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Der Mordfall Litwinenko

Der Mordfall Litwinenko hat zu einer neuen Eiszeit im Verhältnis zwischen Großbritannien und Russland geführt. Innerhalb der EU ist man sich uneinig. So stellt sich zum Beispiel Frankreich ohne wenn und aber hinter Großbritannien, während Deutschland sich vornehm zurückhält. Die Europakolumne von Alois Berger, freier Journalist in Brüssel.

23.07.2007
    Die Europäische Union kann eigentlich gar nicht mehr anders, als sich im Streit zwischen Großbritannien und Russland hinter London zu stellen. Denn es geht längst nicht mehr nur um die Auslieferung eines ehemaligen KGB-Agenten, der in London mit radioaktivem Gift gemordet haben soll. Es geht darum, wie Russland seine Rolle als erneuerte Großmacht versteht - und wie die Europäische Union damit umgehen will.

    Mag sein, dass der britische Außenminister etwas zu schnell bei der Hand war mit der Ausweisung der russischen Diplomaten. Manche EU-Regierungen kritisieren das hinter vorgehaltener Hand. Doch kein Rechtsstaat kann es sich gefallen lassen, dass ausländische Geheimdienstler auf seinem Boden ihre Rechnungen begleichen, und noch weniger, dass dabei auch noch Tausende von Menschen durch das radioaktive Material gefährdet werden. Ob die russische Regierung die Finger im Spiel hatte, ist nicht bewiesen. Doch sie hat auch keinerlei Anstalten gemacht, bei der Aufklärung zu helfen. Im Gegenteil, Moskau hat die Nachforschungen von Scotland Yard als Verschwörung gegen Russland gebrandmarkt.

    Für die Europäische Union kommt das alles sehr ungelegen. Schließlich ist die EU dabei, Russland durch vertrauensbildende Maßnahmen an den Westen zu binden. Doch Russland hat mit seiner Reaktion auf den Rauswurf der Diplomaten Europas permanente Rücksichtnahme ad absurdum geführt. Die EU solle sich hüten, Großbritannien beizuspringen, warnt der Kreml und droht mit einer Verschlechterung der Beziehungen. Das ist starker Tobak.

    Zuckt die Europäische Union nun zurück, dann hat sie verloren. Es ist nicht das erste Mal, dass Moskau versucht, die Europäer zu spalten. Erst das Einfuhrverbot für polnisches Rindfleisch, dann der Streit mit Estland um ein sowjetisches Denkmal, jetzt der anschwellende Konflikt mit London: Und es ist nicht das erste Mal, dass die Putin-Regierung ausprobiert, wie weit sie gehen kann.

    Das Problem ist nicht die Stärke Russlands, sondern die neue Unberechenbarkeit. Mit dieser Unberechenbarkeit will Putin offensichtlich seinem Land Respekt verschaffen. Die Nachbarn sollen ruhig ein bisschen Angst haben, Angst vor allem um ihre Energieversorgung.

    Denn darum geht es bei der ganzen Diskussion innerhalb der EU: Russland ist der wichtigste Energielieferant Europas, wenn Russland den Hahn nur ein bisschen zudreht, wird es finster und kalt. Einige Länder haben davor mehr Angst als andere. Das weiß man auch in Moskau, doch in Moskau hat man auch gelernt, dass jede Drohung mit dem Gashahn vor allem den eigenen Ambitionen schadet.

    Denn spätestens seit der Kreml vor eineinhalb Jahren die Gaslieferungen in die Ukraine vorübergehend gestoppt hat, arbeitet die EU fieberhaft daran, die Abhängigkeit von Moskau zu verringern. Neue Pipelines nach Zentralasien sind geplant, an Russland vorbei, zudem Energiesparprogramme und die Förderung von Biokraftstoffen. Für Moskau ist das nicht nur eine Bedrohung seiner Machtposition, sondern auch seiner wirtschaftlichen Entwicklung. Die russische Wirtschaft braucht das Geld mindestens genauso wie Europa die Energie. Bei allen politischen Kapriolen, an seiner Zuverlässigkeit als Energielieferant lässt Moskau deshalb keine Zweifel aufkommen.

    Die Europäische Union ist selbst in der Energiefrage nicht so schwach wie einige ihrer Mitglieder glauben. Schwach ist sie nur, wenn sie sich spalten lässt, wenn die EU-Regierungen Großbritannien kritisieren, statt Moskau. Das wäre eine Einladung an den Kreml, sich mit dem nächsten EU-Land anzulegen.

    Gute Wirtschaftsbeziehungen zu Russland sind wichtig, hat ein britischer Diplomat gesagt, aber gute Wirtschaftsbeziehungen sind nicht alles. Man kann nur hoffen, dass das alle EU-Regierungen schnell begreifen.