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Der Musiker als Hochleistungssportler

Er ist noch keine 30 Jahre alt und doch so etwas wie ein Drum King der neuen Musik: der Multipercussionist Martin Grubinger. Hinter seiner jugendlichen Leichtigkeit zeigt sich der Wille, die musikalische Landschaft umzukrempeln. Er spielt wie ein Teufel und immer mit vollem Körpereinsatz.

Martin Grubinger im Gespräch mit Franziska Schiller |
    Martin Grubinger: Ja. Schlagzeug und Körper, das ist eins. Das ist das ist ein Instrument, das man, wenn irgendwie möglich, nicht über den Kopf spielen sollte, sondern immer über das tiefste Innere: ein Instrument, das voll von Emotionen ist. Das Allererste, was wir erleben, ist der Herzschlag der Mutter. Das ist purer Rhythmus. Es gibt ja Leute, die sagen immer, na ich habe kein Rhythmusgefühl. Schwachsinn. Jeder hat Rhythmusgefühl. Es muss nur zutage gefördert werden. Die körperliche Komponente gehört beim Schlagzeug einfach dazu. Es ist wie Tanzen. Und das ist wahrscheinlich der Grund, warum wir das alle machen. Denn wenn die Hände bluten und das Laktat in den Armen steht und alles wehtut, dann kann man ja nicht mehr sagen, dass das jetzt das totale Feeling ist. Aber dieser Flow-Zustand, das macht es aus. Man ist dieser Tunnelblick, man spürt man nicht mehr, dass im Saal 2000 Laute sitzen. Und dann nimmt man auch nicht mehr die Umgebung wahr, sondern nur noch sich, das Instrument und die Musik. Man spürt keine Anstrengung mehr. Es ist keine Nervosität da, es ist keine Anspannung da. Man hört nicht mal den eigenen Atem. Das passiert gar nicht immer. Man erreicht es auch nicht bei jedem Konzert. Aber wenn das passiert, dann ist das dieses Gefühl, von dem Fallschirmspringer, Base-Jumper, Skifahrer erzählen. Dieses Gefühl der völligen Schwerelosigkeit.

    Franziska Schiller: Und wenn man Sie auf der Bühne sieht, dann sieht man Sie allerdings Schwerstarbeit verrichten. Wie trainieren Sie?

    Grubinger: Die meiste Zeit verbringt man am Instrument acht, neun, zehn Stunden pro Tag. Wenn der Tag frei ist, dann übt man. Und dazu kommt noch, ich komme ja aus dem Salzkammergut aus der Nähe von Salzburg, was man da super machen kann. Skifahren, Radfahren, Schwimmen, Bergsteigen, Langlaufen, Fußball. Ich bin leidenschaftlicher Sportler.

    Schiller: Österreich meets Türkiye. Sie wohnen in Unterdorf in Thalgau. Ihre Frau Ferzan Önder ist Türkin, eine bekannte Pianistin. Wie gut sprechen Sie türkisch?

    Grubinger: Das ist ein schwieriges Thema für mich. Weil ich es versuche und einfach wirklich nicht vorwärtskomme. Eine so schwierige Sprache. Natürlich fehlt mir auch an der einen oder anderen Stelle die Zeit, mich wirklich einzuarbeiten. Aber ich will es lernen. Und wenn es das Letzte ist, was ich tue, ich werde diese Sprache, wenn es irgend möglich ist, erlernen. Es ist eine wunderschöne Sprache, ein tolles Land, ich liebe Istanbul, ich liebe die Menschen dort. Es ist eine aufregende Stadt, eine europäische Stadt, die aber ganz klar auch beeinflusst ist von regionalen Gegebenheiten. Und in einer Zeit, wo wir immer noch diskutieren, ob die Türkei Mitglied in der EU werden sollte und unser Verhältnis immer wieder auch mal gespannt ist, möchte ich sagen, dass das ein tolles Land mit tollen Menschen ist. Und dass es eine Bereicherung für uns in Europa wäre, wenn die Türkei Mitglied in der Union werden würde. Politisch wie auch kulturell. Und dass wir uns unbedingt um dieses Land bemühen sollten. Weil es einfach unglaublich viel Potenzial hat, große Kreativität, junge Menschen, die bereit sind, nach Europa zu gehen und ihr Wissen und ihre Überzeugungen einzubringen. Und: Ich liebe die Türkei.

    Schiller: Welche Perspektive hat eigentlich Ihre Frau aus ihrem Hintergrund in Ihr Leben einbringen können?

    Grubinger: Es ist ja so, dass die türkische Musiktradition etwas ganz Besonderes ist. Und natürlich auch die Perkussionstradition. Es gibt dort Tarabuca-Spieler, und das muss man einfach erleben und ich kann nur jedem empfehlen, auf Youtube mal den Namen "Onur Il" einzugeben. Dieser junge Typ ist so in meinem Alter, und der macht auf der Tarabuca Sachen, das ist schlicht und einfach unglaublich. Und, ja, man kennt ja die Türkei, und das ist auch ein Problem, nur aus den Nachrichten und vielleicht aus dem Urlaub, wenn man mal dort war. Aber die echte, die wahre Türkei, die lernen wir, wenn man nicht einen direkten Bezug hat zu Türken, nicht so richtig kennen oder habe ich nicht kennengelernt.

    Schiller: Politiker - wäre das eine Alternative für Sie?

    Grubinger: Eigentlich nicht. Obwohl ich so sehr an Politik und gesellschaftspolitischen Dingen interessiert bin, aber eigentlich ist das auch eine Schwierigkeit. Ich glaube, ich bin aus diesem Holz auch nicht geschnitzt. Ich bin viel zu emotional, viel zu wenig taktisch denkend. Und außerdem denke ich, dass die gesellschaftlichen Strukturen aufbrechen und dass sich Allianzen bilden aus Überzeugungen. Wenn man jetzt den Atomausstieg sieht, die schwarz-gelbe Regierung ist in Wahrheit getrieben von der gesellschaftlichen Überzeugung, denn eine Regierung, die letztes Jahr den Atomausstieg verlängert hat und jetzt plötzlich auf Tabula rasa macht, musste das nur deshalb tun, weil die Bevölkerung er schlicht und einfach einfordert. Das finde ich einfach fantastisch, dass diese gesellschaftliche Überzeugung, aus dieser Kernenergie auszusteigen, so stark ist, dass man parlamentarische Mehrheiten kippen kann oder überzeugen kann, das zu machen; weil natürlich bei beiden Parteien jedem klar ist, dass man mit diesem Ergebnis, wie es vorher war, nicht in die Bundestagswahl gehen konnte.

    Schiller: Sie haben am Mozarteum in Salzburg studiert. Der Durchbruch ist Ihnen gelungen mit einem Projekt, das es vorher noch nicht gab. Ein Percussionmarathon. Das war 2006 im Saal des Wiener Musikvereins. Acht Konzerte in vier Stunden. 600.000 Noten - jede Note, eine Bewegung, alles auswendig. Viel sagten damals: Das ist unmöglich. Wie sind Sie damit umgegangen?

    Grubinger: Das war eine besondere Herausforderung.

    Schiller: Die Sie sich selbst gestellt haben.

    Grubinger: Weil es einfach darum ging, herauszufinden, was ist eigentlich möglich. Und es war auch ein Signal. Nämlich, dass es immer noch Veranstalter, Orchestermanager, Dirigenten gibt, die der Meinung sind, zeitgenössische Musik ist nur etwas für eine Randgruppe. Zeitgenössische Musik, das macht man maximal, um politisch korrekt zu sein, um so etwas halt mal im Programm zu haben. Aber man macht es nicht aus Überzeugung. Und wir sind in den Saal gegangen, der weltweit die Tradition der klassischen Musik verkörpert. Jeder von uns kennt diesen Saal, wo das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker jedes Jahr am ersten Jänner übertragen wird: der goldene Saal des Musikvereins. Und es war ausverkauft, der Saal war voll. Und dann sind die Leute gekommen und haben gesagt: Du wirst sehen, nach zwei Stunden gehen die alle Abendessen. Das will dann kein Mensch mehr hören. Und ich sagte: Nein, ich bin ganz sicher, dass wir mit diesen unterschiedlichsten Werken mit diesen unterschiedlichen Facetten und Richtungen, mit ganz unterschiedlichen Instrumenten, das wird die Leute fesseln können, dass wir sie für dieses Projekt begeistern können. Und es war das erste Mal, dass sich für eine breite Öffentlichkeit gezeigt hat, dass dieses Instrument in der Lage ist, Dinge zu tun, die andere Instrumente vielleicht nicht können. Nämlich zeitgenössische Musik einem breiten Publikum näherbringen. Diese vielen konservativen Geister, die immer noch sagen: Alles muss so sein wie zu Karajans Zeiten, die glaube ich haben zum ersten Mal gesehen, dass sich die Zeiten ändern, und dass ein neues Publikum in den Konzertsaal kommen will. Dass junge Leute kommen, Großeltern mit ihren Enkeln kommen, und stellen fest, dass sie zwar im Alter 60 Jahre auseinander sind, aber hier beim Schlagzeug die gleichen Interessen teilen. Und all denen, die immer noch glauben, Schlagzeug ist ein Instrument, das den Durchbruch nicht schaffen wird, sei gesagt: Die Welle rollt bereits. Es ist ein großes Publikum mit vielen jungen Leuten im Hintergrund, die dieses Instrument hören wollen. Das Schlagzeug wird aus dem Konzertsaal nicht mehr zu verbannen sein. Wir haben uns festgesetzt und wir haben fest vor, für immer zu bleiben.

    Schiller: Wieso sind Sie nicht Rockmusiker geworden?

    Grubinger: Ja wäre ich total gerne. Ich hab mit vier Jahren Schlagzeug spielen begonnen. Die ersten Jahre habe ich nur Drumset gespielt. Die ganzen Play-Alongs, die hatten wir zuhause. Also ich habe mit dem Drum-Set immer zu Led Zeppelin gespielt, zu Blues Brothers, zu Genesis, Police, Bon Jovi, all die Sachen. Und mir hat das mächtig Spaß gemacht, aber ich bin halt ein Österreicher. Und wir in Österreich haben eine Tradition bei klassischer Musik, an der man kaum vorbeikommt. Ich hatte dann zu tun mit den Bruckner-Sinfonien, mit den Mahler-Sinfonien, hab die in den Jugendorchestern gespielt. Das hat mich einfach fasziniert. Das war eine Musik, der ich überhaupt nicht widerstehen konnte. Und dann war die Entscheidung mit elf, zwölf Jahren: Geht man in die Richtung Drumset oder in die klassische Schlagzeugrichtung. Und dann war es soweit: Bruckner hatte mich überzeugt.

    Links:

    Martin Grubinger an der Philharmonie Köln

    Onur Il auf Youtube