Archiv


Der neue Duft aus Bitterfeld

Am Industriestandort Bitterfeld riecht heute nichts mehr nach Chemieabgasen oder Braunkohle: Dafür liefert Militz Aromatics seine Düfte weltweit - sie finden sich im Waschmittel oder im Parfum. Das Unternehmen misst sich auch mit Indien und China.

Von Eva Firzlaff |
    Man hat die Nase gerümpft über Bitterfeld. Über ein ganzes Jahrhundert hinweg war die Stadt nördlich von Leipzig Inbegriff für stinkende Chemieabgase. Schon um 1900 qualmten die Schlote gelb und grün, damals galt das mitteldeutsche Industrierevier, zu dem Bitterfeld gehört, als ein modernes. In der DDR wurde dann auf Verschleiß gefahren, Umweltschutz ganz klein geschrieben und Bitterfeld zum Synonym für schwere Umweltzerstörung.

    Wer heutzutage nach Bitterfeld kommt, erkennt es nicht wieder. Nichts stinkt mehr, frühere Braunkohletagebaue wurden zu Seen. Und wer einen Parfumflacon öffnet oder auch nur eine Spülmittelflasche aufdreht, hat gute Chancen, einen Hauch Bitterfeld zu erschnuppern. Die Duftmarken setzt die Firma Miltitz-Aromatics, deren Duftstoffe um die ganze Welt gehen und sogar im legendären Chanel No. 5 stecken.

    "Da lag hier noch der Schwefel auf den Gleisen rum, hier waren Gleise, das hat man später alles weg gemacht, also hier war nichts. Das war wirklich Geröllwüste","

    erinnert sich die Meisterin Claudia Fortuna, während sie auf neue Chemikalien-Lager zeigt, in denen sich blaue Fässer stapeln. Die blitzsauberen Reaktoren sind ein paar Nummern kleiner als die des benachbarten großen Chemie-Produzenten. Lüfter brummen und es riecht an jeder Ecke anders, nicht aufdringlich und erst recht kein Gestank.

    ""Wir stellen hier verschiedene Produkte her, die sind aber so hoch konzentriert, und sie können selten den Geruch, den wir herstellen, mit einem End-Parfum oder so vergleichen. Da bedarf es dann tatsächlich der Kreativität der Parfumeure und der Mischung aus verschiedenen Substanzen."

    Ein schlichter dunkelroter Klinker-Bau aus den 30er-Jahren beherbergt Verwaltung und Labore. Im Treppenhaus fühlt sich ein riesiger Hibiskus-Busch augenscheinlich pudelwohl.

    Miltitz-Aromatics hat zurzeit zwei Geschäftsführer: Sohn Stefan und Vater Peter Müller. Der Generationswechsel steht an. Als der Chemiker Peter Müller und seine Mitgesellschafter vor 20 Jahren den Betrieb gründeten, hatten sie sich bewusst entschieden, nur Zulieferer zu sein und nicht selbst Parfum zu kreieren:

    "Weil dieses Feld für den Start einer neuen Firma sehr kompliziert ist. Man sagt heute ungefähr, von 100 neuen Duftkreationen sind drei erfolgreich. Und mit den drei muss man natürlich 97 Misserfolge bezahlen. Und wenn man neu startet mit einer Firma und nur Misserfolge hat, ist das Geld schnell weg."

    Die meisten Duftstoffe liefert Miltitz an Hersteller von Wasch- und Spülmitteln und an die Kosmetikindustrie. Jahresumsatz gut zehn Millionen Euro. Den Einstieg schaffte die Firma vor 20 Jahren mit gerade fünf Mitarbeitern und dem ersten Auftrag aus Südfrankreich. Peter Müller:

    "Das war ein Betrieb, der mit einem Abwasserproblem nicht klar kam. Die mussten ihr Abwasser ständig in großen Tankzügen nach Marseille fahren, fast täglich. Und wir konnten damit punkten, dass wir sagten: Ja, wir haben in Bitterfeld eine große neue Abwasserkläranlage, da ist das für uns kein Problem."

    Nach einem uralten französischen Traditionsrezept sollte Veilchen-Duft hergestellt werden. Doch weil die Gründungsväter aus der Forschung kamen, wird seit Anbeginn nicht nur produziert, sondern auch geforscht. Wie geht es billiger und umweltfreundlicher? Peter Müller:

    "Mit diesem neuen Verfahren haben wir fast vier Stufen einsparen können, haben auch die Abwasserlast entscheidend reduzieren können. Und konnten das dann auch zum Patent anmelden."

    Mittlerweile beschäftigt Miltitz-Aromatics 50 Mitarbeiter, zwölf allein in Forschung und Entwicklung. Die Chemiker und Chemieingenieurinnen sehen sich in der Tradition der Firma Schimmel in Miltitz. Die hat schon vor 1900 begonnen, die Geheimnisse der natürlichen Düfte zu entschlüsseln und synthetischen Ersatz zu finden. Peter Müller:

    "Moschus-Riechstoff ist in der Parfumerie einer der wesentlichen Rohstoffe, der bis dahin nur aus tierischen Produkten gewonnen werden konnte. Pottwal, Tibetkatzen - immer musste man die Tiere töten, um die Drüsensekrete zu gewinnen. Man musste Wege finden, dass man das auf andere Weise produzieren kann. Und natürlich auch viel preiswerter."

    Ein aktuelles Beispiel ist Ambra, begehrt, aber selten und teuer. Peter Müller:

    "Ambra ist ein Riechstoff, der schwimmt als großer schwarzer Klumpen auf dem Meer, ein krankhaftes Ausscheidungsprodukt des Pottwals, wird von Fischern als Beifang gewonnen, aber äußerst selten. Und ist natürlich sehr teuer, das kann man mit Gold aufwiegen."

    Der synthetische Ersatz Hydroxyambran musste bislang zugekauft werden. Mit einem eigenen Verfahren nun haben die Bitterfelder eine Nische besetzt und liefern in die ganze Welt. Stefan Müller:

    "Wir bedienen Nischen, wir halten uns zurück ganz bewusst von den ganz großen Produkten, weil wir mit den fünf Großen in der Branche nicht konkurrieren können, wenn es sich um Tonnagen von 1.000 Tonnen handelt. Das ist ganz einfach investiv bei uns nicht machbar. Und man will sich auch nicht mit ganz Großen anlegen als kleiner Mittelständler. Aber in diesen Nischen und insbesondere, wenn man schnell, flexibel und innovativ ist, wie wir es sind, kann man durchaus auch mit China und Indien mithalten."

    Ziel der Forschung bei Miltitz-Aromatics ist es nicht, neue Düfte zu erfinden. Nein, bekannte Substanzen sollen effektiver hergestellt, bekannte Verfahren optimiert werden: geringerer Energieverbrauch, höhere Ausbeute, teure Katalysatoren besser ausgenutzt oder sogar ersetzt. Stefan Müller:

    "Es ist Common Sense bei den Gesellschaftern, dass wir organisch wachsen wollen. Wir wollen uns auf diesen Standort Bitterfeld-Wolfen fokussieren. Wir wollen hier das ausbauen. Wir haben in der Pipeline unheimlich viele Forschungsprojekte, die kurz vor Marktreife sind. Und ich denke, für die nächsten fünf, sechs Jahre müssen wir uns um neue Produkte, neue Verfahren keine Gedanken machen."

    Um Wissenschaftlernachwuchs braucht sich der Betrieb nicht zu sorgen, der kommt von allein, aus renommierten Forschungseinrichtungen. Chemikanten dagegen - die Facharbeiter - werden ausgebildet. Wie Claudia Fortuna. Sie hatte schon als Auszubildende den Ehrgeiz, alle verschiedenen Produktionsanlagen der Firma zu beherrschen, was nicht jeder kann, sie aber schaffte. Schnell wurde sie zur Meisterschule geschickt und bald Produktionsleiterin:

    "Meine Arbeit fordert mich und fördert mich. Immer wieder aufs Neue. Ich bleib also nie stehen, das ist das, was ich so brauche. Macht mir Spaß. Ich komme gerne her."