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Der Mond ist eine Zimmerlampe

Am Münchner Nationaltheater inszeniert Martin Kusej Antonin Dvoraks "Rusalka". Kusej versetzt die Geschichte um die Wassernixe in düstere sozialkitschige Bilder, demgegenüber steht die überzeugende musikalische Umsetzung.

Von Jörn Florian Fuchs |
    Ganz am Ende gab es einen der wenigen treffenden Momente. Die Sänger freuten sich noch über großen Jubel, da betrat Martin Kušej die Bühne und stracks fiel der Vorhang - bevor er sich verbeugen konnte. Etwas später brach dann doch noch der vehemente Unmut des Publikums über ihn herein. Dabei waren solch heftige Reaktionen nicht wirklich angemessen. Kušejs "Rusalka" ist handwerklich recht solide gearbeitet, es gibt ein paar starke Bilder, insgesamt bleibt alles jedoch harmlos und flau. Im Zentrum steht ein Milieukonflikt (im Programmheft ist von einer Inzestgeschichte die Rede): die bessere Gesellschaft agiert vor einem nicht mehr ganz frischen Alpenpanorama, eine Etage tiefer lebt das Prekariat und sucht sich halbwegs wohnliche Örtchen zwischen tropfenden Heizungsrohren. Ein grimmiger Hausmeister im Bademantel schickt nun ein naives Blondchen in die höheren Gefilde, wo sich das unsichere Wesen recht erfolglos mit roten Stilettos herumschlägt. Ein Schönling eilt herbei, doch rasch wendet er sich vom plötzlich schweigsamen und deshalb etwas blöde wirkenden Blondchen ab, ein schwarz bestrumpftes Vollweib wird für ihn zum Minneobjekt. Blondie hat darob Albträume, sie sieht ihren Traumprinzen mit dem Busenwunder kopulieren und landet letztlich im Irrenhaus, wo der reumütige Fast-Liebhaber sich meuchelt.

    So weit, so Kušej. Mit der eigentlichen Geschichte um die Nixe Rusalka, ihre Liebe zu einem Menschen, für den sie ihre Stimme opfert, den eifersüchtigen Wassermann und eine sinistre Hexe hat das alles nur entfernt zu tun. Kušej treibt dem Stück alle Transzendenz, alles Metaphysische und auch alles Märchenhafte aus, ohne indes ein schlüssiges 'Gegenkonzept' zu liefern. Zwar überzeugt die recht körperliche Personenführung, doch die Regie mogelt sich ziemlich unelegant um alle Schwierigkeiten der Vorlage herum. Der von Rusalka klangschön besungene Mond etwa ist eine simple Tischlampe, dazu kommen Albernheiten wie ein Chor von Bräuten, die mit gehäuteten (Plastik-)Rehen tanzen oder Rusalkas Frust-Bad im wohnzimmerlichen Aquarium. Gediegen, fast rührend wirkt das alles. Kušejs Provokationspranke? Es war einmal ...

    Rusalka ist übrigens nicht nur im Bad eine Augenweide, auch ihre beständig hergezeigten, exzellent trainierten Oberschenkel hinterlassen Eindruck. Vokal ist bei Krístīne Opolaís ohnehin alles in Ordnung, von kindlichem Unschuldsgesang bis zu mächtigem Verzweiflungsmelos - alles ist genau da, wo es hingehört. Auch Klaus Florian Vogt (als Prinz) verströmt mit seinem Wundertenor wonnig warme Töne, Günther Groissböck gibt einen mächtig-schaurigen Wassermann, Nadia Krasteva überzeugt als Rusalkas Konkurrentin, Janina Baechle singt die Hexe Ježibaba eindringlich und konturiert. Die Chöre wurden von Sören Eckhoff solide einstudiert und Tomáš Hanus sorgte am Pult des Bayerischen Staatsorchesters für brillante Farben und Formen und Rhythmen, von ein paar Patzern bei den Bläsern mal abgesehen.

    Der wunderbaren musikalischen Umsetzung steht szenisch reichlich düsterer Sozialkitsch gegenüber oder, um es poetischer zu formulieren, eine im Wortsinn wunderbare Inszenierung - sie ist tatsächlich bar jeder Wunder.