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"Der Mittelstand hat nach wie vor gut gefüllte Auftragsbücher"

Mario Ohoven, der Präsident des Bundesverbandes mittelständischer Wirtschaft, hat zur Ankurbelung der Konjunktur eine deutliche Entlastung von Betrieben und Arbeitnehmern gefordert. Auf breiter Front müssten jetzt Steuern und Abgaben heruntergesetzt werden. Bisher seien die Auftragsbücher in den meisten Bereichen zwar noch gut gefüllt, doch kein Unternehmen könne seriös die weitere Entwicklung voraussagen.

Mario Ohoven im Gespräch mit Jochen Spengler |
    Jochen Spengler: Nicht nur in diesen Tagen ist viel von den großen Industrieunternehmen die Rede, von Opel und Ford etwa, von Daimler oder VW. Doch 70 Prozent aller Arbeitnehmer in Deutschland arbeiten nicht in großen Konzernen, sondern in mittelständischen Unternehmen. Sie vor allem sorgen für Wachstum und Arbeitsplätze. Wie kommen sie mit der Krise zurecht? - Am Telefon begrüße ich den Präsidenten des Bundesverbandes der mittelständischen Wirtschaft, Mario Ohoven. Guten Morgen, Herr Ohoven.

    Mario Ohoven: Guten Morgen!

    Spengler: Mitte Oktober, Herr Ohoven, haben Sie in einem Interview gegenüber der "Süddeutschen Zeitung" gesagt, der Mittelstand hat durchweg noch gut gefüllte Auftragsbücher. Wie steht es zwei Monate später?

    Ohoven: Der Mittelstand hat nach wie vor gut gefüllte Auftragsbücher. Nur das lässt nach. Was weitreichende Prognosen betrifft, da ist immer Vorsicht angebracht. Dazu gibt es momentan zu viele Unwägbarkeiten, die den konjunkturellen Verkauf sehr stark beeinflussen können - beispielsweise die Rohstoffpreise, aber auch das Konsumverhalten. Außerdem kann heute ein kleiner Unternehmer - wir müssen mal davon ausgehen, von den 3,5 Millionen Unternehmen gibt es 2,5 Millionen Unternehmen, die zwischen 1 und 20 Mitarbeiter haben. Die können nicht sagen, wie sich die internationale Finanzmarktkrise weiterentwickeln wird.

    Spengler: Verstehe ich Ihre Worte richtig, dass Sie sagen, noch ist die Krise nicht angekommen?

    Ohoven: Noch ist sie nicht angekommen. - Großen Anteil haben zudem psychologische Faktoren. Wir sollten deshalb aufpassen, dass wir nicht eine Entwicklung nach unten verstärken oder überhaupt erst herbeireden. Wer an die Hölle glaubt, fährt auch hinein. Ich denke, seriös lassen sich allenfalls Trends bestimmen, und danach zeichnet sich für das kommende Jahr ein deutlicher Rückgang beim Wachstum ab. Ob die Konjunktur dann im Herbst wieder anzieht, wissen wir frühestens anhand der Auftragseingänge im ersten Quartal 2009. Was uns gegenwärtig die größten Sorgen bereitet, das ist der Einbruch bei der Auslandsnachfrage. Hiervon sind vor allen Dingen der Maschinenbau und der Automobilbau betroffen, also das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Die Maschinenbauer sind traditionell mittelständisch strukturiert. In der Automobilbranche fungieren die kleinen und mittleren Betriebe natürlich als Zulieferer. Auf der anderen Seite wissen wir durch unsere Umfragen, dass der Mittelstand auch 2009 zu seiner beschäftigungspolitischen Verantwortung stehen wird.

    Spengler: Herr Ohoven, wenn Sie sagen "Einbruch beim Export", ich habe das auch gehört. Bis zu einem Viertel sind die Auftragseingänge zurückgegangen. Da muss man doch sagen, die Krise ist schon da.

    Ohoven: Auf manchen Gebieten ist die Krise definitiv da, aber auf vielen Gebieten ist sie noch nicht da, zeichnet sich allerdings ab.

    Spengler: Herr Ohoven, hören wir uns noch einmal die Videobotschaft der Kanzlerin an.

    O-Ton Angela Merkel: Die Bundesregierung hat bereits gehandelt und ein erstes Maßnahmenpaket zur Stützung der Konjunktur auf den Weg gebracht. Wir werden im Januar einen weiteren Schritt gehen. Dies allerdings muss sorgfältig vorbereitet werden, denn wir wollen genau immer da ansetzen, wo Arbeitsplätze erhalten oder geschaffen werden können.

    Spengler: Ist das angekündigte zweite Konjunkturpaket in Höhe von bis zu 40 Milliarden Euro aus Ihrer Sicht die richtige Antwort auf die Krise?

    Ohoven: Das ist eine flankierende Maßnahme, eine gute Unterstützung, aber wir sagen, viel besser als irgendwelcher Aktionismus aus wahltaktischen Gründen wäre eine nachhaltige Entlastung der Betriebe und bei den Bürgern, die Steuern und Abgaben runterzusetzen, und zwar auf breiter Front, und zwar jetzt.

    Spengler: Ganz undifferenziert, oder haben Sie da spezielle Prioritäten bei den Steuern und Abgaben?

    Ohoven: Ja. Wir haben ganz klare Vorstellungen. Zum Beispiel hätte man mit einem Verzicht auf den Gesundheitsfonds, der die Unternehmen im nächsten Jahr mit rund zwei Milliarden Euro zusätzlich belastet, das ganze viel einfacher haben können, indem man den nicht gemacht hätte. Für meinen Geschmack ist auch die Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zwar im Prinzip sehr richtig, aber doch zu halbherzig ausgefallen. Wir sagen runter auf 2,3 Prozent. Das ließe sich spielend durch den Abbau entbehrlicher Leistungen im Umfang von 6 Milliarden Euro gegenfinanzieren. Und wofür wir sind: ein stufenweiser Abbau des Solidarzuschlags bis Ende 2009. Das würde über 12 Milliarden Euro für Investitionen, aber auch für den Konsum freisetzen. Und was ganz, ganz wichtig ist: eine Steuerfreistellung aller im Betrieb verbleibenden Gewinne. Hierin lag im Grunde genommen das Geheimnis Ludwig Erhards des Wirtschaftswunders nach dem Zweiten Weltkrieg. Das wäre eine Initialzündung für unsere gesamte Volkswirtschaft. Die Betriebe bekommen mehr Liquidität, können wieder investieren und hunderttausende neuer Arbeitsplätze schaffen.

    Spengler: Heute tagt in Berlin die Arbeitsgruppe Beschäftigungssicherung mit Experten der Regierung, der Bundesagentur für Arbeit, der Verbände, der Gewerkschaften. Es geht um die Möglichkeiten der Beschäftigungssicherung und der Staat möchte von den 30 DAX-Unternehmen eine Art Jobgarantie. Sie vertreten ja nun keine DAX-Unternehmen. Kann der Mittelstand dennoch mit Jobgarantien weiterhelfen?

    Ohoven: Ich habe ehrlich gesagt so meine Schwierigkeiten mit der Arbeitsplatzgarantie einiger DAX-Unternehmen. Warum? Von den 30 DAX-Unternehmen haben ja schon 20 im letzten Jahr beziehungsweise in diesem Jahr eine sogenannte Jobgarantie gegeben. Die anderen haben damit Schwierigkeiten. Ich kann Ihnen nur sagen, wenn ich mich richtig erinnere, waren es doch die Großunternehmen, die in den vergangenen Jahren Tausende Mitarbeiter oft über Nacht auf die Straße gesetzt haben.

    Spengler: Umso schöner wäre es ja, wenn sie jetzt die Jobgarantie abgäben, oder?

    Ohoven: In der gleichen Zeit haben übrigens wir, die kleinen und mittleren Betriebe, in unserem Land hunderttausende neue sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze geschaffen. So viel mal zur gesellschaftlichen Verantwortung. Aber davon abgesehen: es ist doch schon jetzt sonnenklar, wer letztlich diese Jobgarantie bezahlen soll, nämlich der Steuerzahler, also wir alle. Das ganze läuft dann über eine besondere staatliche Förderung der Kurzarbeiter bei Großunternehmen, die auf betriebsbedingte Kündigungen verzichten, oder das zumindest vollmundig versprechen. Ich bin in den letzten Tagen oft angesprochen worden, warum gibt denn eigentlich der Mittelstand keine Jobgarantie. Da kann ich Ihnen ganz, ganz klar sagen, die Antwort ist einfach. Der Mittelstand stellt seit Jahren verlässlich über 70 Prozent aller Jobs in Deutschland auch ohne Jobgarantie.

    Zweitens kann doch kein Unternehmer, ein kleiner Unternehmer so zwischen 1 und 50 Mitarbeiter, generell heute schon seriös voraussagen, wie sich seine Branche in dem momentan schwierigen Markt insgesamt in einem halben Jahr oder in einem Jahr entwickelt haben wird. Sicher ist nur eines: Für unsere kleinen und mittleren Betriebe stellen gut ausgebildete und motivierte Fachkräfte das wichtigste Kapital dar. Alleine schon aus diesem Grund wird doch jeder Mittelständler seine Mitarbeiter auch in wirtschaftlich schlechten Zeiten halten,. Wenn er 20 Mitarbeiter hat, die sieht er doch jeden Tag. Wenn irgendetwas passiert, geht er ja lieber zum Sparkonto und holt privates Geld ab, um die Mitarbeiter, sein human capital, zu halten.

    Spengler: Herr Ohoven, kann sich der Mittelstand - Sie sprechen es gerade an - die Entlassung von Fachkräften dann überhaupt leisten?

    Ohoven: Nein!

    Spengler: Das heißt weil Fachkräfte Mangelware sind, wird es in dieser kommenden Krise wahrscheinlich gar keine Massenentlassungen bei Mittelständlern geben?

    Ohoven: Ich bin von einer Sache überzeugt, dass der Mittelständler seine Fachkräfte so leicht nicht gehen lässt, und rechne auch damit.

    Spengler: Wäre denn Kurzarbeit für den Fall, dass es nun doch zu Entlassungen kommen müsste, ein gutes Instrument auch für Mittelständler, die Flaute vorübergehend auszusitzen?

    Ohoven: Die Kurzarbeit wird es zuerst betreffen, und zwar bei den niedrig bezahlten Mitarbeitern.

    Spengler: Jetzt hat der Chemiegewerkschaftsvorsitzende Hubertus Schmoldt vorgeschlagen, Unternehmen in Kurzarbeit den Arbeitgeberanteil für die Sozialversicherung zu entlassen. Das würde doch auch dem Mittelstand helfen oder?

    Ohoven: Das ist richtig.

    Spengler: Das heißt, Sie würden dafür plädieren, auch Kurzarbeit für Mittelständler verstärkt einzusetzen, dann wenn es nötig ist?

    Ohoven: Genau das.

    Spengler: Im Deutschlandfunk war das der Präsident des Bundesverbandes der Mittelständischen Wirtschaft, Mario Ohoven. Danke für das Gespräch, Herr Ohoven.

    Ohoven: Ich bedanke mich bei Ihnen, Herr Spengler.