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Der Musik treu

Der österreichische Dirigent Nikolas Harnoncourt wurde heute vor 80 Jahren in Berlin geboren. Er wuchs jedoch in Graz auf, spielte Cello bei den Symphonikern in Wien bevor er 1972 an der Mailänder Scala seine Dirigentenkarriere begann.

Von Dietmar Polaczek | 06.12.2009
    Vergleichsweise spät hatte Nikolaus Harnoncourt, am 6. Dezember 1929 in Berlin geboren, weltweiten Erfolg beim breiten Publikum. Er ist einer der ganz Großen unter den heutigen Dirigenten und sicherlich der ungewöhnlichste. Jahrzehntelang mehr den Spezialisten bekannt, wirkte er, zusammen mit seiner Frau Alice, bahnbrechend für eine neue Art musikalischer Werktreue. Nikolaus Harnoncourt, eigentlich Johannes Nicolaus Graf de la Fontaine und d'Harnoncourt-Unverzagt, wuchs in Graz auf. Ebenda hat er in diesem Sommer beim styriarte-Festival eine fulminante Aufführung von Gershwins "Porgy und Bess" dirigiert. Alles hätte man von ihm erwartet - das nicht. Seit einem halben Jahrhundert ist er ja abgestempelt als der Mann für Alte Musik: 1953 gründete er mit Gleichgesinnten in Wien das Ensemble Concentus Musicus. Eine Mitstreiterin, die Geigerin Alice Hoffelner, heiratete er im selben Jahr. 1958 trat man erstmals öffentlich auf. Seither gilt Harnoncourt als derjenige, der in Zürich zusammen mit Jean-Pierre Ponnelle Monteverdis Werk wiedererweckte und sämtliche Bach-Kantaten auf Platte einspielte. Den "Darmsaitenritter" nannten sie ihn ironisch.

    Aber historische Werktreue hieß für ihn nicht brave Langeweile.

    "Meine Erlebnisse als Cellist im Orchester haben ganz bestimmt meine Gestaltungsweise als Dirigent in späteren Jahren bestimmt. ... Ich will nicht, dass ein Musiker leidet, dass er Langeweile empfindet. Wenn das so ist, dann ist an mir etwas falsch."

    Bei ihm leiden die Musiker nicht. Als Cellist der Wiener Symphoniker hatte er gelernt, wie man einen Orchesterapparat mit seinen eingeschliffenen Gewohnheiten als Dirigent überzeugen muss:

    "Ich selbst saß immer als widerspenstiger Cellist im Orchester und hatte immer eine andere Vorstellung als der Dirigent. Also, ich habe ein großes Verständnis dafür, wenn die Musiker nicht gleich begeistert mitgehen mit dem, was ich will, sondern wenn sie zuerst überzeugt werden wollen."

    Überzeugungskraft hat er, kraft einer geradezu erbarmungslosen Genauigkeit des Quellenstudiums, der peniblen Analyse der Notentexte, profunder Kenntnis der Instrumentaltechnik und dank dem Charisma der Leidenschaft:

    "Die Leidenschaft ist ein Teil der historischen Genauigkeit. Ich glaube nicht, dass wirklich große Werke in der Musik der Leidenschaft entbehren können."

    Als Kind ging Nikolaus Harnoncourt in eine harte Schule. Er wuchs während des Weltkriegs auf, die Familie lebte karg, mochte sie auch vermögende Verwandte haben und mütterlicherseits von Erzherzog Johann von Habsburg abstammen, dem Ururgroßvater. Eine von Monika Mertl verfasste Biografie zeichnet minutiös Harnoncourts Werdegang nach. Er selber meldet sich in mehreren Büchern zu Wort, darunter der berühmten "Musik als Klangrede". Harnoncourt hat darin die barocke Rhetorik-Theorie wiederentdeckt und wendet sie, erweitert, auch auf spätere Musik an.

    "Ich habe den Begriff 'Klangrede' gar nicht erfunden, den gibt es. Der ist im 17. Jahrhundert ein durchaus bekannter Begriff."

    1968 verließ er die Symphoniker, um sich nur noch dem Spielen, Sammeln und Erforschen alter Instrumente zu widmen. Von 1973 an hielt er 20 Jahre lang am Salzburger Mozarteum seine überlaufenen Vorlesungen über "Theorie und Praxis der Alten Musik".

    1972 schlug seine Biografie einen Haken: mit einem ersten Dirigierauftrag von einem Opernhaus: Monteverdi an der Piccola Scala. Er wurde ein gefragter Dirigent. Gestern [am 05.12.2009] hat er im Theater an der Wien mit der Premiere von Haydns Oper "Il mondo della luna" schon wieder altes neues Land betreten. Inzwischen ist er längst auch zu Schubert, ja zur Spätromantik, zu Bartók vorgestoßen. Ein musikalischer Weltumsegler.

    "Mich interessiert das, was ich heute mache, das, was ich morgen mache, die Pläne für die Zukunft, auch für den Fall, dass sie dann aus Altersgründen irgendwie nicht mehr zustande kommen. Aber die Idee ist: Ich bin vorwärts gerichtet."