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"Der Mount Everest ist ein banaler Berg geworden"

Am kommenden Mittwoch (29. Mai) wird in Nepal und auch in London gefeiert. Dann jährt sich zum 60. Mal der Tag, an dem Edmund Hillary und Tenzing Norgay als Mitglieder einer britischen Expedition erstmals den Mount Everest bestiegen. Seitdem folgten über 6000 weitere Besteigungen.

Von Stefan Nestler |
    Nur der Himmel ist noch über ihnen, die Welt liegt den beiden Bergsteigern zu Füßen. Am 29. Mai 1953 um 11.30 Uhr betreten der Neuseeländer Edmund Hillary und der Sherpa Tenzing Norgay als erste Menschen den Gipfel des Mount Everest. Er habe damals auf 8850 Metern nicht die ganz große Aufregung verspürt, erinnerte sich Hillary später. Eher ein Gefühl der Befriedigung:

    "My feelings were not ones of perhaps great excitement, but more a feeling of satisfaction. Many people had tried to climb Everest before and had not been successful.”"

    Viele Bergsteiger hätten zuvor versucht, den Everest zu besteigen und seien gescheitert. Tenzing Norgay, so Hillary, sei ein sehr guter Gefährte gewesen, äußerst fit und sehr entschlossen.

    "”He was a very good companion, very fit and very determined. So I think he and I worked together extremely well.”"

    Sie hätten extrem gut zusammengearbeitet, sagte Hillary. Der Neuseeländer starb 2008, Tenzing Norgay bereits 1986. Der Südtiroler Reinhold Messner zieht vor beiden Erstbesteigern den Hut.

    ""Es war eine Sternstunde des Alpinismus, obwohl Hillary nicht ein Spitzenextrembergsteiger war. Er war ein klassischer Bergsteiger, der sehr viel Selbstverständlichkeit in sich trug. Typisch neuseeländisch."

    In den folgenden drei Jahrzehnten wurde der Everest von Spitzenbergsteigern über alle Flanken und Grate und zu allen Jahreszeiten bestieg. Messner schrieb Geschichte, als ihm 1978 mit dem Österreicher Peter Habeler die erste Besteigung ohne Atemmaske und 1980 der erste Solo-Aufstieg gelang. Nach den Pionieren kamen die Massen. Seit über 25 Jahren kann der höchste Berg der Erde aus dem Katalog gebucht werden, bis zum Gipfel liegen Fixseile.
    "Es ist besser vorbereitet als jeder Klettersteig in den Dolomiten. Im Grunde ist der Everest für jeden, der einen leichten Viertausender in den Alpen bestiegen hat, möglich, wenn der Weg präpariert ist."

    Das übernehmen Sherpas. Ende April gerieten einige von ihnen am Berg mit den Spitzenbergsteigern Ueli Steck aus der Schweiz und Simone Moro aus Italien in Streit. Ein wütender Mob griff die beiden im Hochlager mit Steinen an und bedrohte sie sogar mit dem Tod. Der Südtiroler Bergsteiger Hans Kammerlander:

    "Natürlich leisten die Sherpas eine große Arbeit am Everest, aber das sind an sich Manager geworden. Sie sind auch verdorben. Wenn sie dort Top-Alpinisten attackieren, das finde ich von Seiten der Sherpas natürlich unter der Gürtellinie, das finde ich sehr, sehr schwach."
    Mit Sherpa-Unterstützung erreichten auch in diesem Frühjahr wieder mehr als 500 Menschen den Gipfel, darunter ein 80 Jahre alter Japaner. Fast alle heutigen Everest-Besteiger tragen Atemmasken. Einige streifen sie schon beim Aufbruch auf 5300 Metern über – wie Ralf Dujmovits beobachtet hat, der einzige Deutsche, der auf allen 14 Achttausendern stand:

    "Die starten dann auf Basislagerhöhe mit künstlichem Sauerstoff, tragen dann auch nicht mal ihre Flaschen selbst, sondern die hat der Sherpa, der einen Meter vor ihnen vorausgeht, im Rucksack. Sie haben quasi dann Schlauchverbindung zum Sherpa, der vor ihnen hergeht. Und das ist natürlich etwas, das überhaupt nicht geht. Das hat mit Höhenbergsteigen auch im Ansatz nichts mehr zu tun."

    Streng genommen auch eine Form von Doping – neben dem herkömmlichen:

    "Es gibt ja Aussagen, dass am Everest das Doping sozusagen auf Universitätshöhe wäre im Verhältnis zum Kindergarten Tour de France. So weit gehe ich nicht, aber dort misst niemand, ob jemand gedopt ist. Wir wissen ja heute, dass es im normalen Sport vor allem die Laien sind, die dopen, um ein bisschen schneller zu sein als im Vorjahr oder schneller auf den Everest zu steigen als seine eigene Sekretärin."

    In einer langen Schlange steigen an den wenigen Gipfeltagen Hunderte von Bergsteigern aufwärts. Auch am höchsten Punkt ist jene Einsamkeit verflogen, die Bernd Kullmann bei seiner Besteigung 1978, übrigens mit einer Jeans unter der wattierten Überhose, noch erlebte:

    "Ich war damals völlig allein und einsam da oben im Sturm gestanden. Das war für mich ein wahnsinniges Erlebnis, völlig allein auf diesem total exponierten Punkt oben. Der Blick rüber ins damals noch verbotene Tibet. Weit unten andere Berge. Das war ein ganz anderes Erlebnis. Heute müssen sie anschlagen, bis sie überhaupt mal am Gipfel anschlagen können."

    Viele Spitzenbergsteiger machen inzwischen einen Bogen um den Everest. Der sei zwar immer noch ein schöner, anziehender Berg, findet die Österreicherin Gerlinde Kaltenbrunner, die als erste Frau alle Achttausender ohne Atemmaske bestieg:

    "Trotzdem würde ich in nächster Zeit nicht mehr zum Everest zurückkehren, nachdem ich voriges Jahr gleich nebenan am Nuptse unterwegs war und gesehen habe, was am Everest los war. Das hat mich wirklich schwer beschäftigt und hat mir eigentlich sehr, sehr wehgetan, zu sehen, was sich da tatsächlich abspielt. Das hat dieser Berg ganz bestimmt nicht verdient."

    Nach Meinung von Reinhold Messner lassen sich die Uhren am Everest 60 Jahre nach der Erstbesteigung nicht zurückdrehen:

    "Ich glaube, es ist zu spät. Der Everest ist inzwischen ein banaler Berg geworden."