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Der Mythos im Bild

Sandro Botticelli gehört zu den berühmtesten Malern der Renaissance. Seine mythologischen Bilder locken Millionen Menschen jährlich in die Uffizien nach Florenz, darunter die schaumgeborene, nackt in einer Muschel stehende Venus als Inbegriff der Schönheit.

Von Anette Schneider | 17.05.2010
    "Sein Vater, Mariano Filipepi, ein florentinischer Bürger, erzog ihn mit Sorgfalt und ließ ihn in allen Dingen unterrichten, die man Kinder lernen lässt, ehe sie einem Berufe bestimmt werden", "

    schrieb Giorgio Vasari, Zeitgenosse und Künstlerbiograf, über Botticelli.

    " "Obwohl nun der Knabe alles, was er wollte, leicht begriff, war er doch stets unruhig und fand an keinem Unterricht Gefallen, weder am Lesen noch am Schreiben noch Rechnen, sodass der Vater, unwillig über diesen absonderlichen Sinn, ihn aus Verzweiflung für das Goldarbeitergewerbe bestimmte."

    Wenig später begann Sandro Botticelli, der 1444 oder 1445 in Florenz geboren wurde, eine Malerlehre bei Fra Filippo Lippi. Ab 1470 betrieb er eine eigene Werkstatt, deren religiöse Bilder ihn schnell bekannt machten. Auch die Medici wurden auf ihn aufmerksam: Viele Jahre lang arbeitete Botticelli für die Machthaber von Florenz, die er in zahlreichen Porträts verewigte.

    "Das Brustbild zeigt einen jungen Mann vor weiter Landschaft: Er trägt dunkle schulterlange Haare, eine rote Kappe, einen schlichten Umhang, hält in seinen Händen eine große Medaille mit dem Bildnis Cosimo Medicis - und blickt den Betrachter direkt an."

    Damit revolutionierte Botticelli das Genre des Porträts: Hatte man bis dahin in Florenz die Herrscher unnahbar im Profil gezeigt, wendete Botticelli sie nun dem Publikum zu und verlieh ihnen individuelle Gesichtszüge.

    Auch seine Frauenporträts waren neu, erklärt Andreas Schumacher, Kurator der großen Frankfurter Botticelli-Ausstellung. Der Maler zeigte die reichen Damen bodenständig, oft mit groben Gesichtszügen.

    "Es ist ein Schönheitsideal, dass in seiner Zeit selbst vielleicht sogar als etwas herb oder auch kühl wahrgenommen wurde. Und wir wissen aus einem zeitgenössischen Bericht, da geht es um einen Gesandten, der einen guten Künstler in Florenz suchen soll, der beschreibt Botticellis Art zu malen mit dem Begriff einer Aria Virile, das heißt mit einer männlichen Manier."

    Botticellis Neuerungen entsprachen dem Interesse der Medici, die Humanisten und Künstler um sich versammelten, mit ihnen antike Schriften studierten und neue Lebensmodelle entwarfen. In dieser Atmosphäre entwickelte Botticelli auch das Genre des mythologischen Bildes, in dem er - ganz dem Geschmack seiner Auftraggeber folgend - antike Mythen aufgriff, vom Ideal der Liebe erzählte und zum Beispiel die Medici-Geliebte Simonetta Vespucci als idealschöne Nymphe verherrlichte.

    "Das Brustbild zeigt eine junge blasse Frau vor schwarzem Hintergrund: Die dicken Haarflechten sind mit Perlen und roten Bändern geschmückt. Unter ihrem zarten weißen Gewand blitzt ein Brustpanzer auf. Er macht die Schöne kenntlich als Allegorie der Festkultur und Dichtkunst."

    Auf anderen Bildern inszenierte Botticelli schmalgliedrige und elegant posierende Frauen als Minerva, die einen Kentauren zähmt. Als Personifizierung des Frühlings, umgeben von tanzenden Jungfrauen. Als schaumgeborene Venus, die in einer Muschel von Winden an Land gespült wird.

    "Ebenso wie die petrarkische Dichtkunst verknüpften diese Werke Motive des höfischen Liebesdiskurses und des aktuellen Festwesens mit den Figuren und Themen der antiken Mythologie", "

    schreibt Andreas Schumacher im Katalog zur Frankfurter Ausstellung. Sandro Botticelli, der das Porträt revolutionierte und das mythologische Bild erfand, starb am 17. Mai 1510 im Alter von 65 oder 66 Jahren. Vorher allerdings malte er noch mehrfach seine berühmte Venus, wie sie - nun allein und vor dunklem Bildgrund -, mit Händen und Haarflechten versucht, ihre Nacktheit zu verbergen.

    " "Wo diese Figur vor einem dunklen Grund aus dem gesamten Kontext herausgelöst ist, und damit auch nicht mehr eigentlich als die mythologische Figur der Venus zu erkennen ist, sondern eben wirklich bloß nur noch eine schöne Nackte ist."

    Während kaum ein Zeitgenosse Botticellis mythologische Bilder entschlüsseln konnte, war seine irdische Venus ausgesprochen beliebt. So berichtet Vasari von "einer ziemlichen Anzahl nackender Gestalten" Botticellis in den reichen Häusern der Stadt.

    " "Diese Bemerkungen lassen keinen Zweifel daran, wie selbstverständlich solche Gemälde von den Zeitgenossen als erotische Kunst und rein dekorative Augenfreude gelesen wurden", "

    betont Andreas Schumacher. Und das bedeutet, so der Kunsthistoriker:

    "Botticelli schrieb sich damit als Meister in der Kunstgeschichte ein, der der neuzeitlichen Malerei den erotischen weiblichen Akt als Thema schenkte."