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Der Mörder der Madonna

Wer einen Klappentext schreibt, muß etwas über etwas zu sagen haben, er sollte es aber auch sagen können. Wenn ihm weder das eine noch das andere vergönnt ist, verweist das - nicht selten zu Unrecht - auf das, worüber er etwas zu sagen haben müsste: das Buch, um das es geht. Hat der Verfasser des Klappentextes nichts dazu zu sagen, kommt er uns gern mit Vergleichen. Tut er es deshalb, weil es tatsächlich nichts anderes dazu zu sagen gäbe?

Alain Claude Sulzer |
    Diesmal hat es den hierzulande unbekannten kolumbianischen Autor Fernando Vallejo erwischt. Vallejo wurde 1942 in Medellin geboren und lebt seit vielen Jahren in Mexiko. Er hat "neben einer Autobiographie in mehreren Bänden" auch ein Buch über Grammatik geschrieben. So weit so gut, so informativ. Was aber sagt uns der ungenannte Klappentexter über Vallejos Buch "Die Madonna der Mörder"? Daß der Roman dem Leser nichts erspare. Daß es sei, als würde man durch "einen der innersten Kreis der Hölle" geführt (so, als gebe es nicht nur einen, sondern gleich mehrere "innerste" Kreise). Daß der Ton "kalt und provozierend, leidenschaftlich und sarkastisch, wütend und apokalyptisch" sei. All das, jawohl. Daß Vallejos Roman von der französischen und italienischen Presse hoch gerühmt worden sei, die (wer denn nun: die französische oder die italienische?) eine Verwandtschaft mit Céline und Genet erkannt habe. Doch erinnere Vallejos Roman nicht nur an diese beiden, sondern "mit seiner schrillen Komik" auch an Quentin Tarantinos Filme, womit vermutlich Tarantinos einziger im Bewusstsein des Publikum haften gebliebener Film "Pulp fiction" gemeint sein dürfte. Man wird beim Lesen so überschwenglicher Bekenntnisse und Gegenüberstellungen das Gefühl nicht los, Vallejo habe Paten in Form berühmter Namen nötig, und so fällt es natürlich nicht ganz leicht, sich einigermaßen unbefangen einem Text zu nähern, der so gut wie nichts mit Genet oder Céline oder Tarantino zu tun hat, außer daß der Ich-Erzähler – wie Genet – schwul ist (aber wer ist das nicht?); außer daß ein gewisser sprachlicher Furor ihn antreibt (wen nicht?); außer daß - wie in "Pulp fiction" - eine Menge Blut fließt (aber wo fließt das heutzutage nicht?). Soviel zum Klappentext und seiner nur schwer erträglichen Unzulänglichkeit. Lesen Sie ihn nicht, werfen sie den gleich weg, der ist sowieso häßlich. Wenden wir uns einem Buch zu, das sich nicht jedem, auch mir nicht, auf Anhieb eröffnet, mit dem man sich ein wenig quälen darf, dessen unzweifelhafte Qualitäten einen erst allmählich – dann aber umso stärker – gefangen nehmen.

    Wer – wie ich – so gut wie nichts über Kolumbien weiß, kennt aus den Medien zumindest Medellin, die Hauptstadt des Verbrechens und des Drogenhandels. Sie ist, wenn man so will, die eigentliche Hauptperson dieses Romans. Medellin, schreibt Vallejo, ist die Hauptstadt des Hasses, Herz der weiten Reiche Satans. Sie ist das Objekt, mit dem sich der Ich-Erzähler herumschlägt, das er liebt, das er beschimpft. Das heillose Medellin ist das Zentrum seiner mäandernden Sarkasmen. Sie ist, was er überall findet und stetig flieht, dort trifft er gleich zu Beginn des Romans auf das, was er sucht: einen Jungen, den hübschesten von allen, aber auch den verkommensten. Einen jener Jungs, wie es in Medellin offenbar viele gibt, fast noch ein Kind, das sein tägliches Brot als gedungener Mörder verdient. So rein seine Augen waren, heißt es, so verdorben war sein Herz. Und umso größer der Reiz, den der Junge auf den alternden, zur Resignation neigenden Mann ausübt. Die gegenseitige Liebe ist nur von kurzer Dauer; nicht etwa deshalb, weil Alexis ihn bald wieder verließe, sondern weil auch er – der Mörder ohne Gewissen – binnen kurzem einem jener mit leichter Hand begangenen Morde zum Opfer fällt, wie er sie selber fast täglich begangen hat. Auch er wird schließlich zum Opfer jenes "Kinderspiels", für das erwachsene Männer schon zu alt sind, weshalb man sie den Kindern überläßt, die ihre Jugend nur selten überleben. Wie es in Kolumbien, zumal in Medellin, offenbar so zugeht, in diesem demokratischen Land mit Gesetzen und Verfassungen , wo – wie Vallejo schreibt - niemand schuldig ist, solange er nicht verurteilt ist, und er wird nicht verurteilt, wenn kein Prozeß gegen ihn stattfindet, und es findet kein Prozeß gegen ihn statt, wenn man ihn nicht kriegt, und wenn man ihn kriegt, läßt man ihn laufen... Das Gesetz Kolumbiens ist die Straflosigkeit.

    Wie auch immer es sich tatsächlich damit verhält – ich maße mir nach der Lektüre dieses vor allem doch literarischen Texts kein politisches Urteil an - ob wir Vallejos zweifellos politischer Aussage folgen oder nicht: es ist ihm zumindest gelungen, das lebendige Porträt einer zynischen, desillusionierten Jugend zu zeichnen, die selbst dann nichts fühlt, wenn sie fremdes Leben auslöscht, um in den Besitz etwa von Sportschuhen zu kommen oder weil sie von irgend einem Drogenboß dafür bezahlt wird. Was da bar jeden Gefühls in der Gegend herumballert, sind Geschöpfe, die einen Alptraum beleben, den nur der Tod beenden kann. Die Leere in Alexis' Leben, noch bodenloser als meine, kann kein Müllauto auffüllen - heißt es einmal.

    So ist es ganz selbstverständlich, daß er nur die universelle Sprache des Zuschlagens kennt. Die verstehen die anderen Vertreter seiner Generation und Klasse, die versteht auch er. Eine zweite hat der Junge aus den Slums nicht gelernt, eine andere kann er nicht sprechen und will er nicht lernen. Daß am Ende auch er durch sie umkommt, deren stärkstes Argument die Kugel ist, die – ziemlich sinnlos - auf ihn abgefeuert wird, ist nichts als folgerichtig. So bilden Totschlag und Mord Anfang und Ende dieses bitteren Buchs, das trotz des Hohns, mit dem es wahrlich nicht geizt, seinem Gegenstand: den Jugendlichen Medellins, die schneller schuldig werden, als sie ihre Waffen zücken können, die Anteilnahme nicht versagt. Die Liebe dazwischen – zwischen dem einen und dem nächsten Mord - mag echt empfunden sein, sie vermag das undurchdringliche Dunkel nicht zu erhellen, das Vallejo mit viel Gespür für Irritation und Provokation dort fixiert hat, wo man es nicht unbedingt erwartet: in einem Buch, das viel besser ist als das, was sein Klappentext verspricht – und in dessen zweiter Hälfte sich der Ich-Erzähler noch einmal verliebt, diesmal in Alexis' Mörder. Auch er versteht keine andere als die Sprache als die des Körpers, der zuschlägt oder ruht; ob in den Armen eines anderen Mannes oder in jenen des Todes macht am Ende keinen großen Unterschied.