Archiv


Der mörderische Wahnsinn in Darfur

Im Westen Sudans, in Darfur, starben in den vergangenen Jahren fast 300.000 Menschen, Millionen wurden vertrieben, unzählige Frauen vergewaltigt. Ein Augenzeuge hat den Konflikt nun aus seiner Sicht geschildert: Daoud Hari, in Darfur aufgewachsen, musste mit ansehen, wie sein Dorf von Reitermilizen zerstört wurde. Eine Rezension von Reinhard Baumgarten.

    Ein Übersetzer hilft, Menschen zu verstehen, die in uns unbekannten Sprachen sprechen. Ein Übersetzer übermittelt dabei nicht nur die lexikalische Bedeutung des gesprochenen Wortes, sondern er interpretiert auch die semantische Ebene des Gesagten. Die Kunst des Übersetzens besteht nicht nur darin, das treffenden Äquivalent in der jeweils anderen Sprache zu finden, sondern auch darin, den kulturellen, sozialen und politischen Subtext zu erfassen.

    Genau das versucht der im Westsudan geborene Daoud Hari in seinem Buch "Der Übersetzer". Es gelingt ihm, aber nur bedingt. Auf knapp 230 Seiten schreibt Daoud Hari über den Krieg im westsudanesischen Darfur. Dieser Konflikt, der in den vergangenen fünf Jahren jüngsten Schätzungen der Vereinten Nationen zufolge an die 300.000 Menschenleben gefordert hat, ist hochkompliziert. Er hat viele Ursachen und er kennt viele Täter.

    ""Die Regierung hat uns mit Flugzeugen, Fahrzeugen, Kamelen und Pferden verjagt," erzählt mir im Juli 2004 die 24jährige Fatma. Sie haben aus den Fahrzeugen geschossen und unsre Männer getötet. Sie haben das Vieh geraubt und die Häuser geplündert. Alle Vorräte haben sie genommen und die Häuser verbrannt. Nichts haben sie uns gelassen. "

    Daoud Hari beschreibt den mörderischen Wahnsinn in Darfur. Die ethnischen Säuberungen, die systematische Vertreibung ansässiger Bauern durch Nomaden und Regierungssoldaten.

    Seinen Schilderungen zufolge hat er die Zerstörung seines Heimatdorfes in Norddarfur durch Antonow-Flugzeuge, Reitermilizen und Regierungstruppen miterlebt.

    Die Überlebenden treiben das Vieh zusammen, flüchten in die Berge und teilweise bis in den Tschad.

    Dorthin flieht auch Daoud Hari. Er nimmt den Namen Suleyman an und arbeitet für die UN sowie für Journalisten als Übersetzer. Sein Beitrag im "Kampf gegen den Völkermord in Darfur" bestehe darin, die Welt über die begangenen Grausamkeiten zu unterrichten, schreibt er.

    Doch will "die Welt" noch wissen, was die 20jährige Hoda im Lager Zam Zam nahe der Provinzhauptstadt Nyala zu sagen hat?

    Vierzehn Mädchen seien beim Sammeln von Feuerholz und Futter für die Esel von regierungsnahen Milizionären geschlagen, entkleidet und vergewaltigt worden. Andere Mädchen hätten sie befreit und zurückgebracht.

    Der brutale Krieg in Darfur ist weitgehend in Vergessenheit geraten. Das große Verdienst von Daoud alias Suleyman besteht deshalb vor allem darin, über das alltäglich Blutvergießen in seiner Heimat zu schreiben.

    Der heute 34jährige gehört zur Volksgruppe der Zaghawa. Daneben erwähnt er noch die Fur und die Mesalit als afrikanische Völker in Darfur. Sie sind die Opfer in diesem Konflikt. Einfühlsam beschreibt er deren friedliches Zusammenleben, ihre "wilden sportlichen Wettkämpfe im mondbeschienen Sand", ihre starken Frauen und aufgeweckten Mädchen.

    Die Täter - das sind die Araber. Allein in Norddarfur gibt es 42 arabische Stämme und Unterstämme. Für Daoud Hari gibt es nur Araber. Die Regierung in Khartoum nennt er nur die arabische Regierung. Die arabischen Reitermilizen - Jenjaweed genannt - sind im Auftrag der arabischen Regierung über die afrikanischen Bauern hergefallen, um deren Land zu rauben, so seine Darstellung der Ereignisse. Noch immer sind diese Janjaweed eine sehr konkrete tödliche Bedrohung - selbst für Flüchtlinge in Lagern unter internationaler Aufsicht:

    Sie lauern außerhalb des Lagers. Manchmal kommen sie auch rein, schlagen die Leute und bestehlen sie. In den umliegenden Dörfern findest Du viele von ihnen.

    Das große Manko an Daoud Haris Buch besteht in seiner Vordergründigkeit. Hari übersetzt den Konflikt nicht für seine westliche Leser; er hilft nicht, die Ursachen zu verstehen. Stattdessen liefert er Bilder und Erklärungsmuster, die hier gut aufgenommen werden können und bestehende Ressentiments bedienen. Nachgerade irreführend mutet sein Appell im Buchanhang an, der mit "Kleine Darfur-Fibel" überschrieben ist. Er ruft auf zum "Erhalt der Lebensweisen, die mit der Umwelt im Einklang stehen". Doch genau das gehört zur Tragik Darfurs: Die Menschen dort leben eben nicht mehr im Einklang mit ihrer Umwelt.

    Binnen 50 Jahren hat sich die Bevölkerung in Darfur auf mehr als sechs Millionen verfünffacht. Auch der Viehbestand hat sich vervielfacht. Die Niederschläge haben sich binnen weniger Jahrzehnte um bis zu 40%e verringert. Die Vormarsch der Wüste schreitet in manchen Jahren gebietsweise zwischen fünf und acht Kilometer nach Süden voran. Afrikanische Bauern und arabische Nomaden kämpfen in erster Linie um Land und Wasser. Hinzu kommt, dass sie gleichermaßen leiden unter einer sträflichen Vernachlässigung durch die Zentralregierung in Khartoum, die sich in dieser Beziehung kein Deut besser verhält als die einstigen britischen Kolonialherren. Darüber findet sich nichts in Daoud Haris Buch. Es findet sich aber in einem anderen Buch aus der Feder von Gérard Prunier mit dem Titel: "Darfur - Der uneindeutige Genozid". Der französische Historiker macht sich die Mühe, die Verstrickungen und Unbilden dieses schwierigen, aber gleichwohl für viele afrikanische Länder auch beispielhaften Konflikts in Darfur und dessen Bewältigung aufzuzeigen.

    Nun ist Daoud Hari, wie er freimütig einräumt, kein Schriftsteller, und er ist auch kein Wissenschaftler. Er will übersetzen, er will auf das Schicksal seines Volkes hinweisen. Mit Hilfe zweier schreibfertiger Lektoren von Random House hat er ein kurzweiliges Buch verfasst, das sich stellenweise richtig spannend liest. Es vermittelt einen Eindruck vom alltäglichen Grauen in Darfur, bedauerlicherweise nicht genauso schnell aufgehört hat, wie die Berichterstattung westlicher Medien darüber. Aber zu erklären vermag dieses Buch nur wenig.

    Reinhard Baumgarten las: Der Übersetzer. Leben und Sterben in Darfour. Übersetzt von Elsbeth Ranke. Erschienen bei Karl Blessing in München, 254 Seiten, 19 Euro 95. Der Autor ist Daoud Hari.