Nun, nur sechs Jahre später, ist es doch so gekommen, wie Bill Clinton und Helmut Kohl jahrelang gemurmelt haben. In den Friedensabkommen für die ex-jugoslawischen Staaten ist für alle Flüchtlinge ein Rückkehrrecht garantiert, auch wenn sie es nach so langer Zeit oft nicht mehr wahrnehmen wollen. Und der nach allgemeinem Urteil schlimmste Täter steht vor Gericht: Slobodan Milosevic.
Trotzdem: Das Echo auf diesen historischen Erfolg ist weltweit zwiespältig. Schon im Kosovo-Krieg war dem Westen vorgeworfen worden, mit zweierlei Maß zu messen: Warum durfte Serbien im Kosovo nicht tun, was der Türkei in Kurdistan offenbar erlaubt war? Nach den Auseinandersetzungen in Afghanistan ist dieser Vorwurf lauter geworden. Machen sich nicht auch die Amerikaner schuldig, wenn sie auf Guantanamo gefangene Taliban-Kämpfer wie Tiere im Käfig halten?
Mögen diese Einwände gegen die Lauterkeit der westlichen Menschenrechtspolitik etwas für sich haben, als entlastende Argumente für Slobodan Milosevic taugen sie schlecht. Soll man einen Mörder frei herumlaufen lassen, nur weil andere Verbrecher nicht gefasst werden?
Der Prozess gegen Milosevic ist ein Anfang. Schließlich muss irgendwo begonnen werden. Auf Dauer wird mit zweierlei Maß schwer zu messen sein. Das Virus dieses Prozesses wird sich ausbreiten.
Für die Völker des ehemaligen Jugoslawien hat der Milosevic-Prozess eine besondere Bedeutung. Sie assoziieren das Geschehen in Den Haag weniger mit Kurdistan und Guantanamo. Sie denken an ihre eigene jüngste Geschichte, die sie betroffen hat, die sie aber auch gemacht haben, und sie ringen mit ihrer Identität.
So war es gedacht: Das Kriegsverbrechertribunal soll nicht nur Gerechtigkeit in die Welt bringen, es hat auch den Sinn, die jungen Staaten auf dem Balkan nicht mit einer belasteten Geschichte starten zu lassen. Es ist Volkspädagogik. Es sollten keine neuen Mythen entstehen wie nach dem Zweiten Weltkrieg, als eine bestimmte Formel in ganz Jugoslawien verbindlich war und alles, was ihr widersprach, unter den Teppich gekehrt wurde. Es sollte auch keine geheimen Volksmythen geben, keine neuen Auschwitzlügen, keine Heroisierung der zweifelhaften Gestalten, die diese Kriege geführt haben.
Schaut man sich in diesen Tagen in Serbien um, dem Lande des Slobodan Milosevic, so ist von diesen Zielen keines auch nur in Sichtweite. Die Regierung bemüht sich, das geschlagene und demoralisierte Volk wieder ein wenig aufzurichten. Die Menschen brauchen ihre Energien für den Wiederaufbau - eine Situation nicht unähnlich der in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg.
Was in den letzten zehn Jahren im serbischen Namen in Kroatien, Bosnien und im Kosovo an Verbrechen verübt wurde, wird verdrängt. Man will nichts hören, nichts wissen - und in den nebligen Ecken der Gehirns, wo die Erinnerung an die Kriege Platz findet, bilden sich die schönsten Mythen.
Das Haager Tribunal und sein Milosevic-Prozess werden daran, wie es scheint, so rasch nichts ändern. Der serbische Regierungschef Zoran Djindjic, ein kluger und pragmatischer, aber schlauer Politiker vom Format eines Konrad Adenauer, hat für seine Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal eine von allen akzeptierte Formel gefunden: Sie sei eben der Preis, den Serbien jetzt zu zahlen habe, wenn es Kandidat der Europäischen Union werden wolle. Es ist eine Formel, mit der alle Serben leben können: Die Menschenrechtler und früheren Regimegegner, die diesen Preis nur zu gerne bezahlen, die breite Masse, die jetzt vor allem das wirtschaftliche Elend überwinden will und sich von Milosevic und anderen mutmaßlichen Kriegsverbrechern nicht als Geisel halten lassen will, aber auch die Mitläufer und die Mittäter von einst, für die Milosevic nur auf der Anklagebank sitzt, weil er eben verloren hat. Das ist eben der Preis. Man kann fragen, wie er zustande gekommen ist. Aber es wird nichts nützen.
Wie die gerichtliche Aufarbeitung der Geschichte wirkt, welche Spuren sie hinterlässt, kann man nicht in Serbien, aber in Kroatien schon heute studieren. Der ehemalige Kriegsgegner ist den Serben um mindestens zwei Jahre voraus. Schon unter dem ersten Präsidenten Franjo Tudjman, der im Dezember 1999 starb, begann die schmerzhafte Auseinandersetzung mit der Geschichte: Die ersten Kroaten, alle übrigens aus Bosnien, wurden auf Druck der internationalen Gemeinschaft nach Den Haag geschickt. Sie wurden am Flughafen vom Präsidentenberater mit Handschlag verabschiedet. Sie gingen als Ehrenmänner, die sich für die Nation opferten. Noch wiegte das Land sich in dem Wahn, es könnte seine Heldengeschichten unredigiert in die Geschichtsbücher schleppen.
Die Kroaten haben sich ihres Kriegsregimes inzwischen entledigt - eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die Auseinandersetzung wirklich beginnen konnte. Das haben die Serben im Oktober 2000 auch getan. Aber es gibt zwischen beiden Völkern einen wesentlichen Unterschied, wie der Zagreber Politikwissenschaftler Zarko Puhovski festhält. Die Geschichte von dem Preis, den man nun zu zahlen habe, akzeptieren in Serbien alle.
Auch die Nationalisten, die enttäuscht sind nicht von der Tatsache, dass Milosevic den Krieg begonnen hat, sondern von der Tatsache, dass er ihn verloren hat. In Kroatien nutzen die Nationalisten ein Argument, das leider stimmt: Es ist noch nie in der Geschichte geschehen, dass Generale einer Armee, die den Krieg gewonnen hat, vor Gericht gehen mussten. Und wir können dann sagen: Wir haben jetzt eine neue Zeit. Die moralische Interpretation der Gegenwart ist eine ganz andere gegenüber den moralischen Interpretationen im 18., 19. und 20. Jahrhundert, aber dann kommt immer aufs Neue eine ganz andere Gegenfrage: Wieso kann man erwarten, dass eine große, wenn wesentliche Wende in der Weltgeschichte ausgerechnet zwischen Zagreb, Sarajewo und Belgrad stattfindet und nicht in New York, Berlin, Moskau oder London?
Auch Sieger können schuldig werden, das hat man in Kroatien inzwischen begriffen. Aber warum müssen ausgerechnet wir nach Den Haag? Warum nicht die Amerikaner? Warum Sarajewo und Mostar, warum nicht Dresden, My Lai, Hiroshima und Nagasaki? Die Frage nagt am Selbstverständnis der Kroaten. Es ist kein Zufall, meinen viele, dass es ausgerechnet die Kroaten trifft, die übrigens mehr Angeklagte in Den Haag sitzen haben als die Serben.
Kroatien hat sich bislang immer nur in einer nie ganz ausgelebten Autonomie kennen gelernt. Es war stolz auf seine alte Rechtstradition, aber es ist in seiner ganzen Geschichte nie ein selbstständiger, selbstbewusster Akteur gewesen. Es hat sich bis 1991 nie selbst befreit. Und jetzt, so beschreibt Puhovski das Bewusstsein seiner Landsleute:
Nachdem wir zum erstenmal was gewonnen haben, versucht man sozusagen Schönheitsfehler in unserem Sieg zu finden, und das dulden wir nicht. Das bedeutet, dass man unsere neu erworbene Identität in Frage zu stellen versucht.
Um wie vieles leichter fallen solche Zweifel an den Absichten des Tribunals den Serben, die sich ja als Verlierer der Kriege fühlen, die im Frühjahr 1999 erlebten, wie die westliche Welt ihr Land bombardierte! Gut, man ist eben der Gewalt gewichen. Slobodan Milosevic wird schon heute, und nicht nur in Serbien, weltgeschichtlich überhöht: Er sei der letzte in Europa gewesen, der sich dem totalen Machtanspruch der USA widersetzt habe, der letzte Vertreter des alten, würdigen, seiner nationalen Vielfalt bewussten Europa, und manches spricht dafür, dass der Angeklagte selbst diese Stilisierung dankbar aufgreifen und in den Mittelpunkt seines Prozesses rücken wird.
Milosevic als Märtyrer auf dem Altar der neuen Weltordnung - das könnte im schlimmsten Falle seine letzte große Rolle werden. Die Anklage erleichtert dieses Spiel noch. Sie konzentriert sich auf die großen politischen Linien, versucht zu belegen, dass Milosevic von Anfang an einen einzigen großen Plan umgesetzt habe - statt sich auf den mühseligen Nachweis zu konzentrieren, wie der Mann über sein Büro die serbische Armee in Bosnien lenkte, wie er die ethnischen Säuberungen finanzierte, wie er Kriminelle los ließ, um muslimische oder albanische Häuser zu plündern.
Grund dafür ist zum Teil echte Verlegenheit. Es gibt nicht viele Zeugen, die über die komplizierten Befehlsstränge Bescheid wussten, und ein mächtiger Regent, wie Milosevic einer war, regiert effektiver durch Unterlassungen als durch konkrete Anweisungen. In Kroatien ist die Haager Anklagebehörde den umgekehrten Weg gegangen. Zunächst kamen gewöhnliche Untaten zur Sprache, Verbrechen, die alle abscheulich fanden, die aber das Geschichtsbild der Kroaten nicht besonders berührten. Dass auch im kroatischen Namen gemordet und vertrieben wurde, hat die Öffentlichkeit rasch begriffen. Die Anklagen aus Den Haag fanden ein breites Echo, der Heldennimbus der Angeklagten schwand mit jedem Detail, das ruchbar wurde. Immer lauter wurden die Stimmen, die auch im Interesse des eigenen Landes eine Befreiung von alle dem Schmutz im heldischen Gewande forderten.
In der vergangenen Woche begann in Rijeka, auf kroatischem Boden, der erste Prozess gegen Kroaten, die 1991 serbische Zivilisten ermordet haben. Hauptangeklagter ist ein junger Dorfbursche, der im Krieg zum mächtigen Offizier wurde und den Tudjman in voller Kenntnis seiner Taten dann zum General erhob. Ist das ein Durchbruch? Wir fragten Tomislav Jakic, einen früheren Journalisten und heutigen Berater von Staatspräsident Stipe Mesic.
Das ist einerseits gut, dass es in Kroatien stattfindet, andererseits zeigt es, dass wir immer noch kaum fähig sind, solche Prozesse abzuwickeln. Denn auch dieser geht sehr, sehr zögernd voran, es gab Demonstrationen, es gab Solidaritätskundgebungen, sogar einige hochrangige Vertreter der katholischen Kirche haben offen ihre Solidarität mit den Angeklagten gezeigt.
Wäre es denn nicht ein Leichtes zuzugeben, dass auch auf der eigenen Seite Verbrechen begangen wurden? Nein, denn das Problem geht tiefer: Es rührt an das Selbstverständnis. Nicht einmal Fakten und menschliche Selbstverständlichkeiten können heute, zehn Jahre später, ohne weiteres ausgesprochen werden. Diese Erfahrung hat auch Zarko Puhovski gemacht, der das kroatische Helsinki-Komitee für Menschenrechte leitet.
Kroatien ist, wenn man das überhaupt sagen kann, emotionell noch nicht reif. Wir haben es versucht mit einigen Dokumentarfilmen über so genannte unsere Kriegsverbrechen, die mit Daten unseres Komitees verfasst wurden, und da gab es unglaublich starke, leidenschaftliche und gefährliche Reaktionen.
Die Fakten, die ans Licht kommen, zwingen dazu, neue historische Schlüsse zu ziehen. Wer zuviel aufdeckt, könnte dabei seine eigene Mittäterschaft entdecken. Dazu sind in Kroatien auch heute erst wenige bereit. Der kroatische Präsident Stipe Mesic ist die treibende Kraft der Vergangenheitsbewältigung im Land. Am 15. Januar hielt er vor dem Zagreber Parlament eine international beachtete Rede. Tomislav Jakic:
Er hat zwei Dinge gesagt: Zunächst dass die Politik Milosevics, die angeblich Jugoslawien bewahren wollte, nie ein jugoslawische Politik war, sondern immer eine serbische oder besser gesagt groß-serbische, und zweitens dass zu der gleichen Zeit, als Milosevic die Serben für seine eigene großserbische Politik mobilisierte, die damalige kroatische Führung Dinge getan hat, die eigentlich für Milosevic von Nutzen waren.
Mit diesen Sätzen traf Mesic den wunden Punkt. Was bislang bekannt geworden war, ließ sich nicht mehr als Ausschweifung des einen oder anderen übereifrigen Soldaten abtun. Wenn wirklich, wie in Gospic oder in Pakrac, Serben aus ihren Häusern entführt und am Waldrand erschossen wurden, hatten sie dann nicht, genau wie die Kroaten auch, ein Recht, sich kollektiv zu wehren? Hier der legitime Verteidigungskrieg, dort die einzelnen, beklagenswerten Übergriffe - der emotionale Damm beginnt zu brechen. Noch wehrt sich vor allem die politische Opposition verzweifelt gegen diesen Dammbruch. Ivo Sanader, der heutige Vorsitzende der Tudjman-Partei HDZ, erkennt das Recht des Haager Tribunals, einzelne kroatische Kriegsverbrechen abzuurteilen, ausdrücklich an. Aber:
Alles was darüber hinausgeht, wenn man sich dann bewegt in ein politisches Feld mit der Qualifikation dieser Operationen, dann muss man in einen Dialog mit der Anklage in Den Haag, oder im Sicherheitsrat oder in Richter-Panel das einfach gemeinsam diskutieren und sagen: Bitte beweisen Sie diese Qualifikationen!
Und wenn sie es doch beweisen können? Dann schwimmt das mühsam errungene Selbstbild davon. Geht es um historische Beurteilungen, dann klingt Sanader noch immer ganz wie vor zehn Jahren.
Es war ein legitimer Verteidigungskrieg. Kroatien wie gesagt war zu einem Drittel oder einem Viertel unter serbische Besetzung. Wir haben das also befreit im Jahre 95, und wir haben das getan, was jeder souveräne Staat auf der Erde gemacht hätte.
Mesic-Berater Jakic urteilt auf Grund der Faktenlage vorsichtiger. In Kroatien geht es konkret um die Vertreibung von 150.000 bis 200.000 Serben aus der Krajina im August 1995, nach offizieller Lesart eine Art ethnische Selbstsäuberung. Man habe die Serben ja halten wollen, so das offizielle Zagreb damals, aber sie hätten vor lauter Panik und Fanatismus nicht gewollt. Jakic spricht aus, dass es ganz so nicht war:
Es stimmt zwar, dass Tudjman im Rundfunk an die Serben appelliert hat, nicht wegzugehen. Es stimmt aber auch, dass die lokalen Radiosender zur gleichen Zeit einen Anruf von dem Verteidigungsminister veröffentlicht haben, wo er ganz präzise angab, auf welchen Straßen sich die Leute, die weg wollen, bewegen können.
War es planvolles Handeln, war es vielleicht ebenso planvolle Unterlassung, bloß ein Zufall, Gedankenlosigkeit, ein - je nach Standpunkt - glückliches oder unglückliches Zusammentreffen, dass den verängstigten Serben der Krajina der Weg außer Landes gewiesen wurde? Wollte man denn die Serben nicht loswerden, war man nicht froh über ihre Flucht? Die Antwort wird sich letztlich kaum auf den Abschriften mitgeschnittener Besprechungen im Büro von Franjo Tudjman finden lassen, auch nicht in den geheimen Motiven der inzwischen verstorbenen Hauptakteure, sondern im individuellen Gewissen jedes Kroaten selbst. Das wissen oder ahnen inzwischen alle.
So schreitet eine junge Nation langsam über die Enthüllung einzelner, von jedermann verachteter Gräuel, über die Aufklärung einzelner undurchsichtiger Züge ihrer Politiker voran zu einem neuen, klareren Geschichtsbild, das nicht mehr nur aus Lichtgestalten und Finsterlingen besteht - hin zu einem Geschichtsbild, in dem auch sie selbst vorkommen.
Den Haag hat mit bohrenden Fragen, mit mitleidlosen und von jeder politischen Rücksicht freien Anklagen nur den Anstoß gegeben. Die Fragen, die damit aufgeworfen wurden, haben inzwischen ihre eigene Dynamik bekommen.
Bewältigen müssen die Kroaten ihre Vergangenheit selbst. Leicht sei das nicht, meint Nenad Popovic, ein bekannter Verleger in Zagreb und überdies ausgezeichneter Kenner der deutschen Verhältnisse. Dennoch ist er dafür, um der Seelenhygiene des eigenen Landes willen.
Ich glaube, dass die Aufarbeitung rechtzeitig begonnen hat. Sie haben das Beispiel Deutschland, das sich mit der Aufarbeitung bis heute quält, weil sie nicht gleich nach 1945 richtig begonnen hat.
Aber Popovic fügt einen, wie er sagt, ernsthaften Vorwurf an:
In dieser Aufarbeitung der eigenen Aufarbeitung wird Kroatien nicht assistiert. Bei so einem Unternehmen, der Klärung einer so schlimmen Geschichte unmittelbar nach dem Geschehen, wo alle Protagonisten noch da sind, hätte Kroatien etwas Assistenz aus der freien demokratischen Welt nötig gehabt.
Dabei wäre es durchaus auch anders gegangen, meint Nenad Popovic.
Ich glaube, eine Hilfe hätte durch große Aufklärungskampagnen stattfinden können, hätte durch Vorträge, durch Absendung von erfahrenen Richtern und Staatsanwälten, Aussprachen im Lande mit internationaler Hilfe wie in Südafrika die Wahrheitsfindungskommissionen geschehen können, oder der Besuch einiger moralisch integrer Figuren in Kroatien, wie z.B. von Nelson Mandela oder Günter Grass oder Elie Wiesel hätte uns nicht schlecht gestanden, z.B. ein Symposium über die Wehrmachtssausstellung, ihre Folgen in Deutschland wäre hier auf ein großes Interesse gestoßen. Kroatien fühlt sich mit seinen Problemen alleine gelassen.
Es ist in der Tat bemerkenswert, wie ein Europa, das sich von den jugoslawischen Kriegen der neunziger Jahre so stark hat erschüttern lassen, seine Aufmerksamkeit so rasch wieder abziehen konnte. Deutschland sonnte sich lange in der Dankbarkeit der Kroaten für die frühe Anerkennung ihrer Staatlichkeit. Französische Intellektuelle stilisierten die Kroaten zum Exempel für die so genannten kleinen Völker, die der falschen Einheitsideologie des Kommunismus die Stirn boten. Ein paar Jahre später sind es dieselben Kroaten, die, ganz unbeachtet von der geistigen Elite des Kontinents, allen zeigen, wie man mit einer schwierigen Geschichte fertig wird.
Trotzdem: Das Echo auf diesen historischen Erfolg ist weltweit zwiespältig. Schon im Kosovo-Krieg war dem Westen vorgeworfen worden, mit zweierlei Maß zu messen: Warum durfte Serbien im Kosovo nicht tun, was der Türkei in Kurdistan offenbar erlaubt war? Nach den Auseinandersetzungen in Afghanistan ist dieser Vorwurf lauter geworden. Machen sich nicht auch die Amerikaner schuldig, wenn sie auf Guantanamo gefangene Taliban-Kämpfer wie Tiere im Käfig halten?
Mögen diese Einwände gegen die Lauterkeit der westlichen Menschenrechtspolitik etwas für sich haben, als entlastende Argumente für Slobodan Milosevic taugen sie schlecht. Soll man einen Mörder frei herumlaufen lassen, nur weil andere Verbrecher nicht gefasst werden?
Der Prozess gegen Milosevic ist ein Anfang. Schließlich muss irgendwo begonnen werden. Auf Dauer wird mit zweierlei Maß schwer zu messen sein. Das Virus dieses Prozesses wird sich ausbreiten.
Für die Völker des ehemaligen Jugoslawien hat der Milosevic-Prozess eine besondere Bedeutung. Sie assoziieren das Geschehen in Den Haag weniger mit Kurdistan und Guantanamo. Sie denken an ihre eigene jüngste Geschichte, die sie betroffen hat, die sie aber auch gemacht haben, und sie ringen mit ihrer Identität.
So war es gedacht: Das Kriegsverbrechertribunal soll nicht nur Gerechtigkeit in die Welt bringen, es hat auch den Sinn, die jungen Staaten auf dem Balkan nicht mit einer belasteten Geschichte starten zu lassen. Es ist Volkspädagogik. Es sollten keine neuen Mythen entstehen wie nach dem Zweiten Weltkrieg, als eine bestimmte Formel in ganz Jugoslawien verbindlich war und alles, was ihr widersprach, unter den Teppich gekehrt wurde. Es sollte auch keine geheimen Volksmythen geben, keine neuen Auschwitzlügen, keine Heroisierung der zweifelhaften Gestalten, die diese Kriege geführt haben.
Schaut man sich in diesen Tagen in Serbien um, dem Lande des Slobodan Milosevic, so ist von diesen Zielen keines auch nur in Sichtweite. Die Regierung bemüht sich, das geschlagene und demoralisierte Volk wieder ein wenig aufzurichten. Die Menschen brauchen ihre Energien für den Wiederaufbau - eine Situation nicht unähnlich der in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg.
Was in den letzten zehn Jahren im serbischen Namen in Kroatien, Bosnien und im Kosovo an Verbrechen verübt wurde, wird verdrängt. Man will nichts hören, nichts wissen - und in den nebligen Ecken der Gehirns, wo die Erinnerung an die Kriege Platz findet, bilden sich die schönsten Mythen.
Das Haager Tribunal und sein Milosevic-Prozess werden daran, wie es scheint, so rasch nichts ändern. Der serbische Regierungschef Zoran Djindjic, ein kluger und pragmatischer, aber schlauer Politiker vom Format eines Konrad Adenauer, hat für seine Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal eine von allen akzeptierte Formel gefunden: Sie sei eben der Preis, den Serbien jetzt zu zahlen habe, wenn es Kandidat der Europäischen Union werden wolle. Es ist eine Formel, mit der alle Serben leben können: Die Menschenrechtler und früheren Regimegegner, die diesen Preis nur zu gerne bezahlen, die breite Masse, die jetzt vor allem das wirtschaftliche Elend überwinden will und sich von Milosevic und anderen mutmaßlichen Kriegsverbrechern nicht als Geisel halten lassen will, aber auch die Mitläufer und die Mittäter von einst, für die Milosevic nur auf der Anklagebank sitzt, weil er eben verloren hat. Das ist eben der Preis. Man kann fragen, wie er zustande gekommen ist. Aber es wird nichts nützen.
Wie die gerichtliche Aufarbeitung der Geschichte wirkt, welche Spuren sie hinterlässt, kann man nicht in Serbien, aber in Kroatien schon heute studieren. Der ehemalige Kriegsgegner ist den Serben um mindestens zwei Jahre voraus. Schon unter dem ersten Präsidenten Franjo Tudjman, der im Dezember 1999 starb, begann die schmerzhafte Auseinandersetzung mit der Geschichte: Die ersten Kroaten, alle übrigens aus Bosnien, wurden auf Druck der internationalen Gemeinschaft nach Den Haag geschickt. Sie wurden am Flughafen vom Präsidentenberater mit Handschlag verabschiedet. Sie gingen als Ehrenmänner, die sich für die Nation opferten. Noch wiegte das Land sich in dem Wahn, es könnte seine Heldengeschichten unredigiert in die Geschichtsbücher schleppen.
Die Kroaten haben sich ihres Kriegsregimes inzwischen entledigt - eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die Auseinandersetzung wirklich beginnen konnte. Das haben die Serben im Oktober 2000 auch getan. Aber es gibt zwischen beiden Völkern einen wesentlichen Unterschied, wie der Zagreber Politikwissenschaftler Zarko Puhovski festhält. Die Geschichte von dem Preis, den man nun zu zahlen habe, akzeptieren in Serbien alle.
Auch die Nationalisten, die enttäuscht sind nicht von der Tatsache, dass Milosevic den Krieg begonnen hat, sondern von der Tatsache, dass er ihn verloren hat. In Kroatien nutzen die Nationalisten ein Argument, das leider stimmt: Es ist noch nie in der Geschichte geschehen, dass Generale einer Armee, die den Krieg gewonnen hat, vor Gericht gehen mussten. Und wir können dann sagen: Wir haben jetzt eine neue Zeit. Die moralische Interpretation der Gegenwart ist eine ganz andere gegenüber den moralischen Interpretationen im 18., 19. und 20. Jahrhundert, aber dann kommt immer aufs Neue eine ganz andere Gegenfrage: Wieso kann man erwarten, dass eine große, wenn wesentliche Wende in der Weltgeschichte ausgerechnet zwischen Zagreb, Sarajewo und Belgrad stattfindet und nicht in New York, Berlin, Moskau oder London?
Auch Sieger können schuldig werden, das hat man in Kroatien inzwischen begriffen. Aber warum müssen ausgerechnet wir nach Den Haag? Warum nicht die Amerikaner? Warum Sarajewo und Mostar, warum nicht Dresden, My Lai, Hiroshima und Nagasaki? Die Frage nagt am Selbstverständnis der Kroaten. Es ist kein Zufall, meinen viele, dass es ausgerechnet die Kroaten trifft, die übrigens mehr Angeklagte in Den Haag sitzen haben als die Serben.
Kroatien hat sich bislang immer nur in einer nie ganz ausgelebten Autonomie kennen gelernt. Es war stolz auf seine alte Rechtstradition, aber es ist in seiner ganzen Geschichte nie ein selbstständiger, selbstbewusster Akteur gewesen. Es hat sich bis 1991 nie selbst befreit. Und jetzt, so beschreibt Puhovski das Bewusstsein seiner Landsleute:
Nachdem wir zum erstenmal was gewonnen haben, versucht man sozusagen Schönheitsfehler in unserem Sieg zu finden, und das dulden wir nicht. Das bedeutet, dass man unsere neu erworbene Identität in Frage zu stellen versucht.
Um wie vieles leichter fallen solche Zweifel an den Absichten des Tribunals den Serben, die sich ja als Verlierer der Kriege fühlen, die im Frühjahr 1999 erlebten, wie die westliche Welt ihr Land bombardierte! Gut, man ist eben der Gewalt gewichen. Slobodan Milosevic wird schon heute, und nicht nur in Serbien, weltgeschichtlich überhöht: Er sei der letzte in Europa gewesen, der sich dem totalen Machtanspruch der USA widersetzt habe, der letzte Vertreter des alten, würdigen, seiner nationalen Vielfalt bewussten Europa, und manches spricht dafür, dass der Angeklagte selbst diese Stilisierung dankbar aufgreifen und in den Mittelpunkt seines Prozesses rücken wird.
Milosevic als Märtyrer auf dem Altar der neuen Weltordnung - das könnte im schlimmsten Falle seine letzte große Rolle werden. Die Anklage erleichtert dieses Spiel noch. Sie konzentriert sich auf die großen politischen Linien, versucht zu belegen, dass Milosevic von Anfang an einen einzigen großen Plan umgesetzt habe - statt sich auf den mühseligen Nachweis zu konzentrieren, wie der Mann über sein Büro die serbische Armee in Bosnien lenkte, wie er die ethnischen Säuberungen finanzierte, wie er Kriminelle los ließ, um muslimische oder albanische Häuser zu plündern.
Grund dafür ist zum Teil echte Verlegenheit. Es gibt nicht viele Zeugen, die über die komplizierten Befehlsstränge Bescheid wussten, und ein mächtiger Regent, wie Milosevic einer war, regiert effektiver durch Unterlassungen als durch konkrete Anweisungen. In Kroatien ist die Haager Anklagebehörde den umgekehrten Weg gegangen. Zunächst kamen gewöhnliche Untaten zur Sprache, Verbrechen, die alle abscheulich fanden, die aber das Geschichtsbild der Kroaten nicht besonders berührten. Dass auch im kroatischen Namen gemordet und vertrieben wurde, hat die Öffentlichkeit rasch begriffen. Die Anklagen aus Den Haag fanden ein breites Echo, der Heldennimbus der Angeklagten schwand mit jedem Detail, das ruchbar wurde. Immer lauter wurden die Stimmen, die auch im Interesse des eigenen Landes eine Befreiung von alle dem Schmutz im heldischen Gewande forderten.
In der vergangenen Woche begann in Rijeka, auf kroatischem Boden, der erste Prozess gegen Kroaten, die 1991 serbische Zivilisten ermordet haben. Hauptangeklagter ist ein junger Dorfbursche, der im Krieg zum mächtigen Offizier wurde und den Tudjman in voller Kenntnis seiner Taten dann zum General erhob. Ist das ein Durchbruch? Wir fragten Tomislav Jakic, einen früheren Journalisten und heutigen Berater von Staatspräsident Stipe Mesic.
Das ist einerseits gut, dass es in Kroatien stattfindet, andererseits zeigt es, dass wir immer noch kaum fähig sind, solche Prozesse abzuwickeln. Denn auch dieser geht sehr, sehr zögernd voran, es gab Demonstrationen, es gab Solidaritätskundgebungen, sogar einige hochrangige Vertreter der katholischen Kirche haben offen ihre Solidarität mit den Angeklagten gezeigt.
Wäre es denn nicht ein Leichtes zuzugeben, dass auch auf der eigenen Seite Verbrechen begangen wurden? Nein, denn das Problem geht tiefer: Es rührt an das Selbstverständnis. Nicht einmal Fakten und menschliche Selbstverständlichkeiten können heute, zehn Jahre später, ohne weiteres ausgesprochen werden. Diese Erfahrung hat auch Zarko Puhovski gemacht, der das kroatische Helsinki-Komitee für Menschenrechte leitet.
Kroatien ist, wenn man das überhaupt sagen kann, emotionell noch nicht reif. Wir haben es versucht mit einigen Dokumentarfilmen über so genannte unsere Kriegsverbrechen, die mit Daten unseres Komitees verfasst wurden, und da gab es unglaublich starke, leidenschaftliche und gefährliche Reaktionen.
Die Fakten, die ans Licht kommen, zwingen dazu, neue historische Schlüsse zu ziehen. Wer zuviel aufdeckt, könnte dabei seine eigene Mittäterschaft entdecken. Dazu sind in Kroatien auch heute erst wenige bereit. Der kroatische Präsident Stipe Mesic ist die treibende Kraft der Vergangenheitsbewältigung im Land. Am 15. Januar hielt er vor dem Zagreber Parlament eine international beachtete Rede. Tomislav Jakic:
Er hat zwei Dinge gesagt: Zunächst dass die Politik Milosevics, die angeblich Jugoslawien bewahren wollte, nie ein jugoslawische Politik war, sondern immer eine serbische oder besser gesagt groß-serbische, und zweitens dass zu der gleichen Zeit, als Milosevic die Serben für seine eigene großserbische Politik mobilisierte, die damalige kroatische Führung Dinge getan hat, die eigentlich für Milosevic von Nutzen waren.
Mit diesen Sätzen traf Mesic den wunden Punkt. Was bislang bekannt geworden war, ließ sich nicht mehr als Ausschweifung des einen oder anderen übereifrigen Soldaten abtun. Wenn wirklich, wie in Gospic oder in Pakrac, Serben aus ihren Häusern entführt und am Waldrand erschossen wurden, hatten sie dann nicht, genau wie die Kroaten auch, ein Recht, sich kollektiv zu wehren? Hier der legitime Verteidigungskrieg, dort die einzelnen, beklagenswerten Übergriffe - der emotionale Damm beginnt zu brechen. Noch wehrt sich vor allem die politische Opposition verzweifelt gegen diesen Dammbruch. Ivo Sanader, der heutige Vorsitzende der Tudjman-Partei HDZ, erkennt das Recht des Haager Tribunals, einzelne kroatische Kriegsverbrechen abzuurteilen, ausdrücklich an. Aber:
Alles was darüber hinausgeht, wenn man sich dann bewegt in ein politisches Feld mit der Qualifikation dieser Operationen, dann muss man in einen Dialog mit der Anklage in Den Haag, oder im Sicherheitsrat oder in Richter-Panel das einfach gemeinsam diskutieren und sagen: Bitte beweisen Sie diese Qualifikationen!
Und wenn sie es doch beweisen können? Dann schwimmt das mühsam errungene Selbstbild davon. Geht es um historische Beurteilungen, dann klingt Sanader noch immer ganz wie vor zehn Jahren.
Es war ein legitimer Verteidigungskrieg. Kroatien wie gesagt war zu einem Drittel oder einem Viertel unter serbische Besetzung. Wir haben das also befreit im Jahre 95, und wir haben das getan, was jeder souveräne Staat auf der Erde gemacht hätte.
Mesic-Berater Jakic urteilt auf Grund der Faktenlage vorsichtiger. In Kroatien geht es konkret um die Vertreibung von 150.000 bis 200.000 Serben aus der Krajina im August 1995, nach offizieller Lesart eine Art ethnische Selbstsäuberung. Man habe die Serben ja halten wollen, so das offizielle Zagreb damals, aber sie hätten vor lauter Panik und Fanatismus nicht gewollt. Jakic spricht aus, dass es ganz so nicht war:
Es stimmt zwar, dass Tudjman im Rundfunk an die Serben appelliert hat, nicht wegzugehen. Es stimmt aber auch, dass die lokalen Radiosender zur gleichen Zeit einen Anruf von dem Verteidigungsminister veröffentlicht haben, wo er ganz präzise angab, auf welchen Straßen sich die Leute, die weg wollen, bewegen können.
War es planvolles Handeln, war es vielleicht ebenso planvolle Unterlassung, bloß ein Zufall, Gedankenlosigkeit, ein - je nach Standpunkt - glückliches oder unglückliches Zusammentreffen, dass den verängstigten Serben der Krajina der Weg außer Landes gewiesen wurde? Wollte man denn die Serben nicht loswerden, war man nicht froh über ihre Flucht? Die Antwort wird sich letztlich kaum auf den Abschriften mitgeschnittener Besprechungen im Büro von Franjo Tudjman finden lassen, auch nicht in den geheimen Motiven der inzwischen verstorbenen Hauptakteure, sondern im individuellen Gewissen jedes Kroaten selbst. Das wissen oder ahnen inzwischen alle.
So schreitet eine junge Nation langsam über die Enthüllung einzelner, von jedermann verachteter Gräuel, über die Aufklärung einzelner undurchsichtiger Züge ihrer Politiker voran zu einem neuen, klareren Geschichtsbild, das nicht mehr nur aus Lichtgestalten und Finsterlingen besteht - hin zu einem Geschichtsbild, in dem auch sie selbst vorkommen.
Den Haag hat mit bohrenden Fragen, mit mitleidlosen und von jeder politischen Rücksicht freien Anklagen nur den Anstoß gegeben. Die Fragen, die damit aufgeworfen wurden, haben inzwischen ihre eigene Dynamik bekommen.
Bewältigen müssen die Kroaten ihre Vergangenheit selbst. Leicht sei das nicht, meint Nenad Popovic, ein bekannter Verleger in Zagreb und überdies ausgezeichneter Kenner der deutschen Verhältnisse. Dennoch ist er dafür, um der Seelenhygiene des eigenen Landes willen.
Ich glaube, dass die Aufarbeitung rechtzeitig begonnen hat. Sie haben das Beispiel Deutschland, das sich mit der Aufarbeitung bis heute quält, weil sie nicht gleich nach 1945 richtig begonnen hat.
Aber Popovic fügt einen, wie er sagt, ernsthaften Vorwurf an:
In dieser Aufarbeitung der eigenen Aufarbeitung wird Kroatien nicht assistiert. Bei so einem Unternehmen, der Klärung einer so schlimmen Geschichte unmittelbar nach dem Geschehen, wo alle Protagonisten noch da sind, hätte Kroatien etwas Assistenz aus der freien demokratischen Welt nötig gehabt.
Dabei wäre es durchaus auch anders gegangen, meint Nenad Popovic.
Ich glaube, eine Hilfe hätte durch große Aufklärungskampagnen stattfinden können, hätte durch Vorträge, durch Absendung von erfahrenen Richtern und Staatsanwälten, Aussprachen im Lande mit internationaler Hilfe wie in Südafrika die Wahrheitsfindungskommissionen geschehen können, oder der Besuch einiger moralisch integrer Figuren in Kroatien, wie z.B. von Nelson Mandela oder Günter Grass oder Elie Wiesel hätte uns nicht schlecht gestanden, z.B. ein Symposium über die Wehrmachtssausstellung, ihre Folgen in Deutschland wäre hier auf ein großes Interesse gestoßen. Kroatien fühlt sich mit seinen Problemen alleine gelassen.
Es ist in der Tat bemerkenswert, wie ein Europa, das sich von den jugoslawischen Kriegen der neunziger Jahre so stark hat erschüttern lassen, seine Aufmerksamkeit so rasch wieder abziehen konnte. Deutschland sonnte sich lange in der Dankbarkeit der Kroaten für die frühe Anerkennung ihrer Staatlichkeit. Französische Intellektuelle stilisierten die Kroaten zum Exempel für die so genannten kleinen Völker, die der falschen Einheitsideologie des Kommunismus die Stirn boten. Ein paar Jahre später sind es dieselben Kroaten, die, ganz unbeachtet von der geistigen Elite des Kontinents, allen zeigen, wie man mit einer schwierigen Geschichte fertig wird.