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"Der Nahe Osten ist furchtbar für Christen"

Durch den Bürgerkrieg suchen ein paar hundert syrische Christen Zuflucht bei ihren Glaubensbrüdern in Klöstern in der Südosttürkei. In den Flüchtlingslagern wollen sie nicht bleiben, denn dort werden sie von Rebellen zum Kämpfen an die syrische Grenze zurückgeschick. Für einen Krieg, der nicht ihrer ist.

Von Susanne Güsten | 16.03.2013
    Gebetszeit im aramäischen Kloster Deyrulzafaran bei Mardin im Südosten der Türkei, doch die jüngsten Gäste hier kümmert das nicht. Unbeschwert tollen ein paar kleine Jungen im Klosterhof herum, während ihre Eltern, christliche Flüchtlinge aus Syrien, in den Gästezimmern des Klosters von ihrer Angst und Not erzählen. Eine syrische Mutter berichtet:

    Daheim in Syrien sei kürzlich ein Nachbarkind von Rebellen entführt worden, berichtet diese Mutter, eine Sportlehrerin aus al-Hasakah. Zwölf oder dreizehn Jahre alt sei das Kind gewesen, so alt wie der älteste ihrer drei Söhne. Weil sie fürchtete, dass ihre Kinder das gleiche Schicksal ereilen könnte, flüchtete sie mit ihrem Mann und den Kindern in die Türkei.

    Rebellen hätten ihn verschleppt und verprügelt, an den Armen aufgehängt und ausgeraubt, erzählt ein 20-jährige Syrer,- nur weil er Christ sei. Nur mit knapper Not sei er seinen Peinigern entkommen, sonst hätten sie ihn umgebracht.

    Die Gewalt gegen Christen eskaliere in al-Hasakah, der nordöstlichsten Provinz von Syrien, in der außer Kurden und Arabern auch hunderttausende aramäische Christen leben. Mehrere hundert von ihnen seien deshalb in den letzten Wochen über die Grenze in die Türkei gekommen, erzählt Pater Gabriel Akyüz, der Vize-Metropolit der aramäischen Kirche in Mardin:

    "In al-Hasakah wird zwar nicht heftig gekämpft, aber bewaffnete Banden dort entführen, rauben und begehen schweres Unrecht an unseren Leuten. Deshalb fliehen sie."

    Die syrischen Christen meiden die türkischen Auffanglagern an der Grenze und flüchten stattdessen in das nahe gelegene Hochplateau Tur Abdin, ein uraltes Christengebiet der Türkei, das die Städte Mardin und Midyat umschließt und mit zahlreichen Klöstern die historische Heimat der aramäischen Christenheit darstellt. Warum sich die syrischen Christen nur noch unter ihren Glaubensbrüdern sicher fühlten, erklärt Evgil Türker, der Vorsitzende des Verbandes aramäischer Vereine in der Türkei:

    "In den Flüchtlingslagern sitzen die Rebellen, die al-Nusra-Front und andere Banden, deshalb wollen die Christen dort nicht bleiben. Die Rebellen sammeln in den Lagern junge Männer ein und schicken sie zum Kämpfen über die Grenze zurück nach Syrien. Aber die Christen wollen nicht kämpfen, denn das ist nicht ihr Krieg."

    Schutz suchen die christlichen Flüchtlinge daher lieber bei ihren Glaubensbrüdern, den aramäischen Christen der Türkei, obwohl es auch von ihnen nicht mehr viele gibt. Von Hungersnöten, Krieg und Verfolgung vertrieben, sind die meisten aramäischen Christen im vergangenen Jahrhundert aus der Türkei ausgewandert. Nur wenige tausend Christen leben heute noch im Tur Abdin. Doch die bemühen sich nach Kräften, den Flüchtlingen zu helfen.

    Gottesdienst in der Mor-Barsaumo-Kirche in Midyat. Von hier aus koordiniert der Diakon Ayhan Gürkan die Hilfe für die christlichen Flüchtlinge, die außer in den Klöstern auch in vielen Privathäusern untergebracht sind und mit privaten Spenden unterstützt werden. Noch schaffe es die Gemeinde aus eigener Kraft den Flüchtlingen zu helfen, sagt der Diakon. Gürkan:

    "Ein paar hundert Flüchtlinge, vielleicht sogar bis zu Tausend, das können wir stemmen. Aber Gott steh uns bei, wenn die Rebellen al-Hasakah einnehmen. Dann werden Tausende Christen fliehen, weit mehr als wir ernähren können."
    Noch wird die nordsyrische Provinz al-Hasakah von den Kurden gehalten, die sie sowohl gegen die Truppen des Assad-Regimes verteidigen als auch gegen die arabischen Rebellen der Freien Syrischen Armee. Vor diesen arabischen Milizen und insbesondere vor den radikal-islamistischen Gruppen unter ihnen, haben die syrischen Christen ganz besonders Angst, mehr noch als vor den Kurden oder dem Assad-Regime. Sollte die Provinz an die arabischen Milizen fallen, würden aus Angst vor Verfolgung alle Christen fliehen, sagt ein Flüchtling namens Gabriel, der im Kloster Mor Hobil bei Midyat untergekommen ist:

    "Wenn das passiert, bleiben keine Christen mehr dort. Denn dann wird es dort noch viel, viel, viel gefährlicher für uns."

    Angespannt verfolgen die Christen in ihrem türkischen Asyl deshalb die Kämpfe zwischen Kurden und Arabermilizen um die syrische Stadt Ras al-Ain. Diese sei zugleich das Tor zur Provinz al-Hasakah, erklärt Yusuf Türker, der Leiter des Klosters:
    "Wenn Ras al-Ain fällt, dann stoppt die Rebellen bis Qamishli nichts mehr und dann fällt die ganze Provinz an sie. Wenn das geschieht, kommen 40.000 oder 50.000 Christen rüber."

    Einen solchen Ansturm könnten die türkischen Christen im Tur Abdin nicht bewältigen - es wären gut zehnmal mehr Flüchtlinge, als es hier noch christliche Einwohner gibt. Der Verband der aramäischen Vereine in der Türkei habe sich deshalb an die türkische Regierung gewandt, erzählt der Vorsitzende Evgil Türker:

    "Das Amt des Ministerpräsidenten hat uns nicht nur erlaubt, die christlichen Flüchtlinge aus den Lagern zu holen und privat unterzubringen. Der Staat hat uns auch finanzielle Unterstützung zugesagt. Und wenn es eine große Flüchtlingswelle von Christen geben sollte, dann wird der türkische Staat hier ein eigenes Lager für die Christen aufbauen. Das hat uns die Regierung versprochen."

    Sogar über eine mögliche Einbürgerung syrischer Christen hat der Verband mit der türkischen Regierung gesprochen, sollte Syrien dauerhaft in die Hände radikal-islamistischer Kräfte fallen. Doch die wenigsten christlichen Flüchtlinge aus Syrien sind an einem dauerhaften Aufenthalt in der Türkei interessiert. Die meisten wollen viel weiter fort, nach Europa oder Amerika. Nur weg aus dieser Weltregion, sagt der Flüchtling Hannibal:


    "Der Nahe Osten ist furchtbar für Christen, wir führen hier ein elendes Leben und haben nur Schwierigkeiten. Wir wollen nichts mehr, als in eine andere Weltregion auszuwandern."

    Wie schwierig, das Leben für Christen in der Region sein kann, wissen auch die türkischen Christen im Tur Abdin nur allzu gut - schließlich sind viele von ihnen selbst erst in den letzten Jahren aus ihrem europäischen Exil in die Türkei zurückgekehrt. Unterstützen wollen sie den Wunsch der syrischen Christen trotzdem nicht, erklärt Evgil Türker vom Aramäerverband:

    "Die meisten Flüchtlinge wollen weg von hier und weiter nach Europa. Aber dabei helfen wir ihnen nicht, das sage ich ganz offen und spreche dabei im Namen der aramäischen Föderation. Denn hier im Tur Abdin gibt es kaum noch Christen und auch aus dem Irak sind hunderttausende Christen vertrieben worden. Wenn jetzt auch noch die Christen aus Syrien fliehen, dann kann von einer aramäischen Christenheit im Nahen Osten keine Rede mehr sein."

    Die europäischen Staaten sollten den fliehenden Christen deshalb keine Visa für die Ausreise nach Europa ausstellen, fordert Türker:

    "Wir haben mit den europäischen Botschaften in Ankara gesprochen und mit dem US-Konsulat in Adana. Wir haben ihnen gesagt, dass wir nicht wollen, dass die Christen ins Ausland gehen - wir wollen, dass sie hier bleiben. Wenn die Europäer ihnen helfen wollen, dann sollen sie ihnen hier helfen, dann sollen sie uns dabei unterstützen."

    Eine ungewöhnliche Forderung ist das, die auch in der aramäischen Diaspora nicht unumstritten ist. Anders gehe es aber nicht, meint Türker:

    "Wenn wir Christen immer nur fliehen, wohin kommen wir dann? Wir müssen endlich für unsere Heimat einstehen, koste es was es wolle."