Donnerstag, 02. Mai 2024

Archiv


Der neue Kurs der EZB

Die Europäische Zentralbank kauft im großen Stil Staatsanleihen europäischer Krisenländer auf. Damit hat sie ihre Politik 2011 deutlich geändert, insbesondere für Deutsche ist das ein Tabubruch.

Von Brigitte Scholtes | 30.12.2011
    Es war ein herausforderndes Jahr für die Europäische Zentralbank, eines, in dem sie nicht nur erhebliche Personalveränderungen erleben musste, sondern auch einen Wechsel in ihrer Politik. Und das eine hing mit dem anderen zusammen. Denn seitdem die EZB sich im Sommer dazu entschloss, wieder verstärkt Staatsanleihen der Euro-Peripherieländer zu kaufen, hat sie Unmut erregt. Etwa den von Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank:

    "Da war ein riesiger Druck auf der Europäischen Zentralbank, da einzuspringen. Sie hat sich leider dazu hinreißen lassen. De facto finanziert die Europäische Zentralbank Staatsausgaben mit der Notenpresse. Das muss man so ganz klar sagen. Und das ist natürlich für eine Zentralbank eine auf Dauer nicht durchhaltbare Situation. Das Vertrauen in die EZB ist sicherlich massiv zurückgegangen, gerade auch in Deutschland."

    Dieser Unmut zeigte sich auch darin, dass Axel Weber, zu Jahresbeginn noch Präsident der Deutschen Bundesbank, vorzeitig zurücktrat und damit auch die Chance aufgab, Jean-Claude Trichet an der Spitze der EZB zu beerben. Jürgen Stark, Chefvolkswirt der EZB, gibt zum Jahresende sein Amt auf – auch aus Unmut über den Kauf von Staatsanleihen. Dass man ihm vorwarf, er habe sich dem politischen Druck gebeugt, erzürnte Trichet. Er betonte immer wieder, die EZB treffe all ihre Entscheidungen in voller Unabhängigkeit. Und sie versuche, ihrer sehr schweren Verantwortung gerecht zu werden:

    "We have taken all our decisions in full independence, and we try to be up to our responsibilities, and they are very heavy, those responsibilities, very heavy.”"

    Diese Diskussion um die Berechtigung der Staatsanleihekäufe überschattete das Ende der achtjährigen Amtszeit des Franzosen.

    Zum November dann trat der Italiener Mario Draghi die Nachfolge Trichets an. Ihm sagten manche Kritiker nach, als Italiener werde er es mit der Preisstabilität nicht so genau nehmen. Doch auch, wenn Draghi direkt zu Beginns seiner Amtszeit, also im November und Dezember, den Hauptleitzins senkte auf nun ein Prozent, so tat er das wegen der sich verfestigenden Erwartung einer Rezession im Euroraum. Der Italiener aber lässt an der Unabhängigkeit der Zentralbank keinen Zweifel. Die EZB werde von niemandem gezwungen, sie bilde sich ihr eigenes Urteil, sie sei unabhängig:

    ""We are not forced by anybody, really. We are independent. We make up our own judgements, so that's it.”"

    Und noch widersteht er dem Druck, unbegrenzt Staatsanleihen der Schuldenstaten aufzukaufen:

    ""Es ist temporär, es ist begrenzt. Und es wird durch geldpolitische Überlegungen begründet. Und deshalb werden wir dieses Programm unter diesem Blickwinkel beurteilen. "

    Auch Jörg Krämer von der Commerzbank, der dem Amtsantritt Draghis eher skeptisch entgegengesehen hatte, meint nach den ersten Wochen:

    "Draghi führt die Pressegespräche nach den EZB-Sitzungen sehr straff, sehr fokussiert. Er hat eine klare Ansage gemacht und sich dagegen gewehrt, massiv Staatsanleihen aufzukaufen. Also, bisher kann man nichts sagen, aber man muss eben abwarten."

    Dass die EZB zum Jahresende den Banken eine halbe Billion Euro zum Zins von einem Prozent und das für drei Jahre zur Verfügung stellte, darf man jedoch nicht als Umwegfinanzierung der Staaten ansehen. Damit versuche die Notenbank nur, die Liquidität im Bankensystem zu erhalten, sagt Rolf Schneider, Volkswirt der Allianz:

    "Es kann keine Rede davon sein, dass sie selbst Staatsverschuldung finanziert, wenn Dritte Staatsanleihen kaufen. Wir haben ja das umgekehrte Problem: Die Investoren, die Banken kaufen im Moment zu wenig Staatsanleihen."

    Erst, wenn sich das wieder ändert, kann auch die EZB sich wieder ihrer eigentlichen Aufgabe, der Wahrung der Preisstabilität, voll widmen.