Michael Köhler: In den späten – na, was waren es? – 70er- und 80er-Jahren, Christiane Vielhaber, da war die Kunsthalle Düsseldorf unter der Leitung von Jürgen Harten einer der, sage ich jetzt mal mit vollen Pausbacken, ganz wichtigen Orte für thematische und monografische Kunstausstellungen: 1981 die legendäre Schwarz-Ausstellung mit dem Ofenrohr von Joseph Beuys vielleicht. Dann ist sie so ein bisschen in Vergessenheit geraten, sage ich jetzt auch mal in der Gefahr, mir böse Kommentatoren zuzuziehen, und jetzt ist sie wieder da und zeigt was ganz neues: einen türkischen Zeichner und Schriftsteller, Yüksel Arslan, der – ja was macht er? Helfen Sie mir! Ist das Grafik, sind das farbige Papierarbeiten? Was ist das?
Christiane Vielhaber: Da liegt schon das Problem. Ich hatte das Gefühl, dass man in Düsseldorf nicht den Begriff "Außenseiterkunst" oder "Art Brut" nennen wollte, sondern man sagt, es ist die Kunst eines sehr belesenen, gelehrten Menschen, der 1933 in Istanbul geboren ist, der 1962 nach Paris ging, wie so viele andere Künstler auch, und dann kommen immer so Namen wie, er hat Breton kennengelernt, er hat Sartre kennengelernt. Aber was heißt das schon, kennengelernt?
Er hat angefangen – es heißt, er sei sehr gelehrt. Irgendwo erfährt man dann auch – ob das stimmt, weiß ich nicht -, er hätte Kunstgeschichte studiert. Es gibt zum Beispiel in der Serie seiner "Influence" – also die Menschen, die ihn beeindruckt haben oder beeinflusst haben, gibt es ein Porträt von van Gogh, und dann hat van Gogh ein Phallus oben am Ohr, also dieses Ohr, was ja nun auch in die Geschichte eingegangen ist. Dann fragt man sich, ist dieser Einfluss die Malerei von van Gogh, ist es die Krankheit von van Gogh, denn ganz eindeutig ist es so, dass ganz viele dieser Zeichnungen, dieser farbigen Zeichnungen Bezug nehmen auf Epilepsie, auf Schizophrenie, auf Geisteskrankheit im weitesten und im engsten Sinne. Und dann fragt man sich natürlich auch, ob dieser Künstler oder dieser manisch arbeitende Mensch nicht auch nicht ganz von dieser Welt ist.
Köhler: Was ich gesehen habe, erinnert teilweise an naturkundliche Studien – Fliegen, Objekte, Menschen – oder auch anatomische Studien, Sie haben es schon erwähnt: Ohren. Aber es sind keine typologischen Studien, wie man sie bei Malerei oder Skizzen macht, sondern da kommt immer was drittes, was Fremdes rein, was das Bild stört.
Vielhaber: Er spricht selber von "Artures", und das ist eine Zusammensetzung von Kunst – die einen sagen von "Literatures", die anderen sagen von "Natures", die dritten sagen von "Kreatures". Im Wesentlichen würde ich für "Kreatures" sprechen, denn das Kreatürliche, also die sinnlichen Organe des Menschen, spielen immer wieder eine Rolle.
Köhler: Auch der Mensch in der Masse und ganz oft als Individuum?
Vielhaber: Das ist eigentlich nur bei den Arbeiten, wo er sich mit dem Kapital von Karl Marx auseinandersetzt, wo er große Marx-Porträts hat, und dann sind das im Bart und in diesem Schnauzbart alles nackte Menschenmassen, die natürlich Bezug nehmen auf die politische Geschichte oder beziehungsweise das politische Konstrukt von Marx. Aber ansonsten ist es eher der fragmentierte Mensch, immer wieder der erigierte Phallus. Selbst da, wo es witzig ist, zum Beispiel, ein Knochenmann und alles ist knöchern, nur zwischen den Schenkeln hängt dann dieser Phallus runter. Der fragmentierte Mensch, überall wieder Füße, abgeschlagene Köpfe und blut, und hinzu kommt, dass man eben weiß, dass er auf das Kreatürliche, Natürliche zurückgreift. Er hat noch nie eine fertige Farbe gekauft. Er benutzt also Urin, Blut und Honig und andere natürliche Pigmente, die dieser ganzen Ausstellung farblich so einen Grundton geben, der sehr erdig ist, der sehr tonal ist, der ocker-braun ist. Also das ist eigentlich ganz schön.
Köhler: Sind die groß oder sind die klein, die Arbeiten, muss man also nah heran?
Vielhaber: Man muss nah heran und je näher man herangeht, desto häufiger sagt man, oh Gott, das möchte ich jetzt eigentlich nicht sehen, oder das möchte ich nicht im Wohnzimmer hängen haben. Umso erstaunlicher ist, dass ganz viele dieser Arbeiten aus Privatsammlungen kommen, und ich meine, er hat von diesen "Artures" in seinem Leben bis heute 700 gezeichnet, gemalt, gefertigt, und 200 sind davon in der Ausstellung zu sehen. Also kann man wirklich sagen, es ist eine Retrospektive.
Köhler: Und das mit einem uralten Medium: mit Grafik. Das sehe ich doch richtig. Oder sind es sogar gestochene Sachen?
Vielhaber: Nein, nein, nicht gestochene Sachen. Manches erinnert an Comics – nicht, dass sie unbedingt lachen können, aber da merkt man: Er hat den leichten Strich, also der kann schon was. Aber er wiederholt sich einfach und zum Beispiel in den Porträts seiner Einflussgeber, da ist er dann auch irgendwie so eine Mischung aus neuer Sachlichkeit. Wenn Sie dann Nietzsche sehen und Sie sehen Brecht und Sie sehen diese ganzen Figuren, oder Robert Walser, dann denken Sie auch, das hat er irgendwie abgezeichnet. Aber dieses Manische und dieses Auflisten, alles hat irgendwie was von Atlas.
Köhler: Yüksel Arslan mit "Artures" in der Kunsthalle Düsseldorf, vorgestellt von Christiane Vielhaber. Danke.
Christiane Vielhaber: Da liegt schon das Problem. Ich hatte das Gefühl, dass man in Düsseldorf nicht den Begriff "Außenseiterkunst" oder "Art Brut" nennen wollte, sondern man sagt, es ist die Kunst eines sehr belesenen, gelehrten Menschen, der 1933 in Istanbul geboren ist, der 1962 nach Paris ging, wie so viele andere Künstler auch, und dann kommen immer so Namen wie, er hat Breton kennengelernt, er hat Sartre kennengelernt. Aber was heißt das schon, kennengelernt?
Er hat angefangen – es heißt, er sei sehr gelehrt. Irgendwo erfährt man dann auch – ob das stimmt, weiß ich nicht -, er hätte Kunstgeschichte studiert. Es gibt zum Beispiel in der Serie seiner "Influence" – also die Menschen, die ihn beeindruckt haben oder beeinflusst haben, gibt es ein Porträt von van Gogh, und dann hat van Gogh ein Phallus oben am Ohr, also dieses Ohr, was ja nun auch in die Geschichte eingegangen ist. Dann fragt man sich, ist dieser Einfluss die Malerei von van Gogh, ist es die Krankheit von van Gogh, denn ganz eindeutig ist es so, dass ganz viele dieser Zeichnungen, dieser farbigen Zeichnungen Bezug nehmen auf Epilepsie, auf Schizophrenie, auf Geisteskrankheit im weitesten und im engsten Sinne. Und dann fragt man sich natürlich auch, ob dieser Künstler oder dieser manisch arbeitende Mensch nicht auch nicht ganz von dieser Welt ist.
Köhler: Was ich gesehen habe, erinnert teilweise an naturkundliche Studien – Fliegen, Objekte, Menschen – oder auch anatomische Studien, Sie haben es schon erwähnt: Ohren. Aber es sind keine typologischen Studien, wie man sie bei Malerei oder Skizzen macht, sondern da kommt immer was drittes, was Fremdes rein, was das Bild stört.
Vielhaber: Er spricht selber von "Artures", und das ist eine Zusammensetzung von Kunst – die einen sagen von "Literatures", die anderen sagen von "Natures", die dritten sagen von "Kreatures". Im Wesentlichen würde ich für "Kreatures" sprechen, denn das Kreatürliche, also die sinnlichen Organe des Menschen, spielen immer wieder eine Rolle.
Köhler: Auch der Mensch in der Masse und ganz oft als Individuum?
Vielhaber: Das ist eigentlich nur bei den Arbeiten, wo er sich mit dem Kapital von Karl Marx auseinandersetzt, wo er große Marx-Porträts hat, und dann sind das im Bart und in diesem Schnauzbart alles nackte Menschenmassen, die natürlich Bezug nehmen auf die politische Geschichte oder beziehungsweise das politische Konstrukt von Marx. Aber ansonsten ist es eher der fragmentierte Mensch, immer wieder der erigierte Phallus. Selbst da, wo es witzig ist, zum Beispiel, ein Knochenmann und alles ist knöchern, nur zwischen den Schenkeln hängt dann dieser Phallus runter. Der fragmentierte Mensch, überall wieder Füße, abgeschlagene Köpfe und blut, und hinzu kommt, dass man eben weiß, dass er auf das Kreatürliche, Natürliche zurückgreift. Er hat noch nie eine fertige Farbe gekauft. Er benutzt also Urin, Blut und Honig und andere natürliche Pigmente, die dieser ganzen Ausstellung farblich so einen Grundton geben, der sehr erdig ist, der sehr tonal ist, der ocker-braun ist. Also das ist eigentlich ganz schön.
Köhler: Sind die groß oder sind die klein, die Arbeiten, muss man also nah heran?
Vielhaber: Man muss nah heran und je näher man herangeht, desto häufiger sagt man, oh Gott, das möchte ich jetzt eigentlich nicht sehen, oder das möchte ich nicht im Wohnzimmer hängen haben. Umso erstaunlicher ist, dass ganz viele dieser Arbeiten aus Privatsammlungen kommen, und ich meine, er hat von diesen "Artures" in seinem Leben bis heute 700 gezeichnet, gemalt, gefertigt, und 200 sind davon in der Ausstellung zu sehen. Also kann man wirklich sagen, es ist eine Retrospektive.
Köhler: Und das mit einem uralten Medium: mit Grafik. Das sehe ich doch richtig. Oder sind es sogar gestochene Sachen?
Vielhaber: Nein, nein, nicht gestochene Sachen. Manches erinnert an Comics – nicht, dass sie unbedingt lachen können, aber da merkt man: Er hat den leichten Strich, also der kann schon was. Aber er wiederholt sich einfach und zum Beispiel in den Porträts seiner Einflussgeber, da ist er dann auch irgendwie so eine Mischung aus neuer Sachlichkeit. Wenn Sie dann Nietzsche sehen und Sie sehen Brecht und Sie sehen diese ganzen Figuren, oder Robert Walser, dann denken Sie auch, das hat er irgendwie abgezeichnet. Aber dieses Manische und dieses Auflisten, alles hat irgendwie was von Atlas.
Köhler: Yüksel Arslan mit "Artures" in der Kunsthalle Düsseldorf, vorgestellt von Christiane Vielhaber. Danke.