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Der Metzger und sein Wunderkind

Am Samstag steigt in Düsseldorf das große Finale zum diesjährigen Eurovision Song Contest. Mit dabei ist auch Lena, die ihren Titel verteidigt. Statt nationaler Euphorie hat sich aber eine eher nüchterne Stimmung breitgemacht.

Von Anja Reinhardt | 13.05.2011
    "Lena hat nach fast 30 Jahren den ESC wieder nach Deutschland geholt und ich bin der Meinung, wir haben im nächsten Jahr die Europameisterschaft im Singen im eigenen Land und da halte ich es für durchaus angemessen, wenn die Siegerin im nächsten Jahr den Titel verteidigt!"

    Da stand er im Mai 2010 auf einer Bühne in Hannover: Stefan Raab, schief grinsend wie immer, sein Ego war in den letzten Tagen sichtlich um ein paar Einheiten gewachsen. 28 Jahre hatte es gedauert, bis der Grand Prix Eurovision de la Chanson, mittlerweile besser bekannt als Eurovision Song Contest, wieder nach Deutschland ging – Lena sei Dank.

    "Das kann nicht echt sein, ihr seid verrückt! O Mein Gott! Ich dreh durch!"

    Morgen nun werden in Düsseldorf 25 Nationen um den Gewinn der "Europameisterschaft des Pop" gegeneinander antreten, Lena mit der Startnummer 16. Seit rund zwei Wochen wird schon geprobt, die pannenreichen Semifinals haben bereits stattgefunden, und am Samstagabend wird Lena Meyer-Landrut versuchen, das zu schaffen, was noch niemandem vor ihr gelang: Den ESC im Folgejahr noch einmal zu gewinnen. Zu verdanken haben wir das Stefan Raab, der schon am Tag nach dem Sieg in Oslo verkündete: Lena soll noch mal antreten. Nicht zufällig verfiel Raab in den Fußballjargon, redete von "Titelverteidigung" und "Europameisterschaft". Seit der Fußball WM 2006 im eigenen Land darf sich wieder gefreut werden über Nationalhelden, ja, sogar euphorischer Überschwang ist mittlerweile erlaubt, seitens des Publikums, aber auch seitens der Gewinner.

    "Ich liebe deutsche Land ...."

    Ihre Schlagfertigkeit und charmant-görenhafte Ungezogenheit hatte Lena auch nach dem Sieg und dem Rummel um ihre Person nicht verloren.

    "Ich glaube, es ist erstmal wichtig zu sagen, dass ich den Hype nicht gemacht habe, sondern die Medien und die Presse. Wie ich damit umgehe? Pffft ... I don't care!"

    Es sei dahin gestellt, ob das nun wirklich der Wahrheit entspricht, aber zumindest hat es Lena Meyer-Landrut mit ihrer erfrischend direkten Art, einem bockigem Kleinkind manchmal nicht unähnlich, im Mai 2010 geschafft, ein ganzes Land für sich zu begeistern, dessen zukünftigen Bundespräsidenten und die Kanzlerin gleich mit.

    "Frau Bundeskanzlerin Merkel hat sich heute Morgen gemeldet und bittet mich herzlich, Sie zu beglückwünschen, wenn Sie jetzt wieder deutschen Boden betreten. Ich glaube, das sagt mehr als tausend Worte, wie die Menschen sich freuen. Die sind seit Stunden hier."

    Egal ob alt oder jung, ob RTL2- oder Arte-affines Publikum, ob musikinteressiert oder nicht, Lena hat alle um den Finger gewickelt. Der Eurovision Song-Contest war mit einem Mal vom Muff vergangener Jahrzehnte befreit, wie die ESC-Experten Claas Triebel und Clemens Dreyer, Autoren des Buchs "Ein bisschen Wahnsinn: Wirklich alles zum Eurovision Song Contest" der Siegerin bescheinigen. Denn spätestens seit Mitte der Achtziger bis in die Neunziger Jahre hinein war der einstmals so populäre Grand Prix eher so etwas wie ein Kuriositätenkabinett.

    "Da wurde auch die zweite Garde eigentlich dann irgendwann hingeschickt, weil die Gefahr zu groß war, dass man da angehende Talente oder auch etablierte Künstler verheizt, wenn man da einen hinschickt, der gerade auf dem aufsteigenden Ast ist oder auch populär ist und der landet dann auf Platz 20 oder so, dann ist unter Umständen für die weitere Karriere Essig. Und da wurde das dann so eine trashige Parallelveranstaltung, bis dann 1998 Guildo Horn gekommen ist und dem in Deutschland eine ganz starke Wende gegeben hat."

    Auch hinter Guildo Horn wirkte Stefan Raab, damals noch unter dem Pseudonym Alf Igel – ein kleiner Seitenhieb gegen Ralph Siegel, der bis dahin als Komponist ein Dauerabo für den deutschen Beitrag zu besitzen schien. Aber während Guildo Horn mit seinem karnevalistischen Auftreten als Popstar nicht ernst zu nehmen war, barg die hübsche und schlagfertige Lena ein ganz anderes Potenzial. Egal, was diese quirlige Hannoveranerin tat, es war immer überraschend, ohne Kalkül, spontan und irgendwie anders. Ins Goldene Buch ihrer Heimatstadt schrieb sie:

    "Wow. Verdammte Axt, ist das geil. Dankeschön. Leni."

    Bei aller Unbefangenheit, ein paar Regeln hatte sie dann aber doch blitzschnell gelernt: Lass die Boulevardpresse und deren gefräßige Reporter, die vor keiner Unverfrorenheit haltmachen, draußen – auch wenn die Fragen noch so harmlos sind.

    Journalistin:
    "Wer aus Ihrer Familie ist dabei? Wer unterstützt Sie und wie wichtig ist es tatsächlich, auch jemanden aus der Family dann hier zu haben?"

    Lena:
    "Nöööääääääääääääääääht."

    Raab:
    "Man muss auch nicht jede Scheiße beantworten Lena."

    Lena:
    "Nein, nein, das beantworte ich nicht."

    Der Hype um die Abiturientin entstand auch deswegen, weil Lena die Leichtigkeit und die Idee von Pop symbolisierte: Stimmlich zwar eher mittelmäßig ist die 19-Jährige mit so viel Präsenz und Charisma gesegnet, dass ihr viele deutsche Popstars schon jetzt kaum das Wasser reichen können. Und wie der Poptheoretiker Michael Rappe von der Musikhochschule Köln meint, spielt noch ein anderer Aspekt eine wichtige Rolle: "Unser Star für Oslo" war eben nicht "Deutschland sucht den Superstar" und bot kein Unterschichtenfernsehen.

    "Das war ja wirklich sehr schön, dieser Gegensatz dann bei Lena, zwischen diesem Menowin, der den zweiten Platz gemacht hat, so ein Unterschichts-Bube, man merkt schon am Namen irgendwie die Inszenierung, dann mit der Cousine Kinder zusammen, also alles, was so ein bisschen, ja, nicht ganz so appetitlich ist und dagegen dann so eine Person, die so ein strahlendes Lächeln hat, die aus einer anderen Gegend stammt im Sinne von Schicht oder Milieu, und die sich rotzfrech über alles hinwegsetzt."

    Bei Lena gab es keine Leistungsschau, keine angestrengten Posen, hier gab es Fräulein Meyer-Landrut, und wem das nicht gefiel, der sollte gehen. – Aber wer hätte das damals gedacht: Rund ein Jahr nach ihrem unglaublichen Erfolg haben das tatsächlich sehr viele getan. Statt nationaler Euphorie hat sich eine eher nüchterne Stimmung breitgemacht, und eben das, was einst die Ursache für das grassierende Lena-Fieber war, ist nun Gegenstand der Kritik – seitens der Medien, aber auch vom Publikum. Lenas unbeschwerte Lockerheit, die manchmal seltsame Sprache, die eckigen Gesten und Bewegungen – all das wirkt seit einiger Zeit wie eine Pose: Lena spielt sich selbst. Der Begriff Authentizität, der im Zusammenhang mit ihrer erfrischenden Art bei "Unser Star für Oslo" benutzt wurde, fällt kaum noch. Ihre Auftritte, wie beim Echo 2011, wirken verkrampft.

    "Ähm, ähm, das ist ja verrückt, OK, ich sammel mich kurz, ähm, ähm, folgendermaßen: Der Echo, äh, ist der allergrößte Musikpreis, und, äh, man guckt sich ja nicht so alle Preise an, wenn man so Normalbürger ist..."

    Normalbürger ist Lena schon längst nicht mehr. Egal, wo sie nach ihrem Durchmarsch in Oslo auftauchte, es gab fast immer nahezu hysterische Reaktionen. Sie nahm in Blitzgeschwindigkeit ein Album auf, lieh einer Animationsfigur in einem Kinofilm ihre Stimme, trat in der Sesamstraße und anderen TV-Sendungen auf, und wirbt für einen Autokonzern. Sie bekommt Preise am laufenden Band, von Radiosendern, beim Deutschen Fernsehpreis, der Goldenen Kamera, beim Echo. Immer dabei: ihr Mentor Stefan Raab. Er hat Lena gemacht, von ihm hat sie gelernt. Genauso wie er in seiner Sendung "Schlag den Raab" niemals aufgibt, auch nicht, wenn er sich während eines Wettkampfes das Jochbein und die Kieferhöhle bricht, so hat er beim Eurovision Song Contest nicht aufgegeben. Er trat anno 2000 selbst an, schickte andere Sänger ins Rennen und belegte respektable Plätze. Nur gewann er nie - bis er Lena fand. Und warum soll der Spaß jetzt vorbei sein? Bescheidenheit und Genügsamkeit sind nun wirklich nicht Raabs Sache. Michael Rappe geht sogar noch weiter.

    "Es spricht nichts dagegen, noch mal anzutreten. Aber wenn es darum geht, dass er glaubt, noch mal zu gewinnen, war es Hybris.""

    Hybris, Größenwahn, gehört natürlich auch zum Geschäft des gelernten Metzgers Raab – sonst wäre er nicht gegen eine Boxweltmeisterin angetreten und hätte sich vermöbeln lassen. Andererseits sind sich alle einig: Stefan Raab hat die Abendunterhaltung im Fernsehen neu erfunden. Mit einem kürzlich abgeschlossenen Vertrag sei er außerdem zum "bestbezahlten Moderator im deutschen Fernsehen" aufgestiegen, wie das Manager Magazin mutmaßt. Im Grunde kann er machen, was er will – alle fressen ihm aus der Hand. Das erklärt vielleicht auch, warum der NDR den Vorentscheid zum Eurovision Song Contest so mitgetragen hat, wie sich das der Pro Sieben- Moderator nur erträumen konnte. Vielleicht fiel dem Sender aber auch einfach nichts Besseres ein. Thomas Schreiber, ARD-Unterhaltungschef, sagte kürzlich in der FAZ, der NDR habe keinen Plan dafür gehabt, wie man im Fall eines Sieges weiter verfahre. Stefan Raab dagegen wusste ganz genau, wie diese Erfolgsgeschichte weiter geschrieben wird, was auch die Moderatorin des Vorentscheids, Sabine Heinrich bestätigt.

    "Samstags war der Eurovision Song Contest, freitags sind Matthias Opdenhövel und ich zur Seite genommen worden: Für den Fall, dass Lena gewinnt, gibt es einen Plan B. Sonntag wird es eine Maschine der Lufthansa geben, die nur für Lena gechartert ist und für die ganze deutsche Delegation! Und die landen in Hannover auf dem Flugfeld und dann wird plötzlich ein Deutschlandfähnchen aus dem Cockpit gehisst! Auf der Bühne in Hannover hat er im Interview das gesagt, das lief ja live im Fernsehen und dann sagte er: Ja, und Lena tritt noch mal an und ich dachte wirklich, ich hab mich verhört! Matthias und ich, wir gucken uns an und sagen: Ok, aber ich dachte dann auch, OK, die haben gefeiert, da wird noch mal einiges besprochen, aber nein, es war dann so."

    Und die ARD sprach: Amen. Denn ein alternatives schlüssiges Konzept hatte sie nicht. Erst durch den Privat-TV-Star Stefan Raab konnte auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen wieder an der Eurovision-Erfolgsgeschichte mitschreiben – auch wenn es ein etwas steiniger Weg war. Schon nach der ESC-Schlappe im Jahr 2009 in Moskau - Deutschland bekam 18 Punkte – gab es Gespräche mit Stefan Raab. Dessen Firma Raab TV legte ein Konzept vor, über das man sich aber nicht einig werden konnte. Raab zuckte mit den Schultern und ließ sich auf keine Kompromisse ein. Erst nach dem Einlenken der ARD konnte "Unser Star für Oslo" dann realisiert werden – und zwar nach den Vorstellungen des Pro Sieben-Aushängeschilds. Angesichts so viel geballter Macht im deutschen Fernsehen titulierte ihn die Süddeutsche jüngst in einem Interview als Muba-Raab. Auch wenn dieses Interview reichlich inszeniert wirkte, erklärte Raab sich sein Selbstverständnis und seine Beziehung zu den ARD-Chefs doch auf erhellende Weise:

    "Ich bin gefragt worden. Ich habe 2010 die Neo-Demokratie eingeführt und jetzt von Neo-Demokratie auf Demokratie zurückgestuft und gesagt: So, jetzt entscheidet ihr über den Song. Außerdem: Steht irgendwo im Grundgesetz, dass es ein Recht der Bevölkerung gibt zu entscheiden, wer zum ESC fährt? Das ist ja, als würde Jogi Löw per Tele-Voting entscheiden, wer in der Nationalmannschaft spielt."

    "Unser Song für Deutschland" war dann allerdings die erste Fernsehschlappe für den erfolgsverwöhnten Raab: Eine erwartbar langweilige "Lena gegen Lena"-Show, was weder an der Sängerin, noch an den Moderatoren oder der Jury lag – es lag an der Sache an sich, wie der Marketingexperte Thorsten Hennig-Thurau von der Universität Münster bestätigt:

    "Diese Sendung kam mir wirklich vor wie eine schlechte Kopie des Raabschen Entertainment und es war eben eine Dauerwerbesendung allerdings ohne Einblendung: "Für eine neue Platte eines Stars." Das finde ich auch unnötig, denn eigentlich ist die Lena ja ein ganz spannender Mensch."

    Doch bei diesem Lena-Overkill wurden die Zuschauer mürbe, daran konnte auch der Charme der Hannoveranerin nichts ändern. Dass das zweite Lena Album "Good News" trotz des Vorentscheid-Flops – die Quoten blieben deutlich hinter denen des Vorjahres zurück, auf Nummer eins der Albumcharts einstieg, wundert Thorsten Hennig-Thurau nicht.

    "Bei diesem Werbedruck, den Pro Sieben und Stefan Raab gemacht haben, wäre wahrscheinlich ein Album von mir auch auf Platz eins gegangen, ja, und ich kann definitiv gar nicht singen. Wenn sie so ein Marketingpower auf die Zuschauer, auf die Zuhörer loslassen, dann muss sich einfach das Album verkaufen."

    Lena ist bei allem, was sie selbst an Starqualitäten mitbringt, letztendlich ein Produkt von Stefan Raab und der Firma Brainpool, an der Raab TV zu 12,5 Prozent beteiligt ist. Zu der Produktionsfirma gehören Erfolgsformate wie "Ladykracher", "Stromberg" oder "Der deutsche Comedypreis". Brainpool managt Lena, steuert ihre TV-Auftritte und koordiniert Interviews – ein übliches Prozedere bei der Firma. Will man sich mit Lena auf hintergründige und ausführliche Weise beschäftigen, werden Interviewanfragen abgewiesen oder auch nach mehrmaligem Nachfragen nicht beantwortet – wie im Falle des heutigen Beitrags. Raab ließ außerdem über seine Anwälte wissen, seine Produktionsfirma habe "sämtliche ausschließliche Nutzungsrechte an dem Namen Lena Meyer-Landrut". Niemand außer seiner Firma soll an Lena verdienen. Und das dürfte bei diversen Gold- und Platin-Auszeichnungen für die Musikverkäufe der Hannoveranerin oder ihrem Werbevertrag mit Opel nicht wenig sein. Die Marke Lena ist Gold wert, wie Thorsten Hennig-Thurau konstatiert:

    "Die Marke Lena ist ja, wie so viele dieser jungen Brains wie wir das nennen, nicht systematisch kreiert worden, sondern die hat sich selbst entwickelt, weil sie etwas hatte: nämlich dieses Charisma, diese Authentizität, die so rar ist im Showgeschäft, und die wir alle gerne mögen."

    Doch Lena selbst bringt mittlerweile auch eine gehörige Professionalität mit. Das mag auch einer der Gründe dafür sein, warum sie seit Monaten heftig kritisiert wird: weil hinter ihrer spontanen und direkten Art inzwischen viel Arbeit steckt, wie sie selbst beim Vorentscheid im März sagte.

    "Ich war kurz, bevor ich auf die Bühne gegangen bin, aufgeregt, weil ich immer davor aufgeregt bin. Das geht auch nicht weg. Ich war aber sonst relativ zufrieden, weil wir tierisch viel geprobt haben, wir haben unglaublich viel geprobt, jeden Part, bei dem ich gesagt habe, da bin ich mir noch unsicher, und mit den Texten war das auch super. Deswegen war das echt OK."

    Eine Maxime, die sie auch dank ihres Mentors Stefan Raab verinnerlicht hat, ist: Niemals über Privates zu sprechen. Über Raab weiß man gerade mal, dass er mit Freundin und zwei Töchtern in einer wohlsituierten Kölner Gegend wohnt. Über Lena, dass ihr Vater die Familie verlassen hat. Das ist erstaunlich wenig. In Zeiten von Facebook, Twitter und einem geradezu exhibitionistischen Offenbarungswahnsinn ist es vielen unbegreiflich, wie man partout sein Privatleben genau das sein lassen will: nämlich privat.

    "Wenn Leute mich private Sachen fragen und ich sage dann, dass ich dazu nichts sagen möchte, und dann nicht aufhören zu fragen und noch mal und noch mal, das finde ich dann zum Beispiel unschön."

    Im Grunde handelt Lena so, wie ihr Mentor Raab und viele andere Brainpool-Gesichter auch agieren: Sie lässt alles, was an ihrer Schutzmauer kratzen könnte, links liegen. Die 19-Jährige reagiert erstaunlich gelassen und unempfindlich auf den bisweilen eisigen Wind, der ihr auch wegen ihrer Verschlossenheit, die gerne mal als Arroganz ausgelegt wird, entgegen weht, wie sie in einem Interview mit Sarah Kuttner durchblicken ließ.

    "Nervig ist, wenn man einfach mal im Jogger einen Café auf der Straße trinken will in der Sonne, und dann glotzen aber alle und kommen an den Tisch und wollen Autogramme. Eigentlich ist das, was Gutes, es gehört dazu und ich freue, mich darüber, aber manchmal fucked mich das auch ab und macht mich das auch traurig."

    Für einen kleinen Moment war Lena hier mal unbeherrscht und ließ sich in die Karten schauen. Auch laienpsychologisch betrachtet muss einem klar sein, was für ein enormer Druck auf dem Mädchen lastet. Das wird vor allem aus nächster Nähe klar Moderatorin Sabine Heinrich sagt:

    "So richtig negative Sachen werden auf der Bühne nicht thematisiert. Zu Recht. Denn: Was hätte es geändert? Man macht die ja nur verrückt, wenn man ihr unter die Nase hält: Guck mal hier: Die Quote ist scheiße und die Leute reden komisch über dich. Vor allem muss man mal überlegen: Wer redet komisch und wer redet schlecht. Es sind wahrscheinlich die Menschen gewesen, die kein Stück von ihr abbekommen haben, weil sie klare Regeln aufgestellt hat. Sie hat eben nicht so funktioniert, wie sich die Masse das gewünscht hat. Alle wollten ein Stück von Lena haben und sie hat bis zu einem gewissen Grad gesagt: Nee, mach ich nicht."

    Das größte Stück besitzt ohnehin nun mal die Firma Brainpool, deren Goldesel Lena ist. Noch. Denn es ist eher unwahrscheinlich, dass Lena morgen in Düsseldorf zum zweiten Mal gewinnen wird. Genau das aber könnte auch ihre Chance sein. Weg von dem, möglicherweise auch von Brainpool gesteuerten Image der Rotzgöre, hin zu einer ernst zu nehmenden Künstlerin. Der Rummel um ihre Person würde nachlassen und sie könnte sich als Musikerin und nicht als Titelverteidigerin beweisen.

    "Ich glaube, eine große Frage wird für sie sein: der Umgang mit ihrem Übervater Stefan Raab. Ich denke, was wichtig wäre, sie hat jetzt einzelne Songs selbst geschrieben, ich glaube, das ist sehr wichtig: Dass sie weggeht von der Sängerin und hingeht zu der Musikerin. Das wäre etwas, was einfach auch dieser Charakterbildung sehr hilft. Dann singt man eben die Songs nicht, die jemand anderes für einen geschrieben hat, weil er glaubt, so sei man, sondern wo man glaubt, so ist man selbst."

    Für die ARD hätte ein Scheitern der Titelverteidigung den Vorteil, keine weiteren finanziellen Belastungen stemmen zu müssen. Sie beteiligt sich neben Düsseldorf und Pro Sieben an den auf etwa 25 Millionen Euro geschätzten Kosten, ohne aber wie die Stadt am Tourismus rund um den Songcontest oder wie Pro Sieben von erhöhter Werbefrequenz zu profitieren. Und selbst Stefan Raab gab sich im Interview mit der Süddeutschen Zeitung entspannt, sollte ein erneuter Sieg nicht glücken.

    Was passiert denn, wenn wir beim nächsten Mal den ESC nicht gewinnen? Das haben zwei Wochen später alle wieder vergessen, und jeder erinnert sich nur noch daran, wie schön das in Oslo war, als wir gewonnen haben. Niederlagen sind morgen wieder vergessen. Nur Siege bleiben.