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Der Napoleon der Musik

Er schrieb in fünfzehn Jahren vierzig Opern und galt als "Napoleon der Musik". Bereits mit 37 Jahren setzte er sich zur Ruhe und widmete sich fortan seinen Freunden, dem Feiern und Schlemmen. Nicht nur den Liebhabern des Koloraturgesangs ist er daher ein Begriff sondern auch den Gourmets: Gioachino Rossini. Vor 140 Jahren starb er in Passy bei Paris.

Von Georg Friedrich Kühn | 13.11.2008
    Es ist wohl das bizarrste und in seiner Absurdität zugleich typischste Werk Rossinis: "Il viaggio a Reims". Auf dieser "Reise nach Reims" sind zwar viele unterwegs, aber keiner kommt an. Es fehlen die Pferde.

    Eine Gruppe illustrer Grafen, Barone samt Ehefrauen - oder auch nicht -, trifft sich in einem Hotel. Man will zur Krönung des neuen Königs nach Reims. Aber da es kein Fortkommen gibt, feiert man hier ein feucht-fröhliches Fest.

    Das Werk entstand 1825 zur Krönung des neuen französischen Königs Karl. Rossini war aus Italien nach Paris gewechselt. An der Grand Opéra konnte er mit 14 Gesangs-Stars ganz aus dem Vollen schöpfen. Es war ein Event.

    Danach machte Rossini mit dem Material, was er immer machte in seiner - heute würden wir sagen - "factory": Er arbeitete es um für eine neue Oper, den "Grafen Ory", eine nicht minder bizarre Klostergeschichte.

    Geboren wurde Gioachino Rossini in Pesaro am Schalttag des Jahres 1792. Der Vater war Hornist, die Mutter Sängerin. Durch den Einmarsch Napoleons verlor der Vater die Arbeit. Das Getümmel der Revolution hat Rossini stets beängstigt - man hört es wetterleuchtend in seiner Musik.

    In Bologna bekam er den ersten Musik-Unterricht, interessierte sich vor allem für deutsche Musik: Haydns "Schöpfung", Mozarts "Figaro" und die "Zauberflöte". Mit zwölf gab er sein erstes Konzert.

    Nach erfolgreichen kleinen Opere Buffe feierte er 1813 in Venedig mit "Tancredi" den ersten Triumph. Es folgten "Die Italienerin in Algier", "Der Türke in Italien", "Der Barbier von Sevilla" - bis heute seine meistgespielte Oper - und "Cenerentola" ("Aschenbrödel") als letzte große Buffa.

    Rossini galt nun als der "Napoleon der Musik". Er wurde vergöttert und gehasst. Man war elektrisiert von seinen rasanten Tempi, den rauschenden Crescendi.

    Neapel, das durch angeschlossenen Casino-Betrieb reichste Opernhaus, verpflichtete ihn als Hauskomponisten. In Neapel lernte er seine erste Frau Isabella Colbran kennen, der er die Primadonnen-Rollen auf den Leib schneiderte.

    Aber es war nicht nur der leichte Sinn, der dem Schnellschreiber die Feder führte. Er konnte in dem von fremden Besatzern zerrissenen Italien auch seine satirischen Nadeln setzen. Oder wie Heinrich Heine notierte:

    "Dem armen geknechteten Italien ist ja das Sprechen verboten, und es darf nur durch Musik seine Gefühle kund geben. All sein Groll gegen fremde Herrschaft, seine Begeisterung für die Freiheit, sein Lechzen nach Hülfe verkappt sich in jene Melodien, die von grotesker Lebenstrunkenheit zu elegischer Weichheit herab gleiten."

    Dass Rossini an der Pariser Oper mit seinen Musikdramen "Mosé" oder "Guillaume Tell" weniger reüssierte, bedauerten schon die Zeitgenossen.

    1829 zog er sich zurück, komponierte nur noch für das Archiv: Satirisches, wie über das gefährliche Bahnfahren, oder Geistliches. Er kochte, schlemmte, plauderte. "Tournedos à la Rossini", Rinderfilets mit Gänseleber und Trüffeln, sind sein kulinarisches Vermächtnis. Über seine ewigen Depressionen, die Gonorrhö, die Magen- und Darm-Beschwerden, half es nicht hinweg.

    An einem Freitag, dem 13., im November 1868, starb der stets Abergläubische. Mit einem Staatsakt wurde er auf dem Friedhof Père-Lachaise beigesetzt, seine Asche später nach Italien übergeführt. Einen Teil seines Vermögens hatte Rossini zur Gründung des heute sein Werk mit immer neuen Fundstücken feiernden Konservatoriums in Pesaro gestiftet, einen anderen Teil für ein Musiker-Altenheim.

    Mit Rossini neigte sich eine Epoche zu Ende, die des dramatischen Koloratur-Gesangs. Gegenüber Wagner und seiner "Zukunftsmusik" blieb er skeptisch. Er studierte Bach und begeisterte sich an Mozart, über den er sagte:

    "Die Bewunderung meiner Jugend, die Verzweiflung meiner Reifejahre und der Trost meiner alten Tage."