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Der neue US-Präsident und die Religion
"Trump ist auf einer Mission"

Der neue US-Präsident hat auf zwei Bibeln geschworen und bei seinem Amtsantritt oft von Gott gesprochen. Der Theologe Ulrich Berges sieht klare Bezüge zum Alten Testament: Trump trete auf wie der Prophet, der sein Volk aus der Bedrängnis in das neue Land führe, sagte er im DLF. Allerdings gebe es in seinem Gottesbild viele Widersprüche.

Ulrich Berges im Gespräch mit Christiane Florin | 03.02.2017
    Donald Trump legt den Amtseid als 45. US-Präsident ab. Seine Hand liegt auf der Bibel. Neben ihm steht seine Frau Melania.
    Donald Trump inszeniere sich als eine Art Heilsbringer für die weiße Mittelschicht, meint der Theologe Ulrich Berges. (AFP / Mark Ralston)
    Christiane Florin: Zu uns zugeschaltet ist Ulrich Berges, er ist Professor für Theologie am Alttestamentlichen Seminar der Universität Bonn. Guten Tag, Herr Berges!
    Ulrich Berges: Guten Tag, Frau Florin!
    Florin: Gott wird uns schützen, das ist das Wichtigste – sagte Donald Trump bei seiner Amtseinführung. Welchen Gott stellt er sich vor?
    Berges: Er drückt einen sehr starken nationalen Gott aus. Wenn er sagt, Solidarität aller Völker, dann ist das ein Ausdruck, der dann in der weiteren Rede fast nicht mehr vorkommt.
    Florin: Gibt es einen nationalen Gott in der Bibel?
    Berges: Ja, den gibt es. Und ich habe mir als Alttestamentler seine Rede mehrfach angehört und eine kleine Exegese betrieben, und das Substrat dahinter ist ganz klar alttestamentlich und – noch spezieller – ist von Deutronomen geprägt. Das heißt die Vision der Befreiung aus Ägypten und das Hineinführen in das neue Land. Das merkt man stark, es ist das Land, es ist die Nation, es ist die Freude, ja die Erlösung, aber auch ganz klar ein Gott, der für Israel, praktisch ein Nationalgott, der diese Gruppe beschützt. Und das macht er in seiner Rede sehr, sehr stark. Interessanterweise sind neutestamentliche Bezüge zu Jesus Christus, zur Nächstenliebe, zur Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung fast und ich würde sagen: überhaupt nicht auszumachen.
    "Ein allmächtiger Gott, der die Nation, besonders Amerika schützt"
    Florin: Und wie erklären Sie das?
    Berges: Wenn er einen stärkeren jesuanischen Bezug einbauen würde, dann hätte er mehr ethische Ideen auch einbauen müssen. Gegen Ende der Rede sagt er dann: Egal ob ein Kind in Detroit oder in der Prärie Nebraskas geboren wird, beide schauen auf den gleichen Nachthimmel, sie empfangen ihren Lebensatem vom selben allmächtigen Schöpfer. Und es ist ja nicht zufällig, dass er also vom Kind spricht, das geboren wird – das erinnert an die Weihnachtsgeschichte –, ein Kind ist geboren, und zwar ein Kind in Detroit, nämlich in der untergehenden amerikanischen Autoindustrie, dafür steht Detroit, und in der Prärie Nebraskas. Und da wird das Kind geboren und sie haben den gleichen Nachthimmel.
    Dann ist aber die Frage, und das wäre eine jesuanische Frage: Gilt das nicht für jedes Kind, das geboren wird?
    Gilt das nicht für jedes Kind, ob es in Mexiko, in Syrien oder im Jemen geboren wird? Und diese Entwicklung hat er in seiner Rede überhaupt nicht drin. Das ist also ein allmächtiger Schöpfer, ein allmächtiger Gott, der die Nation, besonders Amerika schützt.
    "Das ist schon eine Heilsinszenierung"
    Florin: Er spricht häufig vom Volk. Er hat in seiner Rede von den Eliten gesprochen, die das Volk missachtet haben, die das Volk ausgebeutet haben. Und Sie haben es vorhin auch selbst gesagt, Sie fühlen sich an den Auszug der Israeliten aus Ägypten erinnert, an die Befreiung von der Knechtschaft. Sind die Amerikaner aus Sicht Donald Trumps das auserwählte Volk?
    Berges: Ich denke, das hat sehr viel damit zu tun, ja. Es ist ein Volk, das aus der Knechtschaft der Einwanderer, die geknechtet sind, in das freie Volk, in die freie Nation gekommen sind, Freiheitsstatue, da wird eine neue Gesellschaft gebaut, die Gleichheit und so weiter für alle Menschen bereithält in diesem großen, neuen Kontinent.
    Das Stoppen der Einwanderung ist zugleich auch ein Stoppen dieses Mythos. Und er - das sagt er in der Rede mehrfach, heute, dieser Tag, das ist der Tag der neuen Zukunft, sagte er.
    Das ist schon eine Heilsinszenierung, die mit ihm jetzt an diesem neuen Tag anfängt. Und interessanterweise spielt er hier auf ein prophetisches Ethos an, das sind die Eliten, die die Macht haben, und jetzt wird die Macht übergeben an euch!
    Hier wird prophetisches Ethos miteingespielt, so spielt er sehr mit dem Mythem, mit dem mythischen Element, könnte man sagen, des neuen Landes, das bereitliegt und das sich das Volk unter seiner Leitung wieder zu eigen machen kann.
    Prof. Dr. Ulrich Berges: Er lehrt Theologie am Alttestamentlichen Seminar der Universität Bonn.
    Prof. Dr. Ulrich Berges: Er lehrt Theologie am Alttestamentlichen Seminar der Universität Bonn. (Akademie der Wissenschaften und Künste Düsseldorf)
    Florin: Die Antrittsrede ist schon zwei Wochen her, es ist inzwischen einiges passiert, man kommt kaum hinterher mit dem Vermelden der neusten Dekrete. Würden Sie sagen, dass da immer noch Gott für ihn wirklich jetzt im Amt eine Rolle spielt, oder war das nur die Taktik zu Beginn, um dieses Volk etwas einzulullen oder etwas zu überhöhen?
    Berges: Ihre Frage ist natürlich spekulativ und so ist meine Antwort auch spekulativ. Aber ich denke, dass da ein Sendungsbewusstsein hinter ist, dass das gar nicht so bedacht ist, sondern das ist ein Substrat, was mitläuft. Die Bibel seiner Mutter, aus dem presbyterianischen, evangelisch-reformierten Kreis, aus dem, was auch gepredigt wird, das ist die große Nation, das ist unser Land, das ist unser Volk.
    Er inszeniert sich tatsächlich als der, der ab jetzt, ab jetzt eine neue Zeitrechnung einführt. Und das, was er macht jeden Tag, ist ja so etwas, jeden Tag ein neuer Bruch, jeden Tag eine neue Mauer wird eingerissen beziehungsweise wiederaufgebaut. Und er spricht ja auch hier von einem neuen Millennium. Er sagt in seiner Rede: Wir stehen am Beginn eines neuen Jahrtausends. Bereit, die Geheimnisse des Weltalls zu entschlüsseln, die Erde von Krankheiten zu befreien, die Energien und Technologien der Zukunft zu nutzen. Euer Mut, eure Güte und eure Liebe leiten uns auf immer auf diesem Weg. Tatsächlich ein Heilsweg.
    Ich denke, dass er durch und durch geprägt ist von dieser, ja, man könnte sagen - in dem Sinne könnte man sagen: von praktisch einer biblischen Ideologie.
    "Trump ist auf einer Mission"
    Florin: Ist vielleicht etwas klischeehaft, aber der Gott des Alten Testaments ist ja auch ein Gott des Zorns und der Rache. Sehen Sie Rachemotive in den ersten Wochen der Regentschaft?
    Berges: Da muss ich als Alttestamentler dann doch einen kleinen Widerspruch einlegen, und der kann auch größer werden. Weil, das hebräische "Nakam" meint an sich Vergeltung. Es ist nicht Rache, es ist Vergeltung. Es ist der strafende Gott, das ist der, der Sachen wieder zurechtsetzt, das, was krumm ist, wieder gerademacht. Das ist Unrecht und dieses Unrecht kann ich nicht tolerieren.
    Und aus dieser Perspektive, also nicht der Wütende, der Irrationale, sondern hier sind Überschreitungen, hier sind Gerechtigkeiten gebrochen worden, missachtet worden, und jetzt kommt jemand, Gott, der die Propheten sendet und so weiter, sagt, das muss wieder geradegerückt werden. Und ich glaube, in diesem Geraderücken, da erstarkt auch Donald Trump und das ist auch die Klientel, die weiße Mittelklasse, die untere weiße Mittelklasse, die sehr stark für ihn votiert hat. Also nicht Rache, sondern zurücksetzen, wieder ins Lot bringen das, was aus dem Lot gegangen ist, was er meint, es sei aus dem Lot gegangen. In dem Sinne hat er, glaube ich, eine Mission vor sich.
    "Der Aufstieg nach oben ist vorbei"
    Florin: Sie haben die weiße Mittelklasse erwähnt. Es soll keine Furcht geben, hat er in dem Auszug gesagt, den wir gehört haben. Das ist ja auch so ein biblisches Motiv, "Fürchtet euch nicht!".
    Warum haben gerade die Frommen, die ja Trump sehr stark gewählt haben, warum haben die offenbar besonders viel Furcht, besonders viel Angst davor, die Verlierer dieser Globalisierung zu sein?
    Berges: Die Mittelschicht hat also das Problem, dass Aufstieg nicht mehr möglich ist, aber sehr wohl Abstieg sehr naheliegt. Und das ist ein Riesenproblem. Ich habe einige Jahre auch in Lateinamerika gearbeitet, was natürlich ähnlich, dass die Mittelklasse, die keine Chance hat, nach oben mehr zu kommen, der Aufstieg nach oben ist ... Das ist vorbei. Das provoziert die Angst. Und das ist die Angst, und von daher sagt er auch: Fürchtet euch nicht. Es ist tatsächlich biblisch, fürchtet euch nicht, ab heute bricht diese neue Zeit an. Wenn die Mittelklasse, wenn es nicht mehr klar ist, dass man seinen Kindern, dass man sein Haus, dass man das Erarbeitete, dass man das bewahren kann, seinen Kindern übergeben kann, dann tritt Angst ein. Und damit, das ist ein Pfund auch, mit dem Trump tatsächlich arbeitet.
    Ich denke sehr stark, dass das nicht so reflektiert ist, wie wir das jetzt sagen, aber dass es ein Substrat ist, mit dieser Angst inszeniert er sich und seinen Auftrag als die neue Befreiung. Und er sagt ja auch: Ihr da draußen, ihr da draußen! Hier in Washington die Elite, die haben sich die Taschen vollgemacht und jetzt wird es anders sein!
    Florin: Es gibt einen berühmten Song von Bob Dylan, "With God on our Side" heißt der. Lohnt es sich für Regierungschefs, Gott sich an die Seite zu holen, ihn immer wieder zu beschwören?
    Berges: Sie können auch in Deutschland ... Das ist ja die Frage eben jetzt auch, der Gott unserer Verfassung, nicht wahr? Ob Sie jetzt schwören auf Gott oder nicht. Entweder sagen Sie Nein, Sie können ja auch ohne Gott schwören, oder wenn Sie auf Gott schwören, wenn Sie islamischen Glaubens sind oder einem anderen Glauben angehören oder jüdisch oder christlich, hat das natürlich immer mit Gottesvorstellungen zu tun.
    Und die sind, glaube ich, sehr prägend auch fürs politische Handeln. Das wird meistens nicht ans Licht gebracht, aber wie jetzt auch bei, wenn wir zu Trump kommen: Wie kann er sagen, dass ... Er sagt wörtlich, an eine alte Soldatenweisheit erinnert er, sagt er dann: Ganz egal, ob wir schwarz oder braun oder weiß, wir bluten alle das gleiche rote Blut der Patrioten. Aus seiner Rede. Aber wenn das stimmt, dann ist jedes Blut, das in jedem Menschen fließt, das Blut, das der Schöpfer Gott kreiert hat. Und dann ist es egal, wo man geboren ist, ob man im Jemen geboren ist oder in Syrien oder in Nebraska oder wo auch immer.
    Und das passt natürlich nicht in sein Gottesbild.
    Also, von daher ist der Gebrauch des Gottesbildes, impliziert, wenn man weiterdenkt, kreiert ethische Folgen. Wie breit, wie weit stelle ich mein Gottesbild auf? Und das ist, glaube ich, doch die jesuanische, kann man fast sagen, die Revolution. Dass der Nächste - der Nächste, egal wo er ist, ist mein Nächster. Und wenn ich dem Nächsten der Nächste bin, dann habe ich eine ethische Verpflichtung. Und das kann er nicht sagen, dann kann er keine Mauer bauen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.