellen zu erzielen. Wie und ob überhaupt Verbindungen zwischen fremden Nervengeweben entstünden, sei eine sehr schwierige und ungelöste Frage.

    [Quelle: Monika Seynsche]