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Der neue alte David Bowie

Neu ist nichts - aber nichts klingt alt auf der neuen Platte von David Bowie. Er singt sehnsüchtig, aggressiv und eisig, tritt mal elegant auf, mal verstört und mal leicht irrsinnig. Entstanden sind dabei hervorragende Songs.

Von Bernd Lechler | 08.03.2013
    Wie perfekt er diesen Coup gelandet hat! Die überraschende Single, die - für ein Comeback - so überraschend introvertiert klang; die überraschende Verkündigung eines baldigen Albums; das überraschende Stream-Angebot eine Woche vor Veröffentlichung: Vielleicht ist es die Überraschung an sich, für die die Welt offenbar so dankbar ist, dass David Bowies neues Album seit Tagen mit einer Ehrfurcht gefeiert wird, als käme seine Stimme statt aus Lautsprechern aus einem brennenden Dornbusch. Denn makellos ist "The Next Day" nun nicht. Es gibt mäßig geratene Songs darauf; es könnte kürzer sein; die Arrangements sind so dicht, dass man zwischendurch lüften möchte; und es ist keineswegs avantgardistisch oder wegweisend. Aber vielleicht ja auf die exakt richtige Weise retro.

    Bei der wunderbar zarten Vorabballade "Where Are We Now" (mit Erinnerungen an Bowies Zeit im Berlin der 70er-Jahre) klingt seine Stimme ja schon nach dem 66-Jährigen, der er nun mal ist. Wollen wir ihn alt und weise? Oder doch jung und wild, mit Glam und Schminke?

    Im Grunde stellt er sich die Altersfrage selbst und lässt die Antwort offen. Im Video zur zweiten Single "The Stars Are Out Tonight" sucht ein gefährlich jugendlicher Ziggy Stardust den alten Bowie und dessen von Tilda Swinton gespielte Gattin heim und verführt sie zu Lärm und Exzess. Das Cover verwendet in einem faszinierenden Kunstgriff die Hülle von "Heroes" anno 1977 und verdeckt die ikonische Pose des experimentellen Berlin-Bowie mit einem weißen Rechteck, in dem der neue Albumtitel steht. Und auch die Musik ist so eine "Übermalung": Neues vor dem Hintergrund des Alten.

    Es sind auch die Mittel von früher, wenngleich ohne die aufregenden Synthesizer, damals von Brian Eno. Rockschlagzeug, viele Gitarren, dazwischen schwelgt auch mal eine Geige, hupt sein altes Saxophon, aber ein Update ist es eben nicht: kein Neosoul, kein Dubstep; von den Stilmitteln der Jungen lässt Bowie die Finger und zitiert stattdessen etwa Hank Marvins Gitarre von 1960, die er in einen torkelnden Chor verwandelt. Sich selbst zitiert er insgesamt sowieso, und den Beat etwa im Outro von "You Feel So Lonely You Could Die", den kennt der geneigte Fan ganz buchstäblich von 1972.

    Auch wenn die Wagnisse von damals heute keine mehr sind - mit seiner Stimme probiert Bowie immer noch einiges. Er singt sehnsüchtig, aggressiv und eisig, tritt mal elegant auf, mal verstört und mal leicht irrsinnig - eben wie man ihn kennt und bewundert. Er entwirft trostlose Zukunftsszenarien, spielt einen pöbelnden Youngster mit Kricketschläger, oder ahnt in "The Stars Are Out Tonight", dass Brad Pitt oder Kate Moss hinter ihren getönten Limousinenscheiben in Wahrheit Außerirdische sind.

    Am Ende ist tatsächlich eine Menge geboten. David Bowie hat Kraft und Stil und größtenteils eben doch ganz hervorragende Songs, die ganz und gar nach Bowie klingen. Gäbe er morgen ein Konzert, man wünschte sich außer den Hits ernsthaft auch ein paar dieser neuen Nummern. Welcher andere Altstar bekommt das schon hin?