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Der Natur nachempfunden

Technik. - Bei der Entwicklung neuer Materialien stehen erst einmal deren Eigenschaften an erster Stelle. Erst dann kommen Gesichtspunkte ins Spiel wie der Verbrauch von Ressourcen und Energie. Genau diese Themen stehen im Mittelpunkt eines Kongresses von rund 80 Materialwissenschaftlern an der Uni Augsburg. Im Laufe ihrer Tagung, die noch bis morgen dauert, wollen die Teilnehmer sogar Leitlinien für die Nachhaltigkeit bei der Entwicklung neuer Materialien verabschieden. Was damit gemeint ist, hat sich HN an einem Beispiel erklären lassen.

    Von Hellmuth Nordwig

    Keramik wird für Hightech-Anwendungen immer wichtiger. Um sie herzustellen, verwenden die Forscher ein anorganisches Pulver, zum Beispiel fein gemahlenes Siliziumcarbid. Dieses Pulver wird in die richtige Form gepresst und anschließend gesintert, also bei hoher Temperatur verdichtet. Mahlen und Sintern sind ziemlich energieaufwändige Prozesse, und entsprechend teuer sind die Hochleistungskeramiken. Nun gibt es ein neues Verfahren, das mit weniger Energie auskommt, und das noch dazu einen nachwachsenden Rohstoff als Ausgangsmaterial verwendet: nämlich Holz. Zum Beispiel Holzabfälle, die auf dem Bau oder in Sägemühlen anfallen, sagt Mrityunjay Singh von der Keramik-Forschungsgruppe der NASA in Cleveland, Ohio.

    Wir können auch Sägemehl verwenden, dessen Entsorgung für die Sägemühlen ein großes Problem darstellt. Es wird mit Bindemitteln versetzt und in die gewünschte Form des späteren Werkstücks gebracht. Dann kann man es wie Holz pyrolysieren und daraus Keramik-Materialien herstellen.

    Die erwähnte Pyrolyse ist nichts anderes als Erhitzen ohne Sauerstoffzufuhr. Ein Prozess, der auch in jedem Kohlenmeiler abläuft: Das Holz verbrennt dabei nicht, sondern es entsteht Holzkohle, chemisch gesehen nichts anderes als Kohlenstoff. Silizium, der andere Bestandteil der späteren Siliziumcarbid-Keramik, kommt im nächsten Schritt in den Ofen. Singh:

    Man kann geschmolzenes Silizium verwenden, mit dem es weltweit schon Jahrzehnte lange Erfahrung gibt. Für die Reaktion von Kohle zu Keramik kann man auch gasförmiges Silizium oder Silizium-Monoxid-Gas benutzen. Außerdem gelingt die Umsetzung auch mit siliziumhaltigen Polymeren.

    An Stelle von Siliziumverbindungen können die Forscher auch geschmolzene Salze verwenden, zum Beispiel bestimmte Oxide, und so praktisch die gesamte Materialpalette der Hochleistungskeramiken herstellen. Das Besondere dabei: Während des ganzen Prozesses bleibt die ursprüngliche Struktur des Holzes erhalten. Das Ergebnis ist eine Keramik nach dem Vorbild natürlicher Materialien. Singh:

    Wenn Sie sich Knochen anschauen, Muschelschalen oder Schneckenhäuser - das sind alles Strukturen, bei denen sich die einzelnen Bestandteile mit minimalem Energieaufwand von selbst zusammenlagern. Vielfach haben diese Materialien mehrere sehr günstige Eigenschaften. Holz ist dafür ein sehr gutes Beispiel: So werden Bäume im Gebirge oder am Meer häufig durch den Wind zu einer Seite gebogen. Holz ist also sehr widerstandsfähig gegen seitlich wirkende Kräfte. Zugleich weist Holz winzigste Poren auf. Und für solche porösen Materialien gibt es heute eine Reihe von Anwendungen.

    Der aus Indien stammende Forscher denkt zum Beispiel an Trinkwasserfilter. Wissenschaftler an der Universität Erlangen erproben ein leichtes, poröses Keramikmaterial aus Kiefernholz wegen seiner großen Oberfläche für katalytische Anwendungen in der chemischen Industrie. Und Mrityunjay Singhs Arbeitgeber, die NASA, hat Hitze-Schutzschilde für Raumfahrzeuge im Visier:

    Unser Interesse gilt der Raumfahrt. Wir wollen auch Leichtbauteile für Raumfahrzeuge entwickeln, denn diese Materialien behalten ihre Belastbarkeit bis zu sehr hohen Temperaturen. Die Keramiken bestehen zwar fast zur Hälfte aus Poren, doch ihre mechanischen Eigenschaften entsprechen denen des dicht gepackten Materials, das man kaufen kann. Das liegt an den Faserstrukturen im Holz.

    In wenigen Jahren, so schätzt Singh, könnten die ersten Keramikprodukte aus dem nachwachsenden Rohstoff Holz auf den Markt kommen. Eine neue Materialklasse, deren Potenzial noch längst nicht absehbar ist.