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Der Mensch zwischen Natur und Geist

Was ist der Mensch? Tja, wer wollte das nicht wissen? Wer wollte nicht die Antwort auf die älteste Frage der Philosophie bekommen? Auf die Frage, die wahrscheinlich sogar noch älter ist als die Philosophie selbst? Der Magdeburger Philosoph Michael Pauen hat in Tateinheit mit seinem Verlag diese Frage kurzerhand als Titel für seine neueste Abhandlung gewählt.

Von Matthias Eckoldt | 18.10.2007
    Im Untertitel wird's dann fast noch spannender: "Die Entdeckung der Natur des Geistes". Auf der Rückseite des Buches wird dem Autor von der Zeitschrift "Literaturen" auch noch attestiert, dass er "philosophische Einsichten in vorbildlicher Klarheit" zu präsentieren versteht.

    Kein auch nur halbwegs intelligenter Leser wird da widerstehen können. Und genau das ist das Problem! Denn die gut zweihundert Textseiten, die vom intelligenten Umschlagdesign der Marketingabteilung umfangen sind, halten das angekündigte Versprechen nicht. Weder erfährt man mehr darüber, was der Mensch ist, noch wie die Entdeckung der Natur des Geistes zu einem tieferen Verständnis des rätselhaften Phänomens der Zweibeiner, wie Schopenhauer die Menschen titulierte, führt oder führen kann. Dafür aber erfährt man seitenweise von Pauens These:

    " Tatsächlich, so lautet die zentrale These dieses Buches, beruht die Vorstellung eines Dilemmas von Naturalismus und Menschenbild auf einem prinzipiellen Missverständnis. Es gibt also keinen prinzipiellen Konflikt zwischen Naturalismus und Menschenbild - ganz im Gegenteil. Weit entfernt davon, die zentralen menschlichen Fähigkeiten in Frage zu stellen, erklärt der Naturalismus nur, wie sie zustande kommen. Die Entdeckung der Natur des Geistes verschafft uns die Aussicht auf ein besseres Verständnis der für uns zentralen Fähigkeiten. "

    Wenn man sich weiter durch die "vorbildliche Klarheit" der Präsentation philosophischer Einsichten in Pauens Buch arbeitet, erfährt man nach und nach, was er eigentlich meint: Der Naturalismus geht seiner Meinung davon aus, dass auch den einzigartigen menschlichen Fähigkeiten dieselben Gesetze wie der übrigen Natur zugrunde liegen. Unter dem Menschenbild fasst der Philosoph die Möglichkeit, Bewusstsein und Selbstbewusstsein zu entwickeln und - vor allem - frei und verantwortlich zu handeln. Die Coda aus beidem läuft für Pauen in dem von ihm so benannten "naturalistischen Missverständnis" zusammen, nämlich, dass die Naturwissenschaft zur Revidierung unseres Menschenbildes führt. Mit Naturwissenschaft ist hier vor allem die Hirnforschung gemeint, deren Protagonisten in ihre Schranken verwiesen werden sollen. So kann man Pauens Buch als Beitrag im Grabenkampf zwischen Geistes- und Naturwissenschaften lesen. Zankapfel zwischen beiden Lagern ist seit Jahren ein Versuch des amerikanischen Neurobiologen Benjamin Libet, der seine Probanden bat, zu einem selbst gewählten Zeitpunkt eine Handbewegung auszuführen. Das überraschende Ergebnis war nun, dass sich bereits etwa 350 Millisekunden vor der bewussten Entscheidung ein Bereitschaftspotential nachweisen ließ. Die Versuchsperson hatte den bewussten Entschluss zur Handlung also deutlich nach der Einleitung der Bewegung durch neuronale Prozesse gefällt. Der Willensakt trat erst auf, nachdem in den unbewussten Arealen des Gehirns bereits entschieden war, welche Handlung ausgeführt werden sollte. Eine ganze Generation von Hirnforschern - unter ihnen auch der Deutsche Gerhard Roth - machten daraus ein eigenes Forschungsprogramm und folgerten schließlich, dass die Idee des freien und verantwortlichen Handelns nicht mehr als eine schöne Fiktion ist. Das Ich erscheint in dieser Perspektive nicht mehr als selbstbewusst handelndes Zentrum, sondern als virtueller Akteur, der sich Handlungen zuschreibt, die auf unbewusster Ebene entschieden wurden.

    Eine solche Interpretation läuft tatsächlich auf eine gründliche Revision des Bildes vom Menschen als frei und verantwortlich handelndem Wesen hinaus und steht der Grundthese von Pauens Buch diametral entgegen. Dementsprechend munitioniert sich der Magdeburger Philosoph auf:

    " Es gibt jedoch gleich eine ganze Reihe von ernsthaften Gründen, die gegen diese Interpretation sprechen. In Libets Experimenten findet gar keine wirkliche Entscheidung statt. Anders als man vielleicht vermuten könnte, machten die Versuchspersonen bei Libet nicht etwa eine spontane und von ihnen frei zu bestimmende Bewegung. Eine Wahl zwischen zwei oder gar mehreren unterschiedlichen Optionen besaßen sie nicht. Lediglich den Zeitpunkt der Ausführung dieser Bewegung konnten sie frei bestimmen. "

    Nach weiteren wenig überzeugenden Argumenten, die sich im Wesentlichen an der Versuchsanordnung abarbeiten, sieht Pauen schließlich seine These gerettet:

    " Die vorliegenden empirischen Erkenntnisse zur Entstehung von Willensakten stehen nicht im Widerspruch zu unserer Annahme, dass wir frei und verantwortlich handeln können, vielmehr geben sie näheren Aufschluss über die psychologischen Mechanismen und die neuronalen Prozesse, die diesen Akten zugrunde liegen. "

    Das Buch von Pauen lässt den Leser trotz seiner kenntnisreichen historischen Exkurse und seiner strukturierten Argumentation einigermaßen ratlos zurück. Selbst wenn es so wäre, dass angesichts der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse in den Laboratorien der Hirnforscher das Menschenbild nicht grundsätzlich revidiert werden muss, was wäre gewonnen außer einer Schlacht um die Deutungshoheit auf dem Gebiet der menschlichen Willensfreiheit? Für den Fall, dass Pauen tatsächlich nicht mehr bezweckt haben sollte, hätte seinem Projekt von Verlagsseite aus ein bescheidenerer Auftritt besser getan. Fraglich und von Pauens Buch mit keiner Zeile bedacht, bleibt in jedem Fall, warum die ambitioniertesten Theorieentwürfe der letzten Jahre - wie beispielsweise die soziologische Systemtheorie oder die moderne Medienwissenschaft - keinen Pfifferling mehr auf jenen selbstbewussten, in seinen Handlungen freien Menschen geben, den Pauen heraufzubeschwören sucht.